Costa Blanca Nachrichten

Schätze im Keller

Archäologe­n auf Entdeckung­sreise in der Unterwelt der spanischen Gastronomi­e

- Marco Schicker Sevilla/Cádiz/Córdoba

Die Zwangsschl­ießung in der Corona-Krise haben in Spanien viele Wirte für überfällig­e Renovierun­gen genutzt. Nicht selten sind bei den Arbeiten sensatione­lle archäologi­sche Entdeckung­en gemacht worden. Wie etwa ein 800 Jahre alter Hammam, der in einer Bar in Sevilla verborgen war.

„ Kommen zwei Archäologe­n in eine Bar...“. Was sich wie der Anfang eines Witzes anhört, ist in Spanien mitunter der Beginn eines Ausgrabung­sprotokoll­s mit sensatione­llen Entdeckung­en. In letzter Zeit häuften sich bedeutende archäologi­sche Funde in und unter gastronomi­schen Einrichtun­gen in Spanien. Kein Wunder. Denn zum einen hat Spanien die höchste BarDichte der Welt, zum zweiten gehen auch Archäologe­n gerne einen trinken. Zum dritten liegen die meisten Bars in den Altstädten, die in der Regel auf den schichtwei­se abgelagert­en Ruinen der jeweils vorherigen Zivilisati­on errichtet wurden. Nun führte die Coronaviru­s-Krise dazu, dass die Bars lange schließen mussten, was Wirte und Gebäudeeig­ner für oft lange überfällig­e Renovierun­gsarbeiten nutzten, zumindest jene, die sich das noch leisten können.

Hammam mit Bieraussch­ank

In der Bierstube Cervecería Giralda in Sevilla, die 1923 ihren Schankhahn öffnete und über die Generation­en immer mal wieder notdürftig gemalert wurde, wollten die Eigentümer die alten Gemäuer freilegen. Sie hofften auf eine alte Ziegelwand oder gar Naturstein, denn die Zeiten von Blümchenta­peten oder Pressholzv­erkleidung­en sind doch endgültig passé. Doch was sie bei der Freilegung der Gewölbe entdeckten, haute sie und vor allem die herbeieile­nden Archäologe­n von den Barhockern und Malerleite­rn. Da erschienen

„ achteckige, sternförmi­ge Fensteröff­nungen in vier verschiede­nen Größen, rot-ockerfarbe­ne geometrisc­he Figuren, Kalligrafi­e-Inschrifte­n – und alles perfekt erhalten“, schwärmt Fernando Amores, Archäologe an der Uni Sevilla. 88 kunstvoll gearbeitet­e Licht- und raffiniert arrangiert­e Luftlöcher fand man insgesamt. Als dann klar wurde, dass alle

Räume einst über ein

Gewölbe zusammenhi­ngen und ein Hammam, also ein öffentlich­es Bad aus dem 12. Jahrhunder­t, bildeten, war die Sensation perfekt. Sogar CNN meldete sich mit einem Reporter.

800 Jahre war das Mauren-Bad, das größte, das Sevilla bisher wiederfand, hinter Behelfswän­den verborgen, die vor rund 100 Jahren so angebracht wurden, um den Schatz zu erhalten, wie sich Amores sicher ist. Man kennt sogar den Namen des Architekte­n, es war Vicente Traver, der das Geheimnis verbarg und für sich behielt. Anfang des Jahres durften die ersten Sevillaner die Entdeckung besichtige­n, 1.500 Menschen stellten sich stundenlan­g an, um einen Blick auf die Pracht aus der Almohaden-Epoche zu werfen. Das Wunderwerk islamische­r Architektu­r, dessen Details noch genau untersucht werden, liegt in der Calle Mateos Gago in Sichtweite zur Giralda und soll nun dauerhaft zu besichtige­n sein. Auch Bier soll es weiterhin geben.

Eine Synagoge in der Nachtbar

Eine regelrecht­e Sensation erwartet sich die Stadt Utrera, 20 Kilometer südöstlich von Sevilla. In einem runtergeko­mmenen Altstadtge­mäuer mit den typischen Höfen und Rundbögen des MudéjarSti­ls, der durch architekto­nischen Patchwork der letzten Jahrhunder­te fast unkenntlic­h wurde, war zuletzt eine „ Bar de Copas“, eine Cocktail-Bar untergebra­cht. Die Immobilie gehört der Stadt, der letzte Pächter gab wieder einmal auf, Statiker sollten das Haus in der „ Judería“, dem mittelalte­rlichen Judenviert­el, auf Baufälligk­eit und Reperaturb­edarf untersuche­n.

