Costa Blanca Nachrichten

Im schicken Palmenweiß

Eine Woche vor Ostern kleidet sich Elche mit geflochten­en Blättern ein — strahlende Prozession mit zigtausend­en Besuchern

-

„ Domingo de Ramos, quien no estrena no tiene manos“, lautet ein spanisches Sprichwort und heißt zu Deutsch: „ Wer am Palmsonnta­g nicht etwas Nagelneues anzieht, der hat keine Hände.“Was konkret bedeutet: Keine Arbeit haben, um sich taufrische Kleidung zu leisten – oder keine Begabung dazu, sich zumindest etwas zu nähen.

Alicantes Hauptstadt der Palmen, Elche, kann sich also glücklich schätzen. Denn zum Palmsonnta­g am 2. April kann sich sich weder über mangelnde Arbeit, noch über das Fehlen eines nicht vorgeführt­en Kleides beschweren. Überall präsent sind dann ein gelblich schimmernd­es Weiß und ein süßlicher Duft – Eigenschaf­ten der Palmwedel, mit denen sich Elche zu Tausenden für seine Palmsonnta­gsprozessi­on einkleidet. Von kleinen Zentimeter­ausgaben bis zu Kunstwerke­n von mehreren Metern reicht die Vielfalt, von glatten bis zu verzierten Varianten mit in jedem Jahr neuen Spielereie­n der Flechtkuns­t, der keine Form oder Figur unmöglich erscheint.

Das Kunsthandw­erk der Palma Blanca ist eines der Markenzeic­hen Elches. Die bedeutends­ten Palmsonnta­gs-Prozession­en, auch im Ausland, beliefern die Ilicitanos mit ihren weißen Kunstwedel­n. Der Papst bekommt ein Exemplar, genauso wie das spanische Königshaus und der Regierungs­chef.

Das Fest selbst blickt in der Stadt auf eine lange Tradition zurück. Die Prozession am domingo de ramos, das ist seit 1371 belegt, gehört zudem seit 1997 offiziell zu den touristisc­hen Attraktion­en von nationalem Interesse. Weit über 50.000 Besucher ziehen alljährlic­h zur Parade nach Elche.

Bei allem Glanz, der in der Stadt herrscht – die erste Passionsfi­gur der Karwoche, der die Prozession gewidmet ist, ist mitnichten die prachtvoll­ste. Gebettet auf einem Meer aus Palmblätte­rn, reitet gegen 10.30 Uhr von der Avenida de la Estación zur Hauptkirch­e Santa María ein einsamer Jesus auf seinem kleinen Esel daher. In der Hand hält er ein schnörkell­oses Palmbündel. Nur der Heiligensc­hein weist auf seinen besonderen Status hin.

Frohes Einläuten

Die Prozession am Palmsonnta­g ist eine Nachahmung eines uralten Brauchs der

Kirche von Jerusalem“, erklärt Joan Castaño, Archivar der Basilika Santa María. Christen hätten schon früh dem Leidensweg Jesu an den echten Schauplätz­en gedacht.

„ Da nahmen sie Palmzweige, zogen hinaus, um ihn zu empfangen“, sind die Worte aus dem Johannesev­angelium, aus denen der Brauch mit den Wedeln stammt.

„ In der Antike waren Palmzweige das Symbol des Triumphes. Sportliche Erfolge zum Beispiel“, erläutert Castaño. „ Der Palmsonnta­g ist daher ein fröhliches Fest. Er läutet ja das Ende der Fastenzeit ein – und deckt sich mit dem Anbruch des Frühlings.“

Dennoch sei der Tag in erster Linie der erste Tag der Karwoche, und damit der

Beginn von Jesu Weg zum Kreuz. Was die Palme mit einem neuen Verständni­s von Triumph fülle.

„ Jesus besiegte den Tod“, glaubt Castaño. „ Und die Palme steht für Christen seitdem für diesen Sieg.“Das zeige sich auch in der christlich­en Kunst: „ Ein typisches Attribut von Märtyrern ist die Palme in ihrer Hand.“

Ob die Technik der Palma Blanca in Elche erfunden wurde, weiß Castaño nicht. „ Unser ältestes Dokument stammt von 1423“, erläutert er. „ In einem Protokollb­uch ist von Verkäufern der weißen Palmen aus Elche die Rede, die in Valencia verhaftet wurden.“

Bleichen und bürsten

Zweifelsoh­ne sei das Handwerk in Elche so stark gefördert worden wie nirgendwo sonst. „ Im Norden Italiens verwendet man eine ähnliche Technik – aber in viel geringerem Umfang.“Die Herstellun­g der weißen Palme erfordert ungemein viel Arbeit, Zeit und Geschick.

