Schätze im Keller
Archäologen auf Entdeckungsreise in der Unterwelt der spanischen Gastronomie
Die Zwangsschließung in der Corona-Krise haben in Spanien viele Wirte für überfällige Renovierungen genutzt. Nicht selten sind bei den Arbeiten sensationelle archäologische Entdeckungen gemacht worden. Wie etwa ein 800 Jahre alter Hammam, der in einer Bar in Sevilla verborgen war.
„ Kommen zwei Archäologen in eine Bar...“. Was sich wie der Anfang eines Witzes anhört, ist in Spanien mitunter der Beginn eines Ausgrabungsprotokolls mit sensationellen Entdeckungen. In letzter Zeit häuften sich bedeutende archäologische Funde in und unter gastronomischen Einrichtungen in Spanien. Kein Wunder. Denn zum einen hat Spanien die höchste BarDichte der Welt, zum zweiten gehen auch Archäologen gerne einen trinken. Zum dritten liegen die meisten Bars in den Altstädten, die in der Regel auf den schichtweise abgelagerten Ruinen der jeweils vorherigen Zivilisation errichtet wurden. Nun führte die Coronavirus-Krise dazu, dass die Bars lange schließen mussten, was Wirte und Gebäudeeigner für oft lange überfällige Renovierungsarbeiten nutzten, zumindest jene, die sich das noch leisten können.
Hammam mit Bierausschank
In der Bierstube Cervecería Giralda in Sevilla, die 1923 ihren Schankhahn öffnete und über die Generationen immer mal wieder notdürftig gemalert wurde, wollten die Eigentümer die alten Gemäuer freilegen. Sie hofften auf eine alte Ziegelwand oder gar Naturstein, denn die Zeiten von Blümchentapeten oder Pressholzverkleidungen sind doch endgültig passé. Doch was sie bei der Freilegung der Gewölbe entdeckten, haute sie und vor allem die herbeieilenden Archäologen von den Barhockern und Malerleitern. Da erschienen
„ achteckige, sternförmige Fensteröffnungen in vier verschiedenen Größen, rot-ockerfarbene geometrische Figuren, Kalligrafie-Inschriften – und alles perfekt erhalten“, schwärmt Fernando Amores, Archäologe an der Uni Sevilla. 88 kunstvoll gearbeitete Licht- und raffiniert arrangierte Luftlöcher fand man insgesamt. Als dann klar wurde, dass alle
Räume einst über ein
Gewölbe zusammenhingen und ein Hammam, also ein öffentliches Bad aus dem 12. Jahrhundert, bildeten, war die Sensation perfekt. Sogar CNN meldete sich mit einem Reporter.
800 Jahre war das Mauren-Bad, das größte, das Sevilla bisher wiederfand, hinter Behelfswänden verborgen, die vor rund 100 Jahren so angebracht wurden, um den Schatz zu erhalten, wie sich Amores sicher ist. Man kennt sogar den Namen des Architekten, es war Vicente Traver, der das Geheimnis verbarg und für sich behielt. Anfang des Jahres durften die ersten Sevillaner die Entdeckung besichtigen, 1.500 Menschen stellten sich stundenlang an, um einen Blick auf die Pracht aus der Almohaden-Epoche zu werfen. Das Wunderwerk islamischer Architektur, dessen Details noch genau untersucht werden, liegt in der Calle Mateos Gago in Sichtweite zur Giralda und soll nun dauerhaft zu besichtigen sein. Auch Bier soll es weiterhin geben.
Eine Synagoge in der Nachtbar
Eine regelrechte Sensation erwartet sich die Stadt Utrera, 20 Kilometer südöstlich von Sevilla. In einem runtergekommenen Altstadtgemäuer mit den typischen Höfen und Rundbögen des MudéjarStils, der durch architektonischen Patchwork der letzten Jahrhunderte fast unkenntlich wurde, war zuletzt eine „ Bar de Copas“, eine Cocktail-Bar untergebracht. Die Immobilie gehört der Stadt, der letzte Pächter gab wieder einmal auf, Statiker sollten das Haus in der „ Judería“, dem mittelalterlichen Judenviertel, auf Baufälligkeit und Reperaturbedarf untersuchen.
Dabei fiel ihnen auf, dass das Mauerwerk bis ungefähr 40 Zentimeter über dem Boden ganz andere Strukturen und Materialien aufweist als jenes darüber und auch auf einen anderen Grundriss hindeutet. Hinzugezogene Archäologen und Architekturhistoriker hegen nun den begründbaren Verdacht, dass man nichts weniger als die alte zentrale Synagoge der Stadt wiederfand, 530 Jahre nach der Vertreibung der Juden aus Spanien. Die Archäologen scharren mit Spachteln und Schippen, warten auf die Genehmigung des Ministeriums für Kultur Andalusiens, der Sache auf den Grund gehen zu können.
Dass es in Utreras Judería eine Synagoge gab, ist nicht nur logisch, sondern auch belegt. 1609, also im Jahr der großen MoriskenVertreibung, erwähnte sie der Historiker Rodrigo Caro und erklärte, dass man darin das Krankenhaus de la Misericordia untergebracht habe, hier aber „ nur Ausländer und Juden sieht, die mit Wehmut von ihrer Synagoge sprechen“.
