Pilger auf Regenbogenroute
Wie homo-, trans- oder intersexuelle Christen in Madrid ihren Glauben leben – Koordinator Óscar Escolano im CBN-Interview
„ Sie verstoßen gegen das natürliche Gesetz.“„ Sie sind in keinem Fall zu billigen.“Das sagt noch heute der katholische Katechismus über homosexuelle Beziehungen. Betroffenen sei zwar mit „ Achtung, Mitleid und Takt“zu begegnen. Man solle sie „ in keiner Weise zurücksetzen“. Doch der Graben zwischen Kirche und Welt wird gerade in Sachen LGTBI immer tiefer. Immer mehr Menschen mit diverser Orientierung kehren der Kirche den Rücken – und damit dem Glauben. So auch der schwule Óscar Escolano – zunächst. Doch dann kam es anders. Er wurde zum Brückenbauer, der zum Thema Glaube und LGTBI schon mit „ El País“sprach. Auch die CN wagte sich auf seinen regenbogenbunten Steg zwischen Gott und dem Spanien des 21. Jahrhunderts.
CN: Stellen Sie sich vor und beschreiben Ihren Weg zum christlichen LGTBI-Aktivisten.
Escolano: Ich bin 40 und arbeite in einem internationalen Großunternehmen in Madrid. Mit 20, ich lebte in Alicante, outete ich mich als schwul. Es war die Halbzeit meines bisherigen Lebens (lacht) und auch die Abkehr von der Kirche. 2004 stieß ich auf eine Gruppe von LGTBI-Christen, die sich für Gebete oder Gespräche über den Glauben traf. 2006 zog ich nach Madrid und traf auf Crismhom, eine Stiftung für gläubige Homo- oder Transsexuelle. So wurde ich auch Koordinator der Gruppe „ Fe y Espiritualidad“(Glaube und Spiritualität) im staatlichen LGTB-Verband für Menschen verschiedener Glaubensrichtungen.
Was machen diese Kollektive?
Crismhom funktioniert wie eine christliche Gemeinde. Wir treffen uns im Gay-Viertel Chueca, um zu beten oder zu zelebrieren. Es ist eine sichere Zuflucht für gläubige Homo- und Transsexuelle. Unser Ziel ist, solche Menschen sichtbar zu machen. Wir wollen Teil der Kirche sein. „ Fe y Espiritualidad“repräsentiert die Religion in der LGTBI-Szene. Hier wurden gläubige Menschen lange diskriminiert. Nun sind sie integriert. Die Gruppe vereint verschiedene Religionen, aber die meisten sind Christen. Wir kritisieren die katholischen Kirche und ihre offizielle Botschaft zur Homosexualität, die nicht übereinstimmt mit der Lebensrealität vieler Pfarreien.
In der Kirche sucht man vergeblich nach Sphären für LGTBIChristen. Warum ist die katholische Lehre da so streng?
Wegen fehlerhafter Bibel-Übersetzung. Wörter werden als „ homosexuell“gedeutet, obwohl der Begriff erst im 19. Jahrhundert aufkam. Auf Aramäisch kann er nicht genannt worden sein. Nehmen wir das Kapitel Sodom und Gomorra im Buch Genesis. Dort wird nicht der gleichgeschlechtliche Akt gegeißelt, sondern sexuelle Gewalt. Im Buch Levitikus steht: Du darfst nicht mit einem Mann schlafen, doch das bezog sich im historischen Kontext auf die Prostitution.
Was ist mit Adam und Eva?
Auch die Schöpfungserzählung ist kein Bericht, sondern ein Mythos, wie es sie in vielen Kulturen gibt. Adam ist zunächst ja auch ein Geschöpf ohne Geschlecht, der erst später die Komplementarität von zwei Personen annimmt.
Hat die Kirche noch andere LGTBI-feindliche Quellen?
