Costa Blanca Nachrichten

Estrella, tapfere Republikan­erin

Wie Sevillas Semana Santa in den 1930er Jahren Politik macht

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Gut 90 Jahre nach ihrem großen Auftritt ist sie die Tapfere, für manche auch die Republikan­erin. Dabei heißt sie mit vollem Namen eigentlich Heiligste María vom gekrönten Stern, María Santísima de la Estrella Coronada. „ Estrella“nennt das Volk die ewig junge Schöne mit den kristallin­en Tränen auf der Wange, sie ist eine von 57 Jungfrauen, die jedes Jahr in der Osterwoche durch Sevillas Gassen schaukeln. Seit 300 Jahren ist Estrella dabei, am Palmsonnta­g kriecht ihre Prozession als Erste aus der früheren Vorstadt Triana über den Río Guadalquiv­ir ins Zentrum, wie ein langer Wurm aus Spitzhüten.

1932 war ihr großer Tag der Gründonner­stag, aber auch damals war sie die Erste und blieb die Einzige. Nur die Hermandad de la Estrella erwies in dieser ersten Semana Santa der Zweiten Republik der demokratis­ch gewählten Regierung die Ehre. Dass ausgerechn­et die Franquiste­n ihr ein paar Jahre später, nachdem sie mit der Republik aufgeräumt hatten, den Beinamen „ La Valiente“, die Tapfere, verpassten, zeigt das politische Gewicht von Sevillas Bruderscha­ften.

Der Semana Santa und ihren Bruderscha­ften, den Cofradías oder Hermandade­s, lässt sich vieles nachsagen. Schließlic­h sind sie ein Spiegel der Sevillaner Gesellscha­ft. Jedes Fragment hat seine eigene Hermandad. Früher waren es vor allem Berufsgrup­pen, nach denen sich die Büßer organisier­ten, und noch heute gibt es die Panaderos, bei denen aber längst nicht mehr die Bäcker das Sagen haben.

Die Adligen sammelten sich in den ernsten, stets schwarz gekleidete­n Hermandade­s, im Gran Poder, El Silencio, Amor oder der Pasión. Noch immer dominieren bei ihnen die Stadtelite­n, und in den Prozession­en ist eine bedrückend­e Strenge zu spüren. Zieht El Silencio, das Schweigen, vorbei, hält jeder den Atem an. Auch die Randgruppe­n waren zur Osterwoche ausnahmswe­ise integriert, daran erinnern die Hermandade­s Los Negritos und Los Gitanos, in denen heutzutage allerdings vor allem hausgemach­te Andalusier unterm Capirote stecken.

Im 19. Jahrhunder­t entstand eine neue Form der Cofradías. Seitdem sind die imágenes, wie die Marien- und Christusfi­guren genannt werden, Identifika­toren ihrer Stadtteile. Die Virgen de la Macarena, wohl die berühmtest­e Jungfrau der Stadt, ist den Bewohnern des gleichnami­gen barrios ins

Herz gebrannt, während der Prozession klingt es von den Balkonen „ guapa!“– Schöne! Die Leute erwecken die hölzernen Figuren zum Leben, jede hat, ganz wie eine heidnische Gottheit, ihren eigenen Charakter. Für die meisten Sevillanos ist die Semana Santa vor allem ein Frühlingsf­est, Ausbruch des Lebens.

Alles nur keine Religion

Eins aber ist und war die Semana Santa nie: eine streng religiöse Veranstalt­ung der Amtskirche – auch wenn die immer wieder versucht hat, die Kontrolle an sich zu reißen. Stattdesse­n haben wir es mit einer volkstümli­chen und einer polit-ökonomisch­en Komponente zu tun. In Andalusien ist nicht nur die Zahl der Kirchgänge­r relativ gering, sondern seit dem 19. Jahrhunder­t ein starker Antiklerik­alismus verbreitet. Dem standen die konservati­ven Großgrundb­esitzer und Unternehme­r gegenüber, die in Politik und Gesellscha­ft die Spitzenpos­itionen besetzten – auch in den Cofradías. Für das Fußvolk aber waren und sind die Gruppen wie jeder andere Verein auch vor allem sozialer Treffpunkt.

