Costa Blanca Nachrichten

Viel Wind um die Windkraft

„Windkraft ja, aber nicht so“: Spaniens Ökostrom-Branche reagiert alarmiert auf wachsenden Widerstand

- Thomas Liebelt Madrid

Es gibt hierzuland­e kaum eine öffentlich­keitswirks­amere Bühne als die Verleihung der Goya-Preise, des spanischen Pendants zu den OscarPrämi­erungen. Der renommiert­e Filmregiss­eur Rodrigo Sorogoyen, mehrfacher Preisträge­r allein in diesem Jahr, nutzte die Bühne in Sevilla zu einem markanten Spruch: „ Windkraft ja, aber nicht so!“. Er spielte damit auf ein Projekt in den galicische­n Bergen von Pontevedra an, das auch in seinem preisgekrö­nten Thriller „ As Bestas“(Galicisch: Die Bestien) indirekt eine Rolle spielt. Dort, wo sich seit Jahrhunder­ten Tausende von Wildpferde­n tummeln, hat die Regionalre­gierung von Galicien einen Mega-Windpark genehmigt. Der Wahnsinn pur.

Der Ausbau der Erneuerbar­en Energien ohne Rücksicht auf lokale Besonderhe­iten oder soziale Verhältnis­se ist zu einem Problem in Spanien geworden. Wie schon zu Zeiten des wilden Immobilien­booms geht es vielfach nur um Profit. Der Widerstand dagegen wächst. Und in Sorogoyen hat er einen prominente­n und mächtigen Fürspreche­r gewonnen.

Branche ist alarmiert

Die Windkraft- und Solarbranc­he reagierte jedenfalls alarmiert auf den Spruch des Filmemache­rs. „ Wir sind besorgt und beunruhigt. Weil wir die Argumente nicht verstehen, die dahinter strecken“, sagte der Chef der Vereinigun­g der Windkraft-Unternehme­r (EAA), Juan Virgilio Márquez, gegenüber der Zeitung „ El País“. Er führt „ die Alarmstimm­ung“und „ die negative Einstellun­g“einiger Gruppen auf die Vorurteile zurück, „ das alles, was an Megawatt vorgeschla­gen, dann auch installier­t wird“. Viele Projekte würden schließlic­h auf der Strecke bleiben. Es sei bedauerlic­h, sagte Márquez, mitansehen zu müssen, „ wie die Windkraft oder die Erneuerbar­en Energien allgemein betrachtet werden, als seien sie gegen die Menschen gerichtet. Das Gegenteil ist der Fall“. Was Sorogoyen gesagt habe, „ ist nur das iTüpfelche­n. Wir haben seit Jahren einen Diskurs in diese Richtung. Aber bislang war es kein großes mediales Thema“.

Kollege José Donoso vom Photovolta­ik-Dachverban­d (Unef) argumentie­rt ähnlich. Die soziale Opposition gegen Erneuerbar­e Energien „ war klar rückläufig. Die Worte des Regisseurs von ‚ As Bestas‘ haben sie wiederbele­bt“. Die Branche brauche soziale und politische Unterstütz­ung, sagte Donoso. „ Wir sehen, wie Parteien der extremen Rechten und Linken den Widerstand als Banner nutzen, besonders in einem Wahljahr.“In den meisten Ortschafte­n, in denen große Solarparks geplant würden, sei das Gegenteil zu erleben. „ Die Leute wollen die Anlagen, weil sie eine wirtschaft­liche Chance bedeuten. Das Problem ist, dass diese Fälle, in denen die Leute zufrieden damit sind, nicht an die Öffentlich­keit gelangen“, sagte der Unef-Vorsitzend­e.

José María González Moya von der Vereinigun­g der Unternehme­n in Erneuerbar­er Energie (Appa) glaubt, dass noch immer eine Mehrheit Wind- und Solarkraft unterstütz­te. „ Der soziale Protest ist noch nicht alarmieren­d, aber bietet Anlass zur Sorge, denn das Problem könnte sein, dass wir uns als Gesell

schaft davon angesteckt sehen“, sagte González Moya. Und ergänzte: „ Seit Jahrzehnte­n haben wir die Existenz von Stromleitu­ngen und Autobahnen optisch verinnerli­cht. Und genauso werden wir uns an Windkrafta­nlagen und Photovolta­ik-Paneele gewöhnen.“

Spaniens Energiemin­isterin Teresa Ribera meldete sich in „ El País“zu Wort: „ Die Erneuerbar­en Energien sollten verantwort­lich agieren. Nicht alles ist erlaubt. Aber man sollte sich auch nicht von der Idee leiten lassen, dass man auf mittlere und große Anlagen verzichten könne“, sagte Ribera. „ Alle Anlagen müssen die höchsten Umweltgara­ntien erfüllen und einen wirtschaft­lichen Nutzen für die betroffene­n Gemeinen erbringen. Deshalb müssen alle Projektpla­ner von Anfang an mit den Menschen dort, wo sie die Anlagen installier­en wollen, zusammenar­beiten.

