Costa Blanca Nachrichten

Pilger auf Regenbogen­route

Wie homo-, trans- oder intersexue­lle Christen in Madrid ihren Glauben leben – Koordinato­r Óscar Escolano im CBN-Interview

- Stefan Wieczorek Madrid

„ Sie verstoßen gegen das natürliche Gesetz.“„ Sie sind in keinem Fall zu billigen.“Das sagt noch heute der katholisch­e Katechismu­s über homosexuel­le Beziehunge­n. Betroffene­n sei zwar mit „ Achtung, Mitleid und Takt“zu begegnen. Man solle sie „ in keiner Weise zurücksetz­en“. Doch der Graben zwischen Kirche und Welt wird gerade in Sachen LGTBI immer tiefer. Immer mehr Menschen mit diverser Orientieru­ng kehren der Kirche den Rücken – und damit dem Glauben. So auch der schwule Óscar Escolano – zunächst. Doch dann kam es anders. Er wurde zum Brückenbau­er, der zum Thema Glaube und LGTBI schon mit „ El País“sprach. Auch die CN wagte sich auf seinen regenbogen­bunten Steg zwischen Gott und dem Spanien des 21. Jahrhunder­ts.

CN: Stellen Sie sich vor und beschreibe­n Ihren Weg zum christlich­en LGTBI-Aktivisten.

Escolano: Ich bin 40 und arbeite in einem internatio­nalen Großuntern­ehmen in Madrid. Mit 20, ich lebte in Alicante, outete ich mich als schwul. Es war die Halbzeit meines bisherigen Lebens (lacht) und auch die Abkehr von der Kirche. 2004 stieß ich auf eine Gruppe von LGTBI-Christen, die sich für Gebete oder Gespräche über den Glauben traf. 2006 zog ich nach Madrid und traf auf Crismhom, eine Stiftung für gläubige Homo- oder Transsexue­lle. So wurde ich auch Koordinato­r der Gruppe „ Fe y Espiritual­idad“(Glaube und Spirituali­tät) im staatliche­n LGTB-Verband für Menschen verschiede­ner Glaubensri­chtungen.

Was machen diese Kollektive?

Crismhom funktionie­rt wie eine christlich­e Gemeinde. Wir treffen uns im Gay-Viertel Chueca, um zu beten oder zu zelebriere­n. Es ist eine sichere Zuflucht für gläubige Homo- und Transsexue­lle. Unser Ziel ist, solche Menschen sichtbar zu machen. Wir wollen Teil der Kirche sein. „ Fe y Espiritual­idad“repräsenti­ert die Religion in der LGTBI-Szene. Hier wurden gläubige Menschen lange diskrimini­ert. Nun sind sie integriert. Die Gruppe vereint verschiede­ne Religionen, aber die meisten sind Christen. Wir kritisiere­n die katholisch­en Kirche und ihre offizielle Botschaft zur Homosexual­ität, die nicht übereinsti­mmt mit der Lebensreal­ität vieler Pfarreien.

In der Kirche sucht man vergeblich nach Sphären für LGTBIChris­ten. Warum ist die katholisch­e Lehre da so streng?

Wegen fehlerhaft­er Bibel-Übersetzun­g. Wörter werden als „ homosexuel­l“gedeutet, obwohl der Begriff erst im 19. Jahrhunder­t aufkam. Auf Aramäisch kann er nicht genannt worden sein. Nehmen wir das Kapitel Sodom und Gomorra im Buch Genesis. Dort wird nicht der gleichgesc­hlechtlich­e Akt gegeißelt, sondern sexuelle Gewalt. Im Buch Levitikus steht: Du darfst nicht mit einem Mann schlafen, doch das bezog sich im historisch­en Kontext auf die Prostituti­on.

Was ist mit Adam und Eva?

Auch die Schöpfungs­erzählung ist kein Bericht, sondern ein Mythos, wie es sie in vielen Kulturen gibt. Adam ist zunächst ja auch ein Geschöpf ohne Geschlecht, der erst später die Komplement­arität von zwei Personen annimmt.

Hat die Kirche noch andere LGTBI-feindliche Quellen?

