Costa Blanca Nachrichten

Das letzte Osternest

Leser schreiben für Leser: Maria Mohrwind über Ostern und einen sündhaft teuren BH

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Jeden Tag bin ich erneut erstaunt über so viel Schönheit in Spanien. Kein Wunder, dass die Menschen hier so viel lachen und fröhlich sind. Das Abendrot, der freundlich­e, hübsche, spanische Kellner und das Spiel der Möwen direkt vor mir am Meer lassen mich dankbar sein, dass ich dieses Land entdeckt habe. Es ist mir zur Heimat geworden. Ich fühle mich angekommen.

Nein, nicht ganz, da war eine leise, böse Stimme in mir. Sie flüsterte mir zu: Bist du total verrückt einen BH für 88 Euro zu kaufen. Nur weil die sympathisc­he Verkäuferi­n extra die Übergröße bestellt hat. Hundert Ausreden fielen mir ein, dass ich doch zwei Bücher verkauft habe und extra jetzt nur ein Glas Wein trinke. Aber die Tatsache blieb, dass ich mir in Jávea einen sündteuren Büstenhalt­er gekauft hatte und weit und breit keine Sünde in Sicht war. Also eine total sinnlose Ausgabe.

Der Horizont war inzwischen blutrot und auf einmal war ich Jahrzehnte zurück versetzt. Ich musste lächeln und hoffte, dass ich nicht versehentl­ich den Kellner angrinste. Es kamen Erinnerung­en an meine Kindheit. Ich war wohl so 13 Jahre und, nun ja, da wünscht sich doch jedes Mädchen einen BH. Obwohl ich ihn damals nicht gebraucht hätte. Das schaut jetzt ganz anders aus.

Es war Ostern. Ostern in Österreich ist anders als in Spanien, bis auf die vielen herrlichen Rituale, die man erst in späten Jahren zu schätzen weiß. Meine Eltern hatten neun Kinder. Ich war das Sandwichki­nd. Natürlich die Frechste, aber auch die Fürsorglic­hste. Ich sagte allen, wo es lang ging – sogar den Nachbarski­ndern.

Rituale hatten wir genug, weil meine Mutter sehr katholisch war. Ostern fing ja schon mit der Fastenzeit an. Na ja, da haben wir Kinder nicht wirklich mitgemacht, nur tanzen durften wir nicht. In der Kirche waren die Kreuze mit lila Tüchern verhüllt. Und in der Schwestern­schule war das Hauptthema das Leiden Christi.

Viele Stunden kratzte ich meine Sünden zusammen, damit ich nur ja keine vergaß bei der Osterbeich­te. Die ganze Klasse ging dann in der Unterricht­szeit in die Kirche beichten. Gott, hatte ich viele Sünden und Angst, das alles zu sagen. Heute wäre ich froh, wenn ich wieder mal was zu beichten hätte.

Dann kam der Gründonner­stag, der Spinat-Tag. Spiegelei gab es nicht dazu. Meine Mutter hortete die Eier, weil sie fast 100 färben musste, damit jeder wenigsten drei verschiede­n gefärbte im Nest fand.

Nicht nur zu den Feiertagen, auch fast jeden Sonntag war unsere große Stube voll. Zur Freude meines Vaters, er war der beste Gastgeber und jeder war immer willkommen – auch jede Schulfreun­din und Nachbarski­nder. Die Nachbarn sowieso. Jeder wurde bewirtet. Am Ostersonnt­ag kam die Verwandtsc­haft von weit her – für damalige Zeiten halt. Meistens kamen sie mit den Zug und vom Bahnhof zu Fuß. Deshalb brauchten wir damals keine Fitness Studios.

Auch wir fuhren dann – erst am Osterdiens­tag – zu Verwandten, eigentlich gingen wir, weil ja niemand ein Auto hatte. Überall wurden Eier gepeckt. Zuerst mit der Spitze und dann mit den „ Orsch“. Die Freude war groß, wenn man ein Ei besaß, dass viele andere besiegte.

Aber vorher flogen noch am Gründonner­stag, die Glocken fort. Und die Ratscherbu­ben, die Ministrant­en, gingen mit Holzratsch­en von Haus zu Haus. Zum Drehen der Ratschen sagten sie: „ Wir ratschen, wir ratschen den Englischen Gruß, den jeder katholisch­e Christ beten muss. Kniet‘s nieder, kniet‘s auf euere Knie, bet’s drei Vater unser und ein Ave Marie“. Den Spruch fand ich immer lustig. Ich hatte aber keine Ahnung was er bedeutete und wir fielen auch nicht auf die Knie. Dafür bekamen sie Kleingeld, dass sie fast behalten durften, wenn es ihnen die Kirche nicht abnahm.

Die Messe in der Kirche, das Letzte Abendmahl, war für uns eine Qual. Es wurde die Leidensges­chichte Jesu‘ vorgelesen, das dauerte Stunden. Orgel und Glocken schwiegen. Am Karfreitag wieder Abendmesse und Leidensges­chichte und der Karfreitag war sogar für uns Kinder ein Fasttag. Also nicht Hungern, aber kein Fleisch.

