Liebe Leser,
seit Oktober stromern Willem und Victoire –
die französische Aussprache ist ihr wichtig –
durch Spanien. Ich treffe sie in einer kleinen Bar mit billiger Pension in Antequera, mitten im tiefen Andalusien. Die beiden sehr agilen Ü70-Holländer sind das, was Strategen neuerdings „ turistas energéticos“, vulgo Energiepreisflüchtlinge nennen, eine angesagte Zielgruppe außerhalb der Hochsaison. Gut, Willem und Victoire nagen nicht am Hungertuch, sind finanziell unabhängig, wie man in diesen Kreisen Reichtum diskret umschreibt. „ Aber warum soll ich im Monat 1.500 Euro für Strom in unserem Haus ausgeben? Schalten wir das ab und fahren nach Spanien, hab’ ich zu meinem Mann gesagt.“Der lacht: „ Das Geld vertrinken wir lieber hier mit leckeren Tapas“. Während ich noch halluziniere, wie groß das Anwesen der beiden in Holland bei einer derartigen Stromrechnung wohl sein wird, erzählen sie mir von Golfplätzen in Calpe und Marbella, dem Ferienhaus in San Pedro und ihrem Neffen „ mit Penthouse“in Villajoyosa, den sie morgen überraschen wollen. Sie waren auch schon in den USA „ von Küste zu Küste“unterwegs, „ aber das Essen dort ist furchtbar“, meint Willem. Er fährt einen 26 Jahre alten Volvo, „ mehr brauchen wir nicht“, sagt er und „ hinten passt gut die Golfausrüstung rein“, ergänzt Victoire. Sie stellen fest, dass, je weiter sie ins Inland fahren, „ die Menschen lustiger und die Preise niedriger werden“und es so viel zu sehen gibt: „ Spanien ist wie ein Kontinent mit lauter Überraschungen, wir lieben das Land“, beteuert Willem seine Begeisterung und bestellt noch eine Flasche Wein. In unserer Zeitung hat er über den Wassermangel gelesen, wundert sich aber über „ die Unmengen Olivenbäume“. Fast schüchtern fragt er, was die Kellnerin hier wohl verdient. Etwa zwei Drittel seiner Stromrechnung. Bald geht es zurück in die Heimat, „ doch nächster Winter wieder Spanien“, sind sich beide einig. Victoire schießt ein Erinnerungsfoto.
„ Die Menschen hier sind nicht reich, aber scheinen glücklicher als bei uns, sie machen nicht aus jedem Nichts ein Problem“, fasst Willem seine Erlebnisse – und Spanien – in einem weisen Satz zusammen.