Der Apfel fällt nicht weit
Kulinarische Rundreise durch Spaniens Regionen: Asturien
Oviedo – mar. Asturien ist nicht nur eine Region, sondern ein Fürstentum, ein Principado, das dem jeweiligen spanischen Thronfolger zugeteilt ist, also derzeit Leonor de Borbón, der Prinzessin von Asturien. Bei offiziellen Auftritten in der nördlichen Region sah man in ganz TV-Spanien Heidi-Bilder aus den kantabrischen Alpen, sattgrüne Wiesen und Täler, die typischen Häuser und natürlich das ländliche Leben mit dicken Würsten und spritzigem Sidra, dem Apfelwein, der in Asturien besonders urig zelebriert wird und eine ganze Landschaft prägt.
Hat man durch das kantabrische Meer auch einen Zipfel Atlantikwasser, wollen wir die Meeresfrüchteküche doch den Galiziern überlassen und auch die berühmten „ Chuletones“, die in Asturien auf fetten Weiden noch im Ganzen grasen. Es ist die ländliche, bäuerliche Küche in den Tälern und Bergen, die der Küche Asturiens in ganz Spanien einen besonderen Klang verlieh und die wusste, diesen Ruf zu nutzen. Denn in kaum einer Stadt, auch nicht entlang des Mittelmeeres, fehlt es an einem asturischen Restaurant.
Dabei reichen die Aufzeichnungen über die Küchengeschichte gar nicht allzu weit zurück und erreichen uns erst ab dem 18. Jahrhundert, während wir die Küchen Andalusiens, der Mancha und sogar Murcias dank der Berichte von Römern, Juden und Mauren tausende Jahre zurückverfolgen können. Viele asturische Gerichte teilen sich ihre Geschichte mit Kantabrien und Galizien, vor allem aber mit León, an dem Asturien jahrhundertelang hing und das lange wichtiger war als die heutige Hauptstadt Oviedo, die mit der Hafenstadt Gijón fast eine urbane Einheit bildet.
Natürlich kennen alle die Fabada asturiana (siehe Rezept am Ende), den Bohneneintopf, der Üppigkeit wie Feinheit im Geschmack und Einfachheit durch wenige gute Zutaten auf eine Weise verbindet, die ihn vielleicht zu dem Vorzeige-Eintopf der spanischen Küche insgesamt, einem UrEintopf machen. Denn im Grunde bauen alle auf den Bausteinen der Fabada auf, wie die barocken auf den romanischen Gewölben der hiesigen Kirchen. Es gibt die „ fabas“auch mit Almeja-Muscheln fast schon elegant oder auch als
pote asturiano, sozusagen die geländegängige Variante der Fabada, in die dann möglichst alles von Stall und Feld wandern darf, das sich nicht wehren kann. Die callos asturianos, also die Flecken- oder Kuttelsuppe, zieht der Gourmet der ebenso berühmten hauptstädti
schen Variante vor, neben dem Kuhmagen gehören – aber nur als Gewürze – hinein: Paprikawurst (chorizo), Schinken (jamón), Knoblauch, Lorbeer, Zwiebel und Paprikapulver, wobei die Kutteln möglichst noch einen Tick bissfest geblieben sind und nicht gallertar
tig zerfallen wie in der Madrider Variante leider zu häufig.
In Asturien können Sie sogar ein Cordon bleu bekommen, denn der ebenfalls berühmte cachopo ist im Grunde nichts anderes. Zwischen zwei dünne Rinderfilets kommen eine Scheibe iberischer Schinken und eine Scheibe Käse, das Ganze wird gut zusammengepresst, mehliert, in Ei geschwenkt, paniert und ausgebacken. Dazu gibt es oft frittierte Kartoffeln, Salat oder ein paar Paprika. Auch eine Art Schnitzel hat Asturien zu bieten, die escalopines al cabrales, Rinderschnitzel frittiert, serviert mit einer deftigen Käse-Sahne-Sauce des „ cabrales“, eines Blauschimmelkäses.