Das deckt sich mit der Geschichte des Gebäudekomplexes aus dem 14. Jahrhundert. Nach der Reconquista Sevillas durch Kastiliens König Fernando III. kehrten jene Juden in ihre alte Heimat zurück, deren Familien zunächst unter der Omeyaden-Dynastie des Kalifats von Córdoba ein wichtiger Teil der Gesellschaft wurden, dann aber, nach dem Zerfall des Kalifats, von radikalislamischen Berberstämmen, Almoraviden und Almohaden, um ihre Rechte und Existenz gebracht wurden. Sie flohen in Massen nach Norden und fanden bei den Christen vor allem in Toledo Zuflucht und kehrten mit ihnen auch nach Utrera zurück. Ihnen gestand man eine kurze Weile gewisse Rechte und die Ausübung von Tätigkeiten zu, ließ sie aber nur in ummauerten Ghettos leben, so entstanden die „ Juderías“.
Miguel Ángel de Dios, Chefarchäologe des Projektes: „ Wir schätzen, dass der Ground Zero des ersten Gebäudes rund eineinhalb Meter unter dem jetzigen Boden liegt. Wir suchen jetzt die typischen baulichen Merkmale, die eine mittelalterliche Synagoge identifizieren. Dazu gehören die Mikvé, das rituelle Reinigungsbad, das außerhalb des Gebetsraumes zu finden sein müsste, sowie ein zweiter abgetrennter Raum, die Galerie der Frauen, denn auch das Judentum hat sie lieber abgetrennt von den anderen. Zudem müsste das Mauerwerk des zentralen Raumes eine Nische oder Ausbuchtung zeigen, in der die Thora aufbewahrt wurde“, erklärt Ángel de Dios.
Diese Gebetsnische ist den drei monotheistischen Weltreligionen gemein, bei den Christen ist es der Altarraum, bei den Moslems die Mihrab und in spanischen Moscheen übrigens oft gar nicht nach Mekka ausgerichtet, sondern nach Süden, als Zeichen der Souveränität des neuen Kalifats von Córdoba vom Kalifat von Bagdad. „ Eine Minora oder eine andere Visitenkarte einer Synagoge zu finden“, das wäre für Miguel Ángel de Dios das größte Glück.
Bestätigt sich die Entdeckung, wäre nicht nur Utrera um ein histori
So spektakulär die Funde, so prekär ist die Lage von Archäologen und vielen Baudenkmälern
sches Kleinod reicher. Nach ersten Berechnungen könnte es sich um die zweitgrößte Synagoge auf spanischem Boden handeln, von der man weiß, gleich nach Santa María La Blanca in Toledo, die, wie der Name verrät, natürlich christianisiert wurde.
Denn die Handreichung der Kastilier an ihre jüdischen Mitbürger war eine Farce, schon Ende des 14. Jahrhunderts intrigierte die Kirche Pogrome, lenkte den Volkszorn auf die mosaischen Sündenböcke, bis man sie 1492 gänzlich deportierte. Die Caminos de Sefardí, eine Route durch die spanisch-jüdische Geschichte, klaubt die Reste jüdischen Lebens in Spanien zusammen, darunter die berühmte Synagoge Tránsito in Toledo, die Altstädte von Sevilla oder Córdoba (mit einer winzigen Synagoge), in denen die alten Juderías noch nachfühlbar sind, und sogar in der Burg von Lorca in der Region Murcia wurde eine Synagoge entdeckt.
Phönizischer Flamenco
Hinter der Adresse Calle San Juan 39 in der Altstadt von Cádiz steckt eine Legende. Windschiefe Mauern und eine verwaschene Aufschrift – „ Cueva del Pájaro Azul“– führen hinunter in das verwinkelte Gemäuer der „ Höhle des blauen Vogels“, eine Flamenco-Bar, die in den 60er und 70er Jahren zum Tempel dieses Genres wurde. Hier traten die großen Namen des cante jondo, des tiefgründigen Gesanges, auf. Lola Flores und Camarón de la Isla sowie Paco de Lucía sind nur die Namen, die auch einem breiteren Publikum geläufig sein könnten. Die Taberna soll seit dem 15. Jahrhundert eine Art Raststation für Schmuggler gewesen sein, wobei sich schon lange Legenden und Wahrheiten bis zur Unkenntlichkeit vermischen und aufbauschen, wie sich das in einer guten Kneipe gehört.
Der „ Blauvogel“hatte auch zuletzt einen eher „ zwielichtigen Ruf“, erklärt Germán Garbarino, der von der Stadt, die das Haus seit 2017 unter Kuratel hat, damit beauftragt wurde, zu prüfen, ob man die verfallenden Gemäuer retten und als Ort der Kultur wiedergewinnen könnte. Auch hier spachtelten Statiker im Coronafrühling 2020 im Keller nur etwas an den Wänden und riefen dann umgehend die Kollegen der Archäologie an. Denn was in der untersten Ebene zutage trat, „ war wirklich eine Überraschung“, es handelt sich um „ die Reste von Mauern und Räumen, die zum alten Hafen der Phönizier gehört haben müssen“, erklärt Garbarino.