Nur dank des Aufwands zahlreiche­r Familienun­ternehmen kann die hohe Zahl der Wedel hergestell­t werden. Emeterio Vicente und Maruja Sabuco aus dem Vorort Pusol gehören zu diesen Palma-Blanca-Hersteller­n. Vicente lernte die Kunst vom Vater.

„ Und ich habe es vor 35 Jahren von Emeterio gelernt“, sagt Sabuco, die mit der gemeinsame­n Tochter Rosa María Vicente am Schulmuseu­m Pusol eine AG im Palmenflec­hten betreut. „ Allein der Prozess zur Gewinnung der Blätter dauert neun Monate“, erklärt Sabuco. „ Im Sommer schnüren wir zunächst die Palmkronen zusammen.“Frei bleibt nur die oberste Spitze. Dieser im Valenciano nyugat genannte Vorgang sorgt dafür, dass die älteren Zweige die neu wachsenden zudecken und vom Licht abschneide­n.

„ So findet keine Photosynth­ese statt.“Die Zweige bleiben weiß. Nach drei Monaten klettern die palmerers wieder in schwindele­rregende Höhen und führen den encapuchad­o durch. „ Eine Kappe kommt auf die Spitze der Palme.“Der aus Palmenblät­tern oder Plastik bestehende vellet ähnelt einer umgedrehte­n Tüte. So verpackt warten die Palmen sechs Monate auf den nächsten Besuch der Kletterer. Der Schnitt steht dann an. Einmal auf dem Boden angelangt, werden die Blätter sauber gebürstet.

„ Wir befreien sie von einer tabakähnli­chen Farbe“, erklärt Sabuco. Dann werden die Blätter ihrer Größe nach geordnet. Die Kategorie especial kann drei Meter überschrei­ten und ist für wichtige Persönlich­keiten oder ältere Familienmi­tglieder reserviert. Die cadete, ab einem Meter Größe, werden bei der Prozession Kinder tragen, den cogollo oder die punta von einigen Zentimeter­n hingegen Kleinkinde­r.

Bis zu acht Palma-Blanca-Klassen zählen die palmerers. Qualitativ schlechter­e Blätter wie die faixa nutzen sie zur Herstellun­g von Hüten und Körben, oder binden damit die Palmen für das nächste Jahr ab.

Spielerisc­h gelernt

„ Geeignete Blätter legen wir für 24 Stunden in Chlorwasse­r“, erklärt Sabuco. Nach dem Bad kommen sie in eine luftdichte, feuchte Dunkelkamm­er, in der sie Gasen aus verbrannte­m Schwefel ausgesetzt werden. „ Ein höchst gefährlich­er Vorgang“, warnt Sabuco. „ Doch die Palmen festigen dadurch ihre Farbe und gewinnen an Stärke.“

Die Blätter sind bereit für den Höhepunkt der Palmenkuns­t: den trenzado, das Flechten. Traditione­ll eine Frauenkuns­t. Es sind auch Lehrerinne­n, die die Arbeitsgru­ppe am Schulmuseu­m Pusol leiten. „ Schon im Kindergart­en geben wir den Schülern eine Einführung in die Palma Blanca“, erklärt Grundschul­lehrerin María José Marroquí. „ Unser Ziel ist es, diese Tradition nicht zu verlieren.“

Eine Familie, die seit Jahrzehnte­n weit über Elche hinausreic­hende Referenz für Palmenkuns­t ist, heißt Serrano Valero. In einer unscheinba­ren Garagenwer­kstatt an der Plaza Jaime entstehen die berühmtest­en Kunststück­e des Metiers. Die Königin und der Papst zählen zu den Stammkunde­n. Bei unserem Besuch ist ein ausgefeilt­es Werk in Arbeit. Entlang der meterhohen Palme winden sich Schnörkel und Ketten und umspannen mehrere, mit Schläufche­n versehene Stockwerke. Unterhalb der Spitze eine von Engeln umringte Jungfrau Maria. „ Fast alles ist aus einem Stück gemacht“, schwärmt Vorarbeite­rin Paquí Serrano. Mehrere Wochen habe die Herstellun­g gedauert, auf rund 1.000 Euro beliefe sich der Preis.

Den Großteil seiner Werke verkauft Serrano Valero im erschwingl­ichen Preissegme­nt. „ Von den geflochten­en Palmen verkaufen wir zum Palmsonnta­g zwischen 4.000 und 5.000 Stück. Wie viele der glatten es sind, kann ich gar nicht sagen.“Trotz ihrer hohen Anforderun­gen sind die mit der Palmenkuns­t verwandten Berufe nicht offiziell anerkannt. Die Regel ist es, das Flechten zu Hause zu lernen.

„ Mir hat es meine Tante beigebrach­t“, erklärt Serrano. „ Als Kind begann ich, ein wenig mitzuhelfe­n. Für mich war es ein Spiel.“

 ?? ??
 ?? ??
 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Spain