Zwischen Kitsch und Kunst
Tradition, Feuer, Superlative und bissige Satire: Das sind die Fallas und ihre größten Figuren
Entweder man liebt sie oder man hasst sie, eine Grauzone gibt es nicht. In jedem Fall drücken die Fallas das valencianische Lebensgefühl aus wie sonst keine andere Fiesta: Es lärmt, posaunt, kracht, raucht, bebt und brennt vom 15. bis 19. März in der Landeshauptstadt. Gesehen haben sollte jeder dieses bunte und komische Fest wenigstens ein Mal – allein schon, um entscheiden zu können, ob man sich zu den Liebhabern oder zu den Hassern zählt.
Die Riesenfiguren aus Holz und Pappmaché locken jedes Jahr Millionen Besucher in die Stadt, Hotels und Pensionen sind Monate im Voraus ausgebucht. 2023 ist die Vorfreude auf das valencianische Fest der Feste noch größer, schließlich sind es die ersten Fallas ganz ohne Corona-Masken oder sonstige Überbleibsel der Pandemie.
Für auswärtige Gäste ist es allerdings bisweilen schwierig, das Fest zu begreifen. Die Fallas läuten das Winterende ein und feiern den nahenden Frühlingsbeginn, so viel steht fest. Doch die meterhohen Figuren stehen auch für Satire und zugegebenermaßen etwas eigenwillige – Kunst. Ähnlich wie der Karneval in Deutschland nehmen sie Politiker aufs Korn und ziehen in Form von einzelnen Figuren, den sogenannten Ninots, durch den Kakao, wer in Valencia, Spanien, Europa und der Welt das Sagen hat. Zentrale Themen dieses Jahr sind natürlich der Ukraine-Krieg, die Inflation, der Strompreis, aber auch die Schwierigkeiten, eine bezahlbare Wohnung zu finden und der Klimawandel. Es geht um Macht und um Habgier – und um das Superwahljahr.
Spätestens am Tag der plantà (Aufstellen) am Mittwoch, 15. März, müssen die knapp 600 großen und kleinen Figuren der 273 Fiesta-Kommissionen mit einem Gesamtwert von über 8,5 Millionen Euro stehen. Fünf Tage lang mokieren sich die Figuren zwischen Kitsch und Kunst über Missstände, bevor sie am Josefstag, in der Nacht vom 19. auf den 20. März, in Flammen aufgehen. Zuvor allerdings wählt eine Jury die besten Werke in jeder Kategorie, für die Falleros ein ähnlich bedeutender Moment wie die Ziehung der Weihnachtslotterie. Bei der Verbrennung, der cremà, fließen nicht selten Tränen bei den Fiestaleuten: Für die Falleros bedeutet sie den Beginn eines neuen Zyklus.
Fünf Tage steht die Stadt
Kopf. Es kommen Stierkämpfer und Rockstars und meist auch ranghohe Politiker aus Madrid.
2023 sollen die Fallas der Superlative werden, trotz Krise. Knapp eine halbe Million Euro etwa sind für Pyrotechnik einge
Es lärmt, raucht und brennt: Die Fallas sind valencianisches Lebensgefühl
plant, sei es bei den täglichen Böllerkonzerten – mascletàs – um 14 Uhr auf dem Rathausplatz, den nächtlichen Feuerwerken – castillos – oder der Nit del Foc, der
„ Feuernacht“vom 18. auf den 19. März mit einem 19 Minuten langen Pyrotechnikspektakel, das allein 75.000 Euro verschlingt.
Mehr als 100.000 Falleros schmeißen sich während des Stadtfests in Schale – die Frauen mit Reifröcken und an den Ohren zu Schnecken aufgedrehten Haaren, die Männer in Kniebundhose und mit Kopftuch. Dazu kommen über 300 Musikkapellen, die Tag und Nacht aus ihren Instrumenten herausholen, was diese so hergeben.
Wer nun während der Fallas nach Valencia fährt, will freilich vor allem die riesigen Figuren sehen. Mittendrin, aber außer Konkurrenz, steht das immer sehenswerte Fallas-Monument auf dem Rathausplatz (siehe Thema der Woche), die falla municipal.
Bei den Fallas wird nicht gekleckert, sondern geklotzt – besonders in der Königsklasse, der Sección Especial. Mitten im Boom durfte eine dieser Figuren noch gut und gerne 900.000 Euro kosten, heute müssen mindestens 90.000 investiert werden, um „ Especial“zu sein. Neun Fallas treten in dieser Kategorie an, es sind die größten,
die teuersten, die von den
prestigeträchtigsten Falla-Bauern. An diesen Figuren herrscht für gewöhnlich der größte Andrang, die meisten stehen im Stadtzentrum.
Der Name der Falla steht in der Regel für die Straßenkreuzung, an der die Figur aufgebaut ist. Neben der großen Falla ist immer eine kleine zu sehen, die sogenannte Falla infantil, Kinderfalla. Die Kommissionen einer jeden Klasse liegen im Wettstreit, eine Jury entscheidet, wer die beste Falla gebaut hat.