Da wären die Theologen des Mittelalters. Ab dem 10. Jahrhundert strömt in die Theologie der Platonismus. Die Seele wird über den Körper erhoben. Dadurch wird jeder physische Genuss für schlecht erklärt. Nur Fortpflanzung ist noch gut, alles andere Sünde. Aber das war in den ersten Jahrhunderten den Christentums anders. Sogar Bilder gleichgeschlechtlicher Paare gab es in der christlichen Welt,
Hat denn der Papst nicht Ende 2020 in einem Dokumentarfilm die kirchliche Lehre verändert?
Nein. Papst Franziskus′ Äußerungen zu LGTBI sehe ich als Anekdoten. Sie regen Medien für eine Weile auf, dann passiert nichts. Keine Änderungen in der offiziellen, homophoben Lehre. Ich glaube ja, dass der Papst einen guten Willen hat. Aber es gibt einfach zu viele Menschen in der Kirche, die hier keinen Wandel wollen.
Denken Sie da auch an den jungen Teil der Kirche, etwa Afrika, wo LGTBI undenkbar ist?
Zum Beispiel. Hier können wir uns schon freuen, wenn in einigen Ländern Homosexualität aufhört, eine Straftat zu sein.
Wird die katholische Kirche sich in Sachen LGTBI bewegen?
Ich glaube, ich werde es nicht erleben. Die Katholische Kirche bewegt sich sehr, sehr langsam. Und es gibt viele Menschen, die vor uns dran wären. Allen voran die Frauen, die noch lange nicht gleichwertig sind. Und nach ihr die geschiedenen Wiederverheirateten.
Liegen denn im LGTBI-Kollektiv alle Gruppen gleichauf?
Es ist derselbe Kampf. Aber etwa transsexuellen Menschen geht es oft noch schlechter. Gerade was die Diskriminierung in der Arbeit betrifft. Ja, wir sind da eng vereint.
Sollte die Kirche LGTBI als etwas Bereicherndes sehen?
Ja, denn Gott schuf die Vielfalt. Und wir haben ein besonderes Charisma zu bieten, die die Kirche reicher, inklusiver machen würde.
Ist die Kritik an der Promiskuität in der LGTBI-Welt berechtigt?
Das wird der Gay-Szene nachgesagt. Es mag sein, dass einige Homosexuelle die Liebe suchen, indem sie den Sexualpartner ständig wechseln, und sich dabei auch ein Stück weit verirren. Aber das gibt es unter Heterosexuellen, wie ich bei Freunden sehe, genauso. Ich denke, wenn man das Herz des Menschen anschaut, sieht man, was ihn wirklich antreibt. Ja, man sollte jede Lebensgeschichte einzeln betrachten. Ich habe derzeit keinen Freund, aber in jeder Beziehung, die ich hatte, waren wir uns treu.
Gibt es homosexuelle Menschen, die hetero werden wollen?
Vorab: Die „ Heilung“von Homosexuellen ist in Spanien gesetzlich verboten. Ich kenne zwar Menschen, die von LGTBI in die Heterosexualität gewechselt sind. Aber für mich sind es Personen, die eine innere Homophobie in sich tragen. Sich also nicht voll akzeptieren.
Warum sind Sie noch Katholik?
Ich sehe mich als Christ, nicht mehr als Katholik. In die katholische Kirche gehe ich hin und wieder in meinem Viertel, mein Haus ist aber die Gemeinde Crismhom. Hier sind die Priester oder Ordensfrauen, die uns begleiten, aber zum Großteil katholisch. Doch ich gehe auch gern in reformierte Kirchen.
Anders gefragt: Wie kamen Sie darauf, dass der Graben zwischen LGTBI und dem christliche Glauben überwindbar ist?
Als ich „ den Schrank verließ“(sich als homosexuell outen, Anm. d. Red.), war ich zunächst wütend auf Gott. Ich dachte: „ Wie kann er mir das nur antun?“Aber nach einer Zeit der Abkehr kam ich zum Nachdenken. Ich begegnete Menschen, die auf derselben Suche waren wie ich, betete und sprach mit ihnen. Und dadurch sprach auch Gott zu mir und zeigte mir, wie ich zu ihm zurückkehren konnte.