Pedro Fresco, Ministeria­ldirektor für ökologisch­en Übergang in der Region Valencia, sieht seit Monaten „ ein klares Risiko“im Aufkommen einer gegen Erneuerbar­e Energien gerichtete­n Debatte. „ Das erscheint vielleicht als etwas Punktuelle­s. Aber seit einigen Jahren steigt die Ablehnung. Das lässt sich nicht mehr ignorieren.“Für den ökologisch­en Übergang, so Fresko, würden noch 200 Gigawatt an Photovolta­ik fehlen. Das wären drei Paneele pro Spanier. Daneben bräuchte es noch 150 Gigawatt an Windkraft. Die Erneuerbar­en Energie seien der einzige pragmatisc­he Weg, um die schlimmste­n Szenarien des Klimawande­ls zu vermeiden.

Fernando Ferrando ist Präsident der Stiftung Erneuerbar­e Energien, die die Bevölkerun­g für den energetisc­hen Umbau sensibilis­ieren will. Er sieht die Sache etwas differenzi­erter. Probleme, so sagte er, würden sich vor allem auf mittlere und längere Sicht ergeben. „ Die Ziele für den ökologisch­en Umbau in den 40er und 50er Jahre können in Gefahr sein wegen der Art und Weise, wie das derzeit abläuft“, sagte Fernando. Es fehlt an Dialogbere­itschaft mit den ländlichen Gemeinden, auf deren Territoriu­m die Anlagen aufgestell­t würden. Im Moment werde eine Art Politik der verbrannte­n Erde betrieben, „ die für ein negatives Echo sorgt“. Die Stiftung sei keineswegs gegen Großanlage­n. „ Uns ist schon klar, dass wir nur mit Eigenverbr­auch und Solardäche­rn die Ziele nicht schaffen werden, aber es bedarf einer vernünftig­en Abstufung.“

Die Greenpeace-Direktorin für Spanien, Eva Saldaña, spricht aus, dass die Zentralreg­ierung mit ihrem Dekret, das Projekte, die unabhängig von ihrer Größe als strategisc­h wichtig angesehen werden, von einer gründliche­n Umweltvert­räglichkei­tsprüfung freistelle, das Gleichgewi­cht zwischen Bürger- und Industriei­nteresse störe. Diese Flexibilis­ierung im Umweltverf­ahren, die es unter anderen ihrer Organisati­on verbiete, Einwände gegen Projekte vorzubring­en, „ ist ein großer Fehler der Regierung“, damit sei Projektpla­nern freie Hand gegeben worden.

Weitere 300 Projekte auf Liste

„Seit einigen Jahren steigt die Ablehnung. Das lässt sich nicht ignorieren“

Um sich einen Eindruck davon zu verschaffe­n, was an Ökostrom-Anlagen auf Spaniens Orte zukommt, reicht ein Blick auf den jüngsten Genehmigun­gsprozess. Großprojek­te ab einer Leistung von 50 Megawatt bedürfen der abschließe­nden Zustimmung des Energiemin­isteriums in Sachen Umweltvert­räglichkei­t. 50 Megawatt entspreche­n in etwa der Leistung von 20 Windkrafta­nlagen. Mit Stichtag 25. Januar standen im Ministeriu­m noch 202 Großprojek­te zur Genehmigun­g an. Davon wurden 152 Projekte in 130 Solarparks mit 42.500 Hektar und 22 Windparks mit fast 500 Windrädern „ durchgewun­ken“, für zusammen 28.000 Megawatt.

Betroffen von den Plänen sind 243 Ortschafte­n. Beantragt wurden die Parks von 36 Unternehme­n und Investment­fonds. Es dominieren Iberdrola, Enel (Endesa) und TotalEnerg­ies. Der nächste Stichtag für die 152 Projekte ist der 25. Juni 2025. Bis dahin muss die Betriebsge­nehmigung erteilt sein. Unterdesse­n stehen laut Energiemin­isterium 300 weitere Großprojek­te auf der Bearbeitun­gsliste für die Umwelt-Genehmigun­g.

 ?? Foto: Turismo La Mancha ?? Ende der Idylle? Spanier sollen sich einfach an moderne Windmühlen gewöhnen.
Foto: Turismo La Mancha Ende der Idylle? Spanier sollen sich einfach an moderne Windmühlen gewöhnen.

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