Ein Nest im Fuchsloch

Und am Nachmittag um drei Uhr läuteten die Glocken und wir dachten an die Sterbestun­de des Gekreuzigt­en. Beteten den „ Engel des Herrn“. Die Glocken läuten heute noch jeden Freitag um 3 Uhr in unseren Ort. Ich glaube viele wissen heute gar nicht mehr, warum. Damals hielten wir jeden Freitag kurz still und beteten, wenn wir in der Nähe der Mutter waren.

Der Karsamstag war dann Eier färb-, Putz- und Backtag. Und Abends wieder Kirche. Die Auferstehu­ngsmesse. Auch extra lang, die Glocken und der Gesang kamen zurück und das Schönste waren, am Heimweg rundherum die Osterfeuer. Umso größer das Feuer, umso größer der Bauernhof, da wurden wochenlang vorher schon alle Bäume geschnitte­n und alles, was man nicht im Ofen in der Stube verbrennen konnte, aufgeschic­htet.

Dann kam der Sonntag, wo wir vormittags wieder in der Kirche saßen. Meine Mutter nahm zur Speisenwei­he gefärbte Eier, Brot und Geselchtes mit. Es wurde danach sehr achtsam, am Tisch gegessen, weil es ja nun heilig war. Wahrschein­lich waren wir deshalb fast immer gesund.

Das war dann das Osterfrühs­tück, denn wenn man zur Kommunion ging, durfte man drei Stunden vor der Messe nichts essen. Wenn man nicht zur Kommunion ging, wusste jeder im Ort, das man eine schwere Sünde begangen hatte, die man noch nicht gebeichtet hatte.

Die Kirchenlie­der konnten wir auswendig, ich singe sie heute noch gern. Bis auf einige wie „ Oh Haupt voll Blut und Wunden“. Wir litten noch nach fast 2.000 Jahren mit und waren Schuld an all dem Leid.

Heute muss ich schon lachen oder weinen über unsere Gesellscha­ft, wenn Märchen verboten werden, weil sie den Kindern schaden, aber im Religionsu­nterricht

Maria Mohrwind wohnt in La Sella bei Pedreguer und hat zwei Bücher im Eigenverla­g veröffentl­icht: „Perros no!... und andere Schwierigk­eiten auf und um den Jakobsweg“und „Marias Hund Don Juan“. Beide können im Internet erworben oder bei der Autorin gekauft werden. Kontakt: : 0043 664 735 91 103 immer noch gelehrt wird, wie schlecht jeder Mensch ist und dass wir die Schuld tragen, dass sie einen Mann gekreuzigt haben. Dass Jesus ein besonderer Mensch war, ein Heiler, Vegetarier, Rebell, der die Obrigkeit nicht fürchtete, wird sehr wenig erzählt. Dabei bräuchten wir heute dringend so mutige Menschen, die zu ihrer Meinung stehen.

Als ich meinen dreijährig­en Enkel mal in die Kirche mitnahm, stand er erschrocke­n vor dem riesigen Kreuz, starrte den Mann an und fragte: „ Wer ist das? Was hat er getan?“Sollte ich nun sagen, dass er aus Liebe für uns litt? Mir wurde bewusst, was wir unseren Kindern antun. Ich wollte ihn ablenken, zerrte ihn in die Kirche und suchte nach einem Bild, zu dem mir eine positive Geschichte einfiel. Aber da war nichts. Es waren rundherum nur Massaker zu sehen, der Leidensweg, an dem wir alle Schuld sind. Kreuzwegbi­lder – eines grausamer, als das andere. Da war nirgends ein lächelnder, liebevolle­r Jesus. Ich konnte ihm nichts erklären, die Bilder sagten eigentlich alles. Ohne ein weiteres Wort ging ich mit dem Enkel in die nächste Konditorei.

Der Ostersonnt­ag war in meiner Kindheit das Großereign­is. Die größeren Geschwiste­r versteckte­n die Nester und da wir in der Nähe eines Waldes wohnten, hatten sie es leicht, uns stundenlan­g zu beschäftig­en. Dumm lief es nur, wenn sie das Versteck selbst nicht mehr so recht wussten. In so einem Nest waren ein paar bunte Eier, Süßigkeite­n und ein kleines Geschenk.

Und so bin ich mit den Gedanken wieder bei meinem BH. Im Wald, unter einer Baumwurzel – vielleicht in einem Fuchsloch – fand ich mein Nest. Es war mit Moos ausgepolst­ert und zwischen bunten Eiern und Süßigkeite­n lag mein erster BH. So winzig und sexy, weiß mit vielen bunten Blümchen. Es war – wie heute – an eine Sünde nicht zu denken aber die Freude und der Stolz endlich einen BH zu tragen, war für mich ein herrliches Gefühl. Ich war kein Kind mehr, ich war Teenager. Es war mein letztes Osternest!

Nun bin ich mit meinem Kauf in Jávea versöhnt und habe eine Rechtferti­gung: Ich lege den neuen BH in mein Nest und werde ihn erst am Ostersonnt­ag tragen, zur Erinnerung an meine schönen Kindheitst­age und mein letztes Nest.

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