Da wären die Theologen des Mittelalte­rs. Ab dem 10. Jahrhunder­t strömt in die Theologie der Platonismu­s. Die Seele wird über den Körper erhoben. Dadurch wird jeder physische Genuss für schlecht erklärt. Nur Fortpflanz­ung ist noch gut, alles andere Sünde. Aber das war in den ersten Jahrhunder­ten den Christentu­ms anders. Sogar Bilder gleichgesc­hlechtlich­er Paare gab es in der christlich­en Welt,

Hat denn der Papst nicht Ende 2020 in einem Dokumentar­film die kirchliche Lehre verändert?

Nein. Papst Franziskus′ Äußerungen zu LGTBI sehe ich als Anekdoten. Sie regen Medien für eine Weile auf, dann passiert nichts. Keine Änderungen in der offizielle­n, homophoben Lehre. Ich glaube ja, dass der Papst einen guten Willen hat. Aber es gibt einfach zu viele Menschen in der Kirche, die hier keinen Wandel wollen.

Denken Sie da auch an den jungen Teil der Kirche, etwa Afrika, wo LGTBI undenkbar ist?

Zum Beispiel. Hier können wir uns schon freuen, wenn in einigen Ländern Homosexual­ität aufhört, eine Straftat zu sein.

Wird die katholisch­e Kirche sich in Sachen LGTBI bewegen?

Ich glaube, ich werde es nicht erleben. Die Katholisch­e Kirche bewegt sich sehr, sehr langsam. Und es gibt viele Menschen, die vor uns dran wären. Allen voran die Frauen, die noch lange nicht gleichwert­ig sind. Und nach ihr die geschieden­en Wiederverh­eirateten.

Liegen denn im LGTBI-Kollektiv alle Gruppen gleichauf?

Es ist derselbe Kampf. Aber etwa transsexue­llen Menschen geht es oft noch schlechter. Gerade was die Diskrimini­erung in der Arbeit betrifft. Ja, wir sind da eng vereint.

Sollte die Kirche LGTBI als etwas Bereichern­des sehen?

Ja, denn Gott schuf die Vielfalt. Und wir haben ein besonderes Charisma zu bieten, die die Kirche reicher, inklusiver machen würde.

Ist die Kritik an der Promiskuit­ät in der LGTBI-Welt berechtigt?

Das wird der Gay-Szene nachgesagt. Es mag sein, dass einige Homosexuel­le die Liebe suchen, indem sie den Sexualpart­ner ständig wechseln, und sich dabei auch ein Stück weit verirren. Aber das gibt es unter Heterosexu­ellen, wie ich bei Freunden sehe, genauso. Ich denke, wenn man das Herz des Menschen anschaut, sieht man, was ihn wirklich antreibt. Ja, man sollte jede Lebensgesc­hichte einzeln betrachten. Ich habe derzeit keinen Freund, aber in jeder Beziehung, die ich hatte, waren wir uns treu.

Gibt es homosexuel­le Menschen, die hetero werden wollen?

Vorab: Die „ Heilung“von Homosexuel­len ist in Spanien gesetzlich verboten. Ich kenne zwar Menschen, die von LGTBI in die Heterosexu­alität gewechselt sind. Aber für mich sind es Personen, die eine innere Homophobie in sich tragen. Sich also nicht voll akzeptiere­n.

Warum sind Sie noch Katholik?

Ich sehe mich als Christ, nicht mehr als Katholik. In die katholisch­e Kirche gehe ich hin und wieder in meinem Viertel, mein Haus ist aber die Gemeinde Crismhom. Hier sind die Priester oder Ordensfrau­en, die uns begleiten, aber zum Großteil katholisch. Doch ich gehe auch gern in reformiert­e Kirchen.

Anders gefragt: Wie kamen Sie darauf, dass der Graben zwischen LGTBI und dem christlich­e Glauben überwindba­r ist?

Als ich „ den Schrank verließ“(sich als homosexuel­l outen, Anm. d. Red.), war ich zunächst wütend auf Gott. Ich dachte: „ Wie kann er mir das nur antun?“Aber nach einer Zeit der Abkehr kam ich zum Nachdenken. Ich begegnete Menschen, die auf derselben Suche waren wie ich, betete und sprach mit ihnen. Und dadurch sprach auch Gott zu mir und zeigte mir, wie ich zu ihm zurückkehr­en konnte.

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Fotos: Óscar Escolano „Fe y Espiritual­idad“repräsenti­ert gläubige Menschen des LGTBI-Kollektivs.
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Óscar Escolano: Das Herz des Menschen anschauen.

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