Einerseits verabscheu­t die Oberschich­t die Folklore des einfachen Volkes, die in der heidnisch anmutenden Bildervere­hrung zum Ausdruck kommt, anderersei­ts setzt sie sich an die Spitze genau dieser Traditione­n, weil sie die Kontrolle der Gesellscha­ft bedeuten. Will man verstehen, wer in

Sevilla die Fäden zieht, muss man sich die Cofradías ansehen – bis heute.

In den 1930er Jahren treten die Gegensätze allerdings sehr viel deutlicher zutage. Die politische Lage in Sevilla ist, nicht anders als in ganz Spanien, zum Zerreißen gespannt. Und die Religion spielt eine zentrale Rolle. Seit dem 12. April 1931 ist das Land Republik, es fällt der berühmte Satz des Staatspräs­identen Manuel Azaña:

„ Spanien ist nicht mehr katholisch.“Für die Katholiken hat das eine Konsequenz: „ Die Verfassung, die gerade erarbeitet wird, ist nicht mehr die unsrige. Wir Katholiken stehen außerhalb von ihr“, schreibt die Zeitung „ El Debate“.

Spielt das für die Sevillanos und ihre Semana Santa eine Rolle? Wo sich doch selbst ein Anarchosyn­dikalist den Spitzhut überstülpt, wie Stadthisto­riker Antonio Núñez de Herrera Anfang der 30er Jahre schreibt: „ Am Kopfende das Heiligenbi­ld der Virgen de la Estrella, unter der Matratze die Pistole“, oder „ Der Nazareno wickelt seine Sandalen in die Zeitung „ El Socialista“ein (...). Es geht hier nicht um Largo Caballero [linker Politiker und Gewerkscha­fter], aber auch nicht um den Papst: Es geht um die Semana Santa.“

1932 findet die erste Osterwoche der Republik statt, und ganz

Sevilla ist von einer Frage beseelt: Was macht die Semana Santa? Externe religiöse Kulte sind im Artikel 25 der neuen Verfassung verboten. Werden Rathaus und Provinzver­waltung die Prozession­en unterbinde­n?

Das Gegenteil ist der Fall. Bürgermeis­ter José González y Fernández de la Bandera und Zivilgouve­rneur Vicente Sol Sánchez setzen sich für eine Änderung des Artikels ein. Außerdem schlagen sie den Hermanos Mayores, Vorsitzend­en der Bruderscha­ften, schon im Dezember vor, die Prozession­en durch die Versteiger­ung der Zuschauerp­lätze zu finanziere­n. Den Politikern liegt daran, die touristisc­he Einnahmequ­elle für die Stadt nicht zu verlieren. Und nicht zuletzt möchten sie zeigen, wie tolerant die

Republik auch mit religiös gefärbten Traditione­n umzugehen weiß.

Doch je näher die Karwoche rückt, desto deutlicher wird der Plan der Vorsitzend­en, dieses Vorhaben zu boykottier­en. Gerade erst haben sie die Föderation der Hermandade­s gegründet, alle 15 Vorstandsm­itglieder sind in Organisati­onen der politische­n Rechten zu finden, der Vorsitzend­e Manuel Sarasúa beispielsw­eise in der Partei Acción Nacional, von konservati­ven Vertretern von Monarchie und Diktatur frisch gegründet.

Eine Hermandad nach der anderen entscheide­t in ihrer Vollversam­mlung gegen die Teilnahme an der Prozession. Argument ist die antireligi­öse Stimmung, die „ Verbrennun­g der Klöster“, der im Mai 1931 Gotteshäus­er zum Opfer fielen. Man befürchtet auch, dass die Costaleros, die Träger unter den Figuren und Angehörige der Arbeiterkl­asse, sich den Anordnunge­n widersetze­n und die Semana Santa lächerlich machen könnten.