Eine gefiederte Besonderheit des Principado ist der pitu de caleya, das sind besonders große asturische Hühner, die offiziell nicht gefüttert werden dürfen, sondern sich von Saat, Gräsern, Obst und Insekten am Wegesrand ernähren. Aufgrund der hohen Nachfrage halten sich aber nicht alle Bauern an diese Vorgabe. Die autochtone
Rasse kommt auf bis zu sechs Kilogramm Gewicht, ihr Fleisch ist fester und dunkler als jenes des gemeinen Stallhuhns, geht eher schon in Richtung Rebhuhn oder Flugente. Der „ pitu de caleya“gibt einem geradezu fürstlichen Schmortopf den Namen, in dem das Tier ganze zwei Stunden köchelt, zusammen mit je einem Glas Sherry und Brandy, grüner Paprika, einer Knoblauchknolle, Öl und Pfeffer. Das Tier wird einen Tag vorher mariniert und selbst dann braucht es noch recht lange, um gar zu werden, ist aber, so zubereitet, ein besonderer Schmaus. Wie bei vielen spanischen Eintöpfen werden Fleisch und Brühe getrennt verspeist. Zuvor gibt es vielleicht als aperitivo einen pastel de cabracho, ein Paté auf Basis des Seehechts Merluza, dessen „ Reste“mit Paprika, Tomate und Sellerie eingekocht und dann in Form gebracht werden.
Kochen mit Sidra
Natürlich wird, so wie im Rioja mit Wein, in Asturien mit Sidra
gekocht, die feinfruchtige Säure nicht nur geschmacklich nutzend. Denn die chorizo a la sidra, ein deftiger Klassiker der Tapas-Bars in ganz Spanien, braucht schon die Apfel-Enzyme, um eine Verdauung überhaupt theoretisch möglich zu machen. Auch Fische wie den Merluza aus dem Atlantik bereitet man gerne in Sidra-Saucen zu, vor allem im Ofen; sie paaren sich auch geschmacklich freudigst mit Kartoffeln und Zwiebeln. Zur Familie gehört auch der bollo preñao, eine kleiner Brotlaib, in den ein chorizo eingebacken wird. Serviert wird er selbstverständlich mit einer Flasche Sidra. Der Apfel, das sehen wir schon, fällt in Asturien nicht weit vom Stamm. Nämlich gleich ins Fass oder in den Topf.
Maisbrote wie die tortos de maíz und überhaupt eine abwechslungsreiche, an mitteleuropäische Lande erinnernde Brotkultur auf Basis von Sauerteigen, runden die reiche Tafel Asturiens ab. Zum Dessert gibt es moscovitas („Moskauer“Schoko-Mandelgebäck) und den Milchreis, arróz con leche, den die Asturianer als ihre Erfindung reklamieren, auch wenn der Reis dazu aus dem Ebro-Delta und das Zimt aus dem Orient kamen. Denn ohne Milch von asturischen Bergkühen sei ein Milchreis nicht denkbar.
Im hohen Bogen ins Glas
Doch natürlich ist der Sidra das Getränk Asturiens. Hier schwört man auf eine Fermentierung im Fass in der Lagar, der Obstpresse, nach der auch die Schänken mitunter benannt sind. Anstelle in Bodegas, kehrt man in Asturien in Sidrerías oder Chigres ein, wo man mitten zwischen den Fässern sitzt. Der Boden ist nicht selten mit Sägemehl bestreut, das von SidraResten durchdrängt ist. Eingeschenkt wird nämlich nach der Methode: L’escanciáu im hohen Bogen. Schockartig sollen so unangenehme Bitteraromen beseitigt und die fruchtige Süßsäure freigesetzt werden. Die Säure und die natürliche Trübheit unterscheidet den Sidra auch vom französischen Cidre, der sich gern elegant als Perlwein gibt und erst recht von der süßen Brause, die die Briten daraus gemacht haben. Der Deutsche hat seinen Äppelwoi und schunkelt gern dazu. Jeder nach seiner Façon.
Etwa 90 Sidra-Brauer stellen jährlich 45 Millionen Liter her und bilden einen wichtigen Wirtschaftszweig, der sich mit dem Tourismus verbrüdert hat. Die Einkehr in eine Chigre, mit preiswerten und urigen Tapas dazu, ist fixer Bestandteil der Ausflüge Einheimischer wie der Exkursionen der Touristen.
