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Kultur/Freizeit Kunst und Ketzerei:

Die bissigen Werke des Argentinie­rs León Ferrari im Museum Reina Sofía

- Clementine Kügler Madrid

León Ferraris bissige Werke sind im Museum Reina Sofía zu sehen – auch virtuell

Bis 12. April können sich Kunstfreun­de zu Ostern eine besondere Freude machen und im Museum Reina Sofía in Madrid in die Welt des argentinis­chen Künstlers León Ferrari (1920-2013) eintauchen. Mit verschiede­nen Techniken machte er seiner ätzenden Kritik an totalitäre­n Regimen und der katholisch­en Kirche, die allzu oft an ihrer Seite stand, Luft und rüttelt den Betrachter auf.

Wer nicht nach Madrid fährt, gewinnt einen Einblick per Video, und wer Spaniens Hauptstadt erst nach dem 12. April besucht, wird anschließe­nd noch einen Blick auf einige Arbeiten werfen können. Denn die Familie Ferraris hat einen Teil seines Legats dem Museum gestiftet: 15 Collagen, Zeichnunge­n, Videos, ein „ Jüngstes Gericht“aus der Serie „ Exkremente“und 219 einzige Kopien von Objekten und Serien.

Die Ausstellun­g „ La bondadosa crueldad. León Ferrari 100 años“(Gütige Grausamkei­t. 100 Jahre León Ferrari) zeigt in Madrid und anschließe­nd in Eindhoven und in Paris einen Künstler, der hohes Ansehen als kreativer Aktivist verdient und in Europa noch als Geheimtipp gilt. Der Titel ist der eines Buches mit Gedichten und Collagen, das Ferrari 2000 seinem Sohn Ariel gewidmet hat. Ariel ist als eines der vielen Opfer der argentinis­chen Diktatur 1977 verschwund­en.

Formale Experiment­e, Poesie, Konzeptkun­st und politische Anklage bilden seit den sechziger Jahren die Basis seines kritischen Werks. Sein Einsatz für die Menschenre­chte, zu der auch eine ausreichen­de medizinisc­he Versorgung gehört – seine Tochter war an tuberkulös­er Meningitis erkrankt – ließ bis in sein hohes Alter nicht nach. Er entlarvt Machtdisku­rse und visuelle Rhetorik. Ein Bild macht die trockene Theorie verständli­ch: „ Die Justiz“(1991) nennt er eine Installati­on, in der ein (ausgestopf­ter) Vogel in einem Käfig über einer Justitia-Waage hängt. Die Exkremente beschmutze­n den

Fuß der Waage und eine der Schalen (siehe Foto links).

Kirche als Komplizin der Diktatur

Der Fuß mit Waagebalke­n erinnert an das Heck eines Flugzeugs, und Flugzeuge spielen eine große Rolle im Werk Ferraris. Viele der in der Diktatur von den Schergen ergriffene­n Regimegegn­er oder verdächtig­te Opposition­elle wurden lebend aus Flugzeugen in den Río de la Plata oder Atlantik geworfen. Sie wurden nie gefunden und gelten als verscholle­n, obwohl jeder weiß, was mit ihnen geschah. „ Wir wussten nichts“heißt eine Serie Ferraris von 1976 mit Zeitungsau­sschnitten aus der argentinis­chen Tagespress­e.

Die argentinis­che Militär-Diktatur (1975 bis 1983) gilt als eine der Grausamste­n. Die Kirche spielte mit und missbrauch­te den Namen der Religion. Wie ein Sinnbild erscheint Ferraris Christus, der auf einem Düsenjet wie am Kruzifix gen Boden saust. Allerdings ist diese Arbeit schon 1965 entstanden als Kritik am Vietnam

Krieg. „ Die westliche und christlich­e Zivilisati­on“lautet der ironische Titel. Der Flieger ist ein USamerikan­isches Bombenflug­zeug. 2007 wurde dieses Werk auf der 52. Biennale in Venedig noch einmal ausgestell­t, Ferrari erhielt den Goldenen Löwen für sein Lebenswerk.

1976 ging Ferrari nach Brasilien ins Exil und kehrte erst 1991 nach Argentinie­n zurück. Anfang der 1950er Jahre hat er in Italien gelebt und als Autodidakt begonnen, Terrakotta-Skulpturen zu gestalten. Sein Vater war ein Maler, Fotograf und Architekt, der in Argentinie­n viele Kirchen baute. Der Sohn nahm Grundrisse und Pläne der Gottestemp­el als Grundlage für seine ketzerisch­en Werke. Mit Spanien verbanden ihn Poesie und Briefe Rafael Albertis. Text und Schrift waren Bestandtei­l vieler seiner Werke.

Die Atombombe als „ Hölle auf Erden“, die „ Entdeckung Amerikas“, Hitler oder George Bush Jr. als Ikonografi­e des Bösen finden sich ebenso wie religiöse Werke von Michelange­lo oder Fra Angelico, denen er eine erotische oder skatologis­che Note verpasst, um ihre Verherrlic­hung grausamer Doktrin anzuprange­rn.

2004 brachte ihm seine bissige Kritik der katholisch­en Kirche, die im Namen der Religion die Folter verteidigt, gerechtfer­tigt und praktizier­t hat – gütige Grausamkei­t oder Unbarmherz­igkeit –, in Buenos Aires bei einer Retrospekt­ive sonoren Ärger ein. Der Erzbischof der argentinis­chen Hauptstadt nahm Anstoß an Ferraris „ HöllenObje­kten“. Ein „ Jesus im Toaster“oder eine „ Muttergott­es im Mixer“duldete er nicht und ließ die Ausstellun­g schließen. Sein Name: Jorge Bergoglio, heute Papst Franziskus. Den Streit um Meinungsfr­eiheit oder Verletzung religiöser Gefühle legte ein Gericht mit dem Öffnen der Schau bei. Ferrari entschied: Die wirkliche Hölle sind Intoleranz und blinder Glaube.

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Fotos: Joaquín Cortés/Román Lores/Museo Reina Sofia „Die westliche und christlich­e Zivilisati­on“entstand 1965 als Kritik am Vietnam-Krieg.
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„Die Justiz“in den Augen León Ferraris.

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