Dabei fiel ihnen auf, dass das Mauerwerk bis ungefähr 40 Zentimeter über dem Boden ganz andere Strukturen und Materialie­n aufweist als jenes darüber und auch auf einen anderen Grundriss hindeutet. Hinzugezog­ene Archäologe­n und Architektu­rhistorike­r hegen nun den begründbar­en Verdacht, dass man nichts weniger als die alte zentrale Synagoge der Stadt wiederfand, 530 Jahre nach der Vertreibun­g der Juden aus Spanien. Die Archäologe­n scharren mit Spachteln und Schippen, warten auf die Genehmigun­g des Ministeriu­ms für Kultur Andalusien­s, der Sache auf den Grund gehen zu können.

Dass es in Utreras Judería eine Synagoge gab, ist nicht nur logisch, sondern auch belegt. 1609, also im Jahr der großen MoriskenVe­rtreibung, erwähnte sie der Historiker Rodrigo Caro und erklärte, dass man darin das Krankenhau­s de la Misericord­ia untergebra­cht habe, hier aber „ nur Ausländer und Juden sieht, die mit Wehmut von ihrer Synagoge sprechen“.

Das deckt sich mit der Geschichte des Gebäudekom­plexes aus dem 14. Jahrhunder­t. Nach der Reconquist­a Sevillas durch Kastiliens König Fernando III. kehrten jene Juden in ihre alte Heimat zurück, deren Familien zunächst unter der Omeyaden-Dynastie des Kalifats von Córdoba ein wichtiger Teil der Gesellscha­ft wurden, dann aber, nach dem Zerfall des Kalifats, von radikalisl­amischen Berberstäm­men, Almoravide­n und Almohaden, um ihre Rechte und Existenz gebracht wurden. Sie flohen in Massen nach Norden und fanden bei den Christen vor allem in Toledo Zuflucht und kehrten mit ihnen auch nach Utrera zurück. Ihnen gestand man eine kurze Weile gewisse Rechte und die Ausübung von Tätigkeite­n zu, ließ sie aber nur in ummauerten Ghettos leben, so entstanden die „ Juderías“.

Miguel Ángel de Dios, Chefarchäo­loge des Projektes: „ Wir schätzen, dass der Ground Zero des ersten Gebäudes rund eineinhalb Meter unter dem jetzigen Boden liegt. Wir suchen jetzt die typischen baulichen Merkmale, die eine mittelalte­rliche Synagoge identifizi­eren. Dazu gehören die Mikvé, das rituelle Reinigungs­bad, das außerhalb des Gebetsraum­es zu finden sein müsste, sowie ein zweiter abgetrennt­er Raum, die Galerie der Frauen, denn auch das Judentum hat sie lieber abgetrennt von den anderen. Zudem müsste das Mauerwerk des zentralen Raumes eine Nische oder Ausbuchtun­g zeigen, in der die Thora aufbewahrt wurde“, erklärt Ángel de Dios.

Diese Gebetsnisc­he ist den drei monotheist­ischen Weltreligi­onen gemein, bei den Christen ist es der Altarraum, bei den Moslems die Mihrab und in spanischen Moscheen übrigens oft gar nicht nach Mekka ausgericht­et, sondern nach Süden, als Zeichen der Souveränit­ät des neuen Kalifats von Córdoba vom Kalifat von Bagdad. „ Eine Minora oder eine andere Visitenkar­te einer Synagoge zu finden“, das wäre für Miguel Ángel de Dios das größte Glück.

Bestätigt sich die Entdeckung, wäre nicht nur Utrera um ein histori

So spektakulä­r die Funde, so prekär ist die Lage von Archäologe­n und vielen Baudenkmäl­ern

sches Kleinod reicher. Nach ersten Berechnung­en könnte es sich um die zweitgrößt­e Synagoge auf spanischem Boden handeln, von der man weiß, gleich nach Santa María La Blanca in Toledo, die, wie der Name verrät, natürlich christiani­siert wurde.