Das Wort „ sidra“selbst stammt
übrigens aus dem Hebräischen und bezeichnet schlicht ein berauschendes Getränk. Allerdings meinen nicht wenige Asturianer, dass der Name auf San Isidoro aus Sevilla ins 6. Jahrhundert zurückgehen soll, dem man in León eine Kathedrale mit seinem Namen baute. Wie ernst es den Asturianern mit ihrem Apfelgebräu ist, zeigten sie vor Gericht. Denn der Verband der Sidra-Hersteller verklagte die Kollegen im Baskenland bis vor europäische Instanzen. Dort ist der Sidra als Sagardo zwar auch traditionell zu Hause, aber man wollte den Basken verbieten lassen, die typische grüne Flasche
mit dem dicken Ausguss zu verwenden. Geht nicht, so die Gerichte, eine grüne Flasche sei nicht markenrechtlich zu schützen.
Erschreckte Bohnen mit Musik
Asturiens Küche hat in Spanien einen ganz besonderen Ruf
Für eine traditionelle Fabada asturiana für vier bis sechs Personen brauchen wir folgende Zutaten: 500g weiße Bohnen (judías blancas), möglichst: fabes de La Granja, eine etwas kleinere Untersorte der weißen Bohnen, die besonders saftig bleiben und deren Stärke dem Eintopf eine elegante Bindung gibt. 2 Paprikawürste, möglichst chorizos asturianos, die nicht mehr als 35 Prozent Fettanteil aufweisen und im eigenen Darm daherkommen, 2 Blutwürste, möglichst morcillas asturianas, die besonders fest und dunkel und fein geräuchert sind, 250g Schweinebauch (panceta curada, also vom gereiften, sprich luftgetrockneten Teil), 1 Zwiebel (cebolla), Wasser, Salz, optional: Safran (azafrán).
Zubereitung: Die Bohnen werden gewaschen und in der Nacht vorher eingeweicht (mindestens 12 Stunden). Ob man das Einweichwasser auch für’s Kochen verwenden soll oder nicht, ist eine Frage mit Potential für Familien- und Religionskriege. Der Eigenversuch gefiel mit frischem Wasser besser, die Bohnen geben auch so ausreichend Stärke frei. Zudem kann man das Wasser mitsamt dem Schaum nach dem ersten Aufkochen nochmals austauschen, das soll angeblich für weniger Flatulenzen oder „ música“, wie der Spanier sagt, nach dem Essen sorgen.
Also die Bohnen zum Kochen bringen, Schaum abschöpfen und zwei bis drei Finger Flüssigkeit mehr, als zum Bedecken nötig. Dann Blut- und Paprikawürste sowie den Bauchspeck und die Zwiebel ungeschnitten dazugeben und die Flamme auf sehr klein reduzieren, dass es ganz ruhig vor sich hinsimmert. Die Gesamtkochzeit liegt bei rund drei Stunden, variiert aber durch viele Faktoren – Ihr Gefühl ist gefragt. Ab und an sollen die Bohnen erschreckt werden, also ein kleines Glas kaltes Wasser hineingeben, das soll den Garvorgang sanfter machen. Salz geben wir erst gegen Ende etwas hinzu, damit die Bohnen nicht aufgehen, ebenso einige Fäden Safran. Es ist zu beachten, dass die Embutidos, also die Fleischeinlagen, viel Salz abgeben, also ist Vorsicht geboten.
Wie auch bei Linsengerichten muss der Topf eine Weile ruhen, aber nicht unbedingt über Nacht. Der Geschmack wird so homogener, die Bindung auch. Sollte das Ergebnis zu flüssig oder wässrig sein, kann man entweder ein paar der Bohnen pürieren und unterrühren oder eine rohe Kartoffel ganz fein hinein reiben.
In einigen Gegenden werden ohnehin Kartoffelstückchen etwa 20 Minuten vor Garschluss in die Fabada gegeben, anderswo ist das ein Sakrileg.