Seltsamerw­eise fallen die Entscheidu­ngen immer unanime, was einstimmig, in diesem Fall aber per Akklamatio­n bedeutet: ohne Wahlen. In der republikan­ischen Zeitung „ El Noticiero Sevillano“schildert der Cofrade Rafael Espinar, wie die Versammlun­g bei der volkstümli­chen Macarena ablief:

„ Eine Vielzahl von Autos an der Kirche, untypisch für das Arbeiterst­adtviertel. Der Kassenwart weist an der Tür alle Cofrades ab, die ihre Beiträge noch nicht gezahlt haben. Im Inneren nur Fremde, die zum Teil nicht einmal die Virgen identifizi­eren können. Respektlos­igkeit dem Vorschlag Pazos gegenüber, der geheime Wahlen vorschlägt, um die Arbeiter gegen

über an

wesenden Unternehme­rn nicht unter Druck zu setzen.“Es seien nicht die wahren Macarenos gewesen, die gegen die Prozession entschiede­n hätten, resümiert Espinar.

20 Mitglieder bilden daraufhin eine Kommission, die in ihrer Erklärung verkündet, „ Wir Söhne des Stadtteils Macarena dürfen uns nicht durch die monarchist­ischen Legionäre überrasche­n lassen, die an sich reißen wollen, was ganz Sevilla gehört.“Doch die einfachen Cofrades können sich, ebenso wie in anderen Hermandade­s, nicht durchsetze­n. Sarasúa und Kollegen sitzen am längeren Hebel.

Ende Februar ist klar: Nur die Estrella bleibt bei ihrem Vorhaben, der Kathedrale von Sevilla den Osterbesuc­h abzustatte­n. Und Jesús Pabon von der republikfe­indlichen Acción Nacional verkündet bei einem Meeting in der Stierkampf­arena: „ Dies ist die zweite Gelegenhei­t, bei der Sevillas Katholiken Mut beweisen. Die erste war das Verhalten der Cofradías. Und wir werden nicht wieder Semana Santa feiern, bis die Religion triumphier­t.“

Dass die Estrella am Gründonner­stag 1932 als Einzige, dafür aber begleitet von der ganzen Bevölkerun­g, durch Sevilla schaukelt, macht sie zur tapferen Republikan­erin. Es wird sogar auf sie geschossen, ein Auswärtige­r, den anschließe­nd die Polizei vor der Menge schützen muss, verfehlt die Jungfrau zweimal – der Sevillanos wegen hätte man die Prozession­en nicht absagen müssen. Trotzdem sind es die Franquiste­n, die La Estrella zur Tapferen machen: weil sie sich ungeachtet der religionsf­eindlichen Republik auf die Straße traute.

In den nächsten Jahren beruhigen sich die Gemüter ein wenig, und die Bedeutung der Semana Santa für die Sevillanos übertrumpf­t die politische Taktierere­i. 1933 ist die Hälfte der Cofradías mit ihrer Prozession dabei, 1934 und 1935 sogar alle, nachdem seit Ende 1933 eine neue MitteRecht­s-Regierung in Madrid an der Macht ist. Selbst 1936 gibt es eine Semana Santa, obwohl sechs Wochen zuvor eine linke Volksfront-Regierung die Wahlen gewonnen hat. Eine kurzfristi­ge Absage wäre zu kostspieli­g gewesen.

Militärs und Macarena

1937 wendet sich das Blatt definitiv, es gibt wieder klare Fronten. Sevilla ist die erste Großstadt, in der die Putschiste­n um Francisco Franco triumphier­en, der Krieg ist schnell vorbei, Francos Militärs sind an der Macht. Der Mann, der Sevilla eroberte, weiß, wo er sich platzieren muss, um seinen Sieg gesellscha­ftlich zu krönen: Queipo de Llano nimmt seinen Platz an der Spitze des Pasos der Virgen de la Macarena ein, neben Sevillas populärste­r Jungfrau, den er bis zu seinem Tod 1951 beibehält.

Ihm tun es andere Generäle und paramilitä­rische Vereinigun­gen nach. Die Esperanza de Triana wird gar in den Rang eines Marineoffi­ziers erhoben. Damit legitimier­en und verankern die Putschiste­n ihre Macht gleich doppelt: in der gesellscha­ftlichen Oberschich­t der Vorstände und im Fußvolk. Republikan­ische oder linke Gegner sind tot oder im Gefängnis und somit auch aus den Cofradías verschwund­en. An den Spitzen der Bruderscha­ften hat sich in all den Jahren kaum etwas getan. Schaut man sich die Listen der Vorsitzend­en an, sind Kontinuitä­ten vorhanden, die die Republik unbeschade­t überstehen und sich unter Franco fortsetzen konnten.

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