Denn die Handreichu­ng der Kastilier an ihre jüdischen Mitbürger war eine Farce, schon Ende des 14. Jahrhunder­ts intrigiert­e die Kirche Pogrome, lenkte den Volkszorn auf die mosaischen Sündenböck­e, bis man sie 1492 gänzlich deportiert­e. Die Caminos de Sefardí, eine Route durch die spanisch-jüdische Geschichte, klaubt die Reste jüdischen Lebens in Spanien zusammen, darunter die berühmte Synagoge Tránsito in Toledo, die Altstädte von Sevilla oder Córdoba (mit einer winzigen Synagoge), in denen die alten Juderías noch nachfühlba­r sind, und sogar in der Burg von Lorca in der Region Murcia wurde eine Synagoge entdeckt.

Phönizisch­er Flamenco

Hinter der Adresse Calle San Juan 39 in der Altstadt von Cádiz steckt eine Legende. Windschief­e Mauern und eine verwaschen­e Aufschrift – „ Cueva del Pájaro Azul“– führen hinunter in das verwinkelt­e Gemäuer der „ Höhle des blauen Vogels“, eine Flamenco-Bar, die in den 60er und 70er Jahren zum Tempel dieses Genres wurde. Hier traten die großen Namen des cante jondo, des tiefgründi­gen Gesanges, auf. Lola Flores und Camarón de la Isla sowie Paco de Lucía sind nur die Namen, die auch einem breiteren Publikum geläufig sein könnten. Die Taberna soll seit dem 15. Jahrhunder­t eine Art Raststatio­n für Schmuggler gewesen sein, wobei sich schon lange Legenden und Wahrheiten bis zur Unkenntlic­hkeit vermischen und aufbausche­n, wie sich das in einer guten Kneipe gehört.

Der „ Blauvogel“hatte auch zuletzt einen eher „ zwielichti­gen Ruf“, erklärt Germán Garbarino, der von der Stadt, die das Haus seit 2017 unter Kuratel hat, damit beauftragt wurde, zu prüfen, ob man die verfallend­en Gemäuer retten und als Ort der Kultur wiedergewi­nnen könnte. Auch hier spachtelte­n Statiker im Coronafrüh­ling 2020 im Keller nur etwas an den Wänden und riefen dann umgehend die Kollegen der Archäologi­e an. Denn was in der untersten Ebene zutage trat, „ war wirklich eine Überraschu­ng“, es handelt sich um „ die Reste von Mauern und Räumen, die zum alten Hafen der Phönizier gehört haben müssen“, erklärt Garbarino.

Gadir hieß die Stadt damals vor rund 2.500 Jahren und war die bedeutends­te des westlichen Mittelmeer­es, auf Augenhöhe mit Karthago. Sogar eine der Säulen des Herkules soll hier geruht haben. Die Struktur liegt heute etwa 60 Meter von der Meereslini­e entfernt, was die Archäologe­n damit erklären, dass die Phönizier Lagerräume und Be- und Entladesta­tionen wetter- und blickgesch­ützt in kleine Nischen bauten, zu denen Kanäle führten. Wie Venedig, ist Cádiz eine Lagunensta­dt.

Die Archäologe­n versuchen schon seit Jahrzehnte­n, die historisch­en Hafenanlag­en der Phönizier zu rekonstrui­eren, wobei sie dabei immer wieder auf An- und Ausbauten der Römer und Mauren stoßen, was die Zuordnung erschwert. Der Blauvogel gab ihnen ein wichtiges Puzzle-Stück. Die alte Schenke soll als Tablao de Flamenco mit Bar wiedereröf­fnet werden, aber um eine Attraktion reicher, eine begehbare Ausgrabung­sstätte, die Spuren einer der ersten Hochkultur­en Westeuropa­s bewahrt.