Figuren der Königsklasse
Den Titel verteidigen will dieses Jahr die Falla Convent JerusalénMatemático Marzal, die den dritten Sieg in Folge anstrebt. Pere Baenas heißt der Künstler, den die Kommission zum sechsten Mal unter Vertrag nimmt. „ Por un puñado de euros“, für eine Handvoll Euro, heißt sein Werk dieses Jahr, gekostet hat die Figur etwas mehr als eine Handvoll Münzen: Mit 255.000 Euro ist sie die teuerste Falla. Dafür bekommen die Besucher immerhin eine Reise in den Wilden Westen, samt Cowboys und Indianern, Pferden und Geiern, Sheriff, Saloon-Tänzerin und Bestatter – allesamt bewaffnet. Jeder hackt irgendwie auf jemandem herum, es geht um den Kampf der Menschen gegeneinander, um Egoismus, das Prinzip „ der Starke nimmt dem Schwachen noch sein letztes Hemd“. Ein Monument gegen Habgier, Egoismus, Ausbeutung – so bunt, so scheinbar fröhlich, wie Sozialkritik nur in der Fallas-Welt sein kann.
Bunt wird es auch bei der Falla L’Antiga de Campanar mit dem Motto „ Som de colors“, wir sind aus Farbe, gebaut für 170.000 Euro von Carlos Carsí. Vier Frauen sind die Protagonistinnen, eine rothaarig, eine weiß, eine dunkelhäutig, eine mit blauem Schopf. Eine
Hommage an die Vielfältigkeit, wären da nicht die kleinen Wesen mit Kapuzen, die Unruhe stiften.
Ebenfalls 170.000 Euro kostet die Falla der Kommission Plaza del Pilar, die dieses Jahr vor allem eins will: überleben. „ We will survive“von Paco Torres repräsentiert den ewigen Zwiespalt zwischen Sorge und Frust auf der einen Seite und Träumen und Glück auf der anderen. Dieser alltägliche Konflikt prasselt ein auf eine Erde, die von den Menschen – dargestellt als Zombies – ausgebeutet wird. Ein Blick lohnt sich auch auf
den hinteren Teil der Falla, die Kritik übt an falschen (Schönheits-)idealen, der Suche nach der ewigen Jugend, dem Versuch, etwas zu sein, das man gar nicht ist.
Noch bunter als gewohnt wird die Falla der Kommission Exposición-Micer Mascó für 160.000 Euro. Künstler David Sánchez Llongo hat sie schlichtweg „ Kromática“, chromatisch, genannt und lässt die Figuren zwischen menschlichen und Fabelwesen denn auch mit Farben, Pinseln und Paletten spielen.
Ein vierblättriges Kleeblatt präsentiert die Falla Na Jordana für
150.000 Euro. Die vier Seiten von „ Clover Earth“stehen für Hoffnung, Glaube, Liebe und Glück. Künstler Mario Gual hat mit seiner Falla ein zauberhaftes Märchendorf voller Feen, Zwerge und Einhörner kreiert, in dem ein Bürgermeister ein Kleeblatt findet, das ihm und seiner Stadt Glück bringen soll. Daraufhin beschließt das Stadtoberhaupt, Fallas aufzustellen – offenbar die höchste Form des Glücks.
Das Leben feiert die Falla Cuba Literato Azorín mit „ Vida“. Bisher hat Künstler Vicente Martínez Aparici das Projekt nur in einer
Schwarz-Weiß-Zeichnung vorgestellt, man darf also auf die Farben gespannt sein. Im Mittelpunkt der Figur steht eine schwangere Frau, quer durch die Falla ist ein komplettes Menschenleben nachgezeichnet: Vom Fötus im Mutterleib bis zum Tod.
Macht, Sex und Sport
Nach Asien geht es mit der Falla Sueca Literato-Azorín. Im AniméStil türmen sich die Ninots auf, der Namen „ Crisitunidad“setzt sich aus den Wörtern „ Crisis“und
„ Oportunidad“zusammen, es geht um die Ideen und Chancen, die aus Krisen, Kriegen, Pandemien hervorgehen können. Im Zentrum steht ein riesengroßes junges asiatisches Paar, das seine Kinder und Haustiere in Schöpfeimern trägt. Kosten: 140.000 Euro.
Kritik an den Mächtigen übt die Falla Almirante Cadarso, die das 140.000 Euro teure Werk von Antonio Pérez Mena ironisch
„ Que no pare la música“getauft hat. Im Mittelpunkt steht ein König, den nur sein eigenes Vergnügen interessiert, er ist umgeben von Musen und Narren, die ihm die Melodien vorspielen, die ihn interessieren: Macht, Sex und gigantische Sportveranstaltungen.
Mit Abstand die kleinste, also günstigste Falla, stellt jedes Jahr die Kommission Reino de Valencia – dieses Jahr mit 92.000 Euro Budget. „ Llámalo amor, llámalo X“, nenn es Liebe, nenn es X, verspricht, schlüpfrig zu werden. Es geht um intime Beziehungen, Künstler Sergio Musoles hat sich dabei von der indischen Liebeskunst inspirieren lassen. Eine der Figuren: Ein Fakir, der nicht auf einem Nagelbrett sitzt, sondern auf einer großen Steckdose, die an seinem Hintern angeschlossen ist – die Stromrechnung ist dieses Jahr schmerzhafter als ein paar Nägel.