Gadir hieß die Stadt damals vor rund 2.500 Jahren und war die bedeutendste des westlichen Mittelmeeres, auf Augenhöhe mit Karthago. Sogar eine der Säulen des Herkules soll hier geruht haben. Die Struktur liegt heute etwa 60 Meter von der Meereslinie entfernt, was die Archäologen damit erklären, dass die Phönizier Lagerräume und Be- und Entladestationen wetter- und blickgeschützt in kleine Nischen bauten, zu denen Kanäle führten. Wie Venedig, ist Cádiz eine Lagunenstadt.
Die Archäologen versuchen schon seit Jahrzehnten, die historischen Hafenanlagen der Phönizier zu rekonstruieren, wobei sie dabei immer wieder auf An- und Ausbauten der Römer und Mauren stoßen, was die Zuordnung erschwert. Der Blauvogel gab ihnen ein wichtiges Puzzle-Stück. Die alte Schenke soll als Tablao de Flamenco mit Bar wiedereröffnet werden, aber um eine Attraktion reicher, eine begehbare Ausgrabungsstätte, die Spuren einer der ersten Hochkulturen Westeuropas bewahrt.
Der Schatz im Brunnen
Seit Februar sind im gemütlichen Archäologischen Museum von Córdoba 623 Stücke eines Schatzes aus dem 11. Jahrhundert zu bewundern, darunter fast 100 Stücke aus Gold und Silber, andere aus Rosenquarz, Glas und hunderte aus Perlen gearbeitet, Armreifen und Broschen, viele Münzen. Herausstechend ist ein silberner, mit Perlen eingerahmter
Davidsstern (siehe Foto), der besonders Fragen aufwirft, denn das Symbol, das heute mit dem Judentum gleichgesetzt wird, taucht als Schild des Königs David in hebräischen Texten erst im 14. Jahrhundert auf. Der Stifter der Sonderschau ist die Policía Nacional, die durch einen Tipp von einem Informanten aus einer Bar in Baena darauf stieß. In der stillgelegten Finca „ La Amarguilla“in Baena fand ein Mann diesen Schatz in einem alten Brunnenschacht, die Polizei verhinderte, dass er verkauft wird, dem Sherry sei Dank. Nicht nur die Zusammensetzung des Schatzes und der Wert der Stücke machen den Fund so sensationell. Auch die Datierung anhand der jüngsten Teile bezeugt eine spannende Epoche, nämlich just das Ende des Kalifats von Córdoba durch einen Bürgerkrieg zwischen den arabischen Eliten und deren Verbündeten sowie ihren einstigen Hilfstruppen, sich verselbstständigenden Berbern, die eigene Machtansprüche stellten. Ein reicher Zeitgenosse muss in den Wirren der Zeit sein Vermögen in dem Brunnen vergraben haben, fast 1.000 Jahre später fand er, über einen geschwätzigen Barbesucher, ins Museum.
So froh Archäologen, Historiker und Kulturinteressierte über diese Funde auch sind, so prekär ist die Lage, sowohl der Archäologen wie auch vieler alter Fundstätten und Gebäude insgesamt. Der Sektor ist unterfinanziert, die lizensierten Ausgräber müssen sich von Projekt zu Projekt hangeln, ungewiss, ob sie nach einer Grabungskampagne bald wieder einen Job finden. Noch immer kämpft die Branche darum, dass archäologische Grabungen auch wirklich nur von universitär geschulten Archäologen vorgenommen werden dürfen.
Die Polizei beschäftigt zudem ganze Sondereinheiten damit, den Schwarzhandel und die Außerlandschaffung spanischer Kulturgüter zumindest einzudämmen. Und: Viel von den wiederentdeckten oder erhaltenen Baudenkmälern verfällt oder wird mutwillig zerstört, um Platz für gewinnbringende Bauprojekte zu machen. Die Vereinigung „ Hispania nostra“führt eine endlos lange „ rote Liste“der gefährdetsten Baudenkmäler, auf die fast täglich neue Einträge vorgenommen werden müssen. Mag es auch am Unverständnis von Bürokraten, der Gier von Unternehmen oder der Gleichgültigkeit der Masse liegen, dass viele Spuren der Vergangenheit verloren gehen, tauchen doch immer wieder neue auf. Spanien ist ein Museum, es gibt wohl einfach zu viel des Alten, man kommt nicht hinterher.
Gespannt darf man übrigens sein, was Archäologen in 800 oder 1.000 Jahren anmerken werden, wenn sie unsere Lokale aus der Epoche der Mc-Donalds- und Starbucks-Invasion freilegen, wenn sie neben Plastikgabeln und Clownsschuhen mumifizierte Cheeseburger und Mund-Nase-Masken finden. Mögen sie in ihrem Urteil gnädig mit uns sein.