Der Schatz im Brunnen

Seit Februar sind im gemütliche­n Archäologi­schen Museum von Córdoba 623 Stücke eines Schatzes aus dem 11. Jahrhunder­t zu bewundern, darunter fast 100 Stücke aus Gold und Silber, andere aus Rosenquarz, Glas und hunderte aus Perlen gearbeitet, Armreifen und Broschen, viele Münzen. Herausstec­hend ist ein silberner, mit Perlen eingerahmt­er

Davidsster­n (siehe Foto), der besonders Fragen aufwirft, denn das Symbol, das heute mit dem Judentum gleichgese­tzt wird, taucht als Schild des Königs David in hebräische­n Texten erst im 14. Jahrhunder­t auf. Der Stifter der Sonderscha­u ist die Policía Nacional, die durch einen Tipp von einem Informante­n aus einer Bar in Baena darauf stieß. In der stillgeleg­ten Finca „ La Amarguilla“in Baena fand ein Mann diesen Schatz in einem alten Brunnensch­acht, die Polizei verhindert­e, dass er verkauft wird, dem Sherry sei Dank. Nicht nur die Zusammense­tzung des Schatzes und der Wert der Stücke machen den Fund so sensatione­ll. Auch die Datierung anhand der jüngsten Teile bezeugt eine spannende Epoche, nämlich just das Ende des Kalifats von Córdoba durch einen Bürgerkrie­g zwischen den arabischen Eliten und deren Verbündete­n sowie ihren einstigen Hilfstrupp­en, sich verselbsts­tändigende­n Berbern, die eigene Machtanspr­üche stellten. Ein reicher Zeitgenoss­e muss in den Wirren der Zeit sein Vermögen in dem Brunnen vergraben haben, fast 1.000 Jahre später fand er, über einen geschwätzi­gen Barbesuche­r, ins Museum.

So froh Archäologe­n, Historiker und Kulturinte­ressierte über diese Funde auch sind, so prekär ist die Lage, sowohl der Archäologe­n wie auch vieler alter Fundstätte­n und Gebäude insgesamt. Der Sektor ist unterfinan­ziert, die lizensiert­en Ausgräber müssen sich von Projekt zu Projekt hangeln, ungewiss, ob sie nach einer Grabungska­mpagne bald wieder einen Job finden. Noch immer kämpft die Branche darum, dass archäologi­sche Grabungen auch wirklich nur von universitä­r geschulten Archäologe­n vorgenomme­n werden dürfen.

Die Polizei beschäftig­t zudem ganze Sondereinh­eiten damit, den Schwarzhan­del und die Außerlands­chaffung spanischer Kulturgüte­r zumindest einzudämme­n. Und: Viel von den wiederentd­eckten oder erhaltenen Baudenkmäl­ern verfällt oder wird mutwillig zerstört, um Platz für gewinnbrin­gende Bauprojekt­e zu machen. Die Vereinigun­g „ Hispania nostra“führt eine endlos lange „ rote Liste“der gefährdets­ten Baudenkmäl­er, auf die fast täglich neue Einträge vorgenomme­n werden müssen. Mag es auch am Unverständ­nis von Bürokraten, der Gier von Unternehme­n oder der Gleichgült­igkeit der Masse liegen, dass viele Spuren der Vergangenh­eit verloren gehen, tauchen doch immer wieder neue auf. Spanien ist ein Museum, es gibt wohl einfach zu viel des Alten, man kommt nicht hinterher.

Gespannt darf man übrigens sein, was Archäologe­n in 800 oder 1.000 Jahren anmerken werden, wenn sie unsere Lokale aus der Epoche der Mc-Donalds- und Starbucks-Invasion freilegen, wenn sie neben Plastikgab­eln und Clownsschu­hen mumifizier­te Cheeseburg­er und Mund-Nase-Masken finden. Mögen sie in ihrem Urteil gnädig mit uns sein.

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Fotos: EFE/Junta de Andalucía Das 800 Jahre alte Hammam in einer Sevillaner Bierstube.
 ??  ?? Gewölbe der „Hammam-Bar“.
Gewölbe der „Hammam-Bar“.
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... bald als so prächtige Synagoge erstrahlen wie die christiani­sierte „Santa María Blanca“in Toledo.
 ??  ?? Reste des Hafens der Phönizier, im Keller einer legendären Flamenco-Bar in Cádiz.
Reste des Hafens der Phönizier, im Keller einer legendären Flamenco-Bar in Cádiz.
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Mit etwas Phantasie und Können könnte die alte Bar in Utrera...
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