Ein sehr emotionales Thema
Auf Spanien rollt ein Tsunami an Solar- und Windkraftprojekten zu – Doch es wächst der Widerstand gegen die Makro-Parks
Madrid – tl. Was in den kommenden zwei Jahren an Erneuerbaren Energien auf Spanien zukommt, nennt die Zeitung „ El País“schlichtweg „ eine Explosion“. Die Wortwahl ist gar nicht einmal übertrieben: Im ganzen Land können gut 1.400 Solar- und Windenergieprojekte in Angriff genommen werden, nachdem Zentralregierung und Regionalregierungen die Umweltverträglichkeitsprüfung durchgewunken haben. Spätestens bis Juni 2025 müssen die Anlagen betriebsbereit sein. Die Leistung dieser 1.400 Projekte zusammen übertrifft die bislang installierte Gesamtleistung mehr als deutlich. Eine „ Explosion“erzeugt aber auch Erschütterungen und eine Druckwelle. In diesem Fall in der Gesellschaft.
Im Kampf gegen den Klimawandel sind Erneuerbare Energien (EE) die wichtigste Waffe. So sieht es auch die EU. „ Noch mehr und noch schneller Erneuerbare Energien“lautet die Devise. 2022 produzierten Wind- und Solarkraft in Europa bereits ein Fünftel (22 Prozent) des Stroms. Damit wurde erstmals Erdgas (20 Prozent) übertroffen. Kohle brachte es nur noch auf 16 Prozent. Spanien war nach Deutschland das Land in der EU, das am meisten Strom aus Solarkraft erzeugte. Allein 2021 hatte die Solarenergie hier einen Zuwachs von 21 Prozent. Auch bei Strom aus Windkraft ist Spanien nach Deutschland die Nummer zwei in Europa.
„Die EE-Projekte schaffen auch Beschäftigung und Wohlstand“
In kurzer Zeit versiebenfacht
Für EE-Projekte mit einer Leistung vom mehr als 50 Megawatt – sogenannte Makroparks – ist die Zentralregierung in Madrid Genehmigungsbehörde. Über alles, was darunter ist, entscheiden die Regionalregierungen. Aktuell sind in Spanien 25 Makroparks in Betrieb – 18 Solarparks und sieben Windparks. Was seit Januar 2022 auf den Weg gebracht wurde, jetzt die Umweltprüfung bestanden hat und im Staatsanzeiger (BOE) veröffentlicht ist, umfasst 182 Makroprojekte. Sie teilen sich auf in 161 Photovoltaik- und 21 WindkraftVorhaben. Wenn alle Projekte in Betrieb gehen, hat sich der Bestand an Makroparks innerhalb kurzer Zeit versiebenfacht.
16 Regionalregierungen (nur Aragón lieferte keine Daten) wiederum gaben 1.236 EE-Projekte mit weniger als 50 Megawatt Leistung das Umwelt-Okay. Große und kleine Projekte zusammen ergeben 1.418 EE-Anlagen. Die Gesamtleistung all dieser Vorhaben beläuft sich auf 68.856 Megawatt. Derzeit kommen alle installierten Solar- und Windkraftanlagen in Spanien auf rund 50.000 Megawatt. Wenn alle Projekte spätestens bis Juni 2025 ins Netz einspeisen, „ ist das ein richtiggehender Boom“, so „ El País“.
„ Zwar muss man erst einmal abwarten, wie viele von den Vorhaben auch tatsächlich gebaut werden. In der Tat aber hat es noch nie so viele Großprojekte gegeben. Spanien ist ein führendes Land in Sachen Erneuerbare Energien, und all diese Vorhaben werden diese Position nur stärken“, sagt Alejandro Labanda, Direktor für energetischen Übergang der Unternehmensberatung BeBarlet.
Auch Energie-Staatssekretärin
Sara Aagesen erinnert daran, dass es für die Antragsteller mit der Umweltverträglichkeit allein noch nicht getan sei. Es bedürfe danach der Eingangsgenehmigung, dann der Baugenehmigung und schließlich der Betriebserlaubnis: „ Wir wissen nicht, wie viele Projekte diese Bedingungen jeweils erfüllen und weitermachen“. Von den 182 Großprojekten, die von der Zentralregierung zunächst gebilligt wurden, haben bislang 21 Vorhaben die Eingangs- oder die Baugenehmigung erhalten.
Die Energieministerin der Region Extremadura, Olga García, glaubt nicht, dass es zu Ausfällen bei den 140 Projekten kommt, die von ihrem Haus die Umweltgenehmigung erhalten haben. „ Fast alle werden voranschreiten, weil wir intensiv mit den Projektträgern zusammenarbeiten“, so die Ministerin. Ohnehin seien Erneuerbare
Energien eine der Prioritäten der Regionalregierung. „ Sie sind nicht nur hilfreich gegen den Klimawandel, sondern auch, weil sie Beschäftigung und Wohlstand schaffen“, so García. In der Extremadura gehe die Errichtung von Solarparks auch ziemlich friedlich vonstatten, betonte sie, „ anderswo ist das nicht der Fall“.
Die Ministerin aus der abgelegenen Region an der Grenze zu Portugal hat Recht: Der Widerstand gegen Solar- und Windkraftparks ist inzwischen beträchtlich und nimmt weiter zu. Einer der Leidtragenden dieser Entwicklung ist Pedro Fresco, bis vor Kurzem noch Ministerialdirektor für energetischen Übergang in der Region Valencia. Er verlor seinen Posten auf Druck des Regierungspartners Compromís, der sich dem Widerstand gegen EE-Großprojekte angeschlossen hat. „ Hier beginnt sich eine große Koalition zu bilden, der sich auch politische Parteien angeschlossen haben. Das ist eine Gefahr, die fast so schlimm ist wie die Gruppe der Klimaleugner“, sagte Fresco gegenüber „ El País“.
Man habe es versäumt, zu erklären, wie wichtig Erneuerbare Energien seien. „ Dabei geht es hier nicht um Unternehmen, sondern um die ganze Gesellschaft.“
Ungleiche Behandlung?
Der Anthropologe und Professor an der US-Universität von Buffalo (New York), Jaume Franquesa, hat sich intensiv mit dem Widerstand befasst. In seinem Buch „ Windmühlen und Giganten“beschreibt er das Phänomen in Katalonien, der Region in Spanien, die in Sachen sauberer Energie am weitesten hinterherhinkt. Seiner Meinung nach entsteht der Nährboden für die Ablehnung „ aus einem Gefühl der Ungleichbehandlung“vor allem in ländlichen Regionen. „ Was man in dem sogenannten leeren Spanien feststellt, ist ein Gefühl der Vernachlässigung und ein Gefühl, dass es immer wieder nur sie trifft.“
Der Widerstand gegen EEGroßvorhaben in Spanien bündelt sich hauptsächlich in der Bürgerbewegung Aliente, der sich inzwischen gut 200 Gruppierungen angeschlossen haben. Eine davon ist die Stiftung für den Erhalt des Lämmergeiers. Deren Präsident Gerardo Báguena sieht das Übel in einem Haltungswechsel der Regierung. „ Statt die ländlichen Regionen zu stärken, wird eine bislang nie gesehene Umwandlung der Landschaft vollzogen – und das innerhalb von nur zwei Jahren“, sagte Báguena. EE-Großanlagen seien nicht vereinbar mit anderen wirtschaftlichen Aktivitäten wie dem Tourismus. Auf dem Land sei ein „ regelrechter Wettbewerb um den Boden“ausgebrochen. „ Die Promotoren zahlen vier- bis fünfmal mehr für den Hektar, dagegen kommt man nicht an“, sagte Báguena.
Allein die 182 Großprojekte, die das Umwelt-Okay der Zentralregierung erhalten haben, umfassen eine Fläche von 53.000 Hektar, was 0,1 Prozent der gesamten Landesfläche entspricht. Die Projektbetreiber suchen sich für ihre Vorhaben hauptsächlich wenig produktives Trockenkulturland aus.
„ Warum gehen sie nicht in ohnehin schon belastete Gegenden oder alte Bergbau-Gebiete?“, fragt sich Lämmerschützer Báguena.
Doch die Suche nach geeignetem Gelände folgt den Gesetzen des Marktes. „ Wo am meisten die Sonne scheint, der Wind am kräftigsten bläst und der Boden am billigsten ist“, beschreibt er die Devise. Das führt die Betreiber zwangsläufig in die bevölkerungsarmen Trockenkulturlandschaften.
Auch in der Region La Rioja macht sich die Regionalregierung Sorge um die schwindende Akzeptanz gegenüber Erneuerbaren Energien. Hier geht man aber einen etwas anderen Weg. „ Als Regierung entscheiden wir nicht, wo EE-Vorhaben errichtet werden können, sondern wir bestimmen,
wo das nicht erfolgen darf“, sagte der Minister für Nachhaltigkeit und energetischen Übergang, Alejandro Dorado Nájera. Auf zwei Drittel der Fläche der Region sind Großanlagen tabu. „ Auf dem übrigen Drittel gehen die Projekte durch einen Kontrollfilter, weil es keinen Sinn macht, gegen den Klimawandel zu kämpfen, indem man die Biodiversität schwächt“, sagte der Minister.
Führende Öko-Organisationen wie WWF oder SEO/Bird Life sind ebenfalls nicht zufrieden, wie es momentan mit den Erneuerbaren Energien läuft. Gleichwohl wollen sie sich nicht der Gegnerschaft von Aliente anschließen. Juan Carlos del Olmo, WWF-Verantwortlicher für Spanien, hat eine klare Meinung: „ Wir brauchen die grünen Energien ohne Wenn und Aber. Spanien befindet sich im Gound Zero des Klimawandels. Wir haben nur eine Chance: die Erneuerbaren“. Aber deren Ausbau erfolge auf eine absolut chaotische Weise, sagt Del Olmo, „ weil es in Spanien an wirklicher Raumplanung fehlt“.
Auch weil die Standortfrage eine Sache der Regionalregierungen ist, gibt es dafür keine einheitliche und verbindliche Einteilung in Zonen. Zudem fehle es an Transparenz, kritisiert Del Olmo. Das sieht auch Asunción Ruiz von SEO/Bird Life so. Als Beispiel nenne sie eine vom Energieministerium erstellte Karte mit sensiblen Zonen, in denen keine EE-Parks errichtet werden sollten. Daran halten müssten sich die Regionen aber nicht. 20 Prozent der Projekte, gegen die
SEO/Bird Life Einwände erhoben habe, so Ruiz, hätten sich in diesen sensiblen Zonen befunden.
Gaspedal oder Bremse
„Wir brauchen grüne Energien ohne Wenn und Aber“
Auch unter den Regionen existieren unterschiedliche Wahrnehmungen. Manche treten aufs Gaspedal, andere auf die Bremse. „ Es kann nicht angehen, dass es primäre und sekundäre Regionen gibt“, sagte der Minister für nachhaltige Entwicklung der Region CastillaLa Mancha, José Luis Escudero Palomo. „ Es geht nicht, dass Madrid die Industrie bekommt und wir nur den Strom liefern sollen. In der gleichen Situation befindet sich Aragón mit Katalonien. Hier muss eine staatliche Lösung her.“Die Regionen, in denen große EEParks entstehen, sollen dafür einen Ausgleich erhalten.
Mit dem wachsenden Widerstand gegen EE-Großprojekte nehmen auch juristische Auseinandersetzungen zu. Asunción Ruiz von SEO/Bird Life rechnet sogar mit noch mehr Rechtsstreitigkeiten. Ende 2022 habe die Regierung ein Dekret verabschiedet, dass die Prüfung der Umweltverträglichkeit noch schneller möglich macht. Demnach können alle Projekte, die nicht innerhalb des geschützten EU-Netzes Natura 2000 liegen, dieses beschleunigte Verfahren in Anspruch nehmen. „ Das reduziert die Bürgerbeteiligung noch weiter und schafft noch mehr Ablehnung und Unzufriedenheit“, sagte Ruiz.
Der Rechtsweg ist auch ein entscheidender Trumpf von Aliente. „ Wenn der Dialog fehlt, bleibt nur der Rechtsweg“, sagt Lämmergei
er-Schützer Báguena. „ Wir erhalten Anrufe von Unternehmern, die bereit sind, dafür die Kosten zu übernehmen“, erzählt er über die Situation in Aragón, wo der Konflikt am schärfsten ausgetragen wird. Und wo die Regionalpartei Teruel Existe verschiedene Klagen gegen die Genehmigungspraxis der Regionalregierung eingereicht hat. In Aragón sei das inzwischen „ ein sehr emotionales Thema“.
Neben dem wachsenden Widerstand gilt die Sorge der EEBranche noch anderen Problemen. Der Zeitraum für das Genehmigungsverfahren bis zur Inbetriebnahme sei knapp bemessen, heißt es. Bei der Anzahl von Großprojekten „ dürfte es schwierig werden, genug Firmen zu finden, die das alles bauen können“, sagt José María González von der Vereinigung der EE-Unternehmen Appa. Das sei eine Frage der Verfügbarkeit von Arbeitskraft und Material.
Dass die Komponenten und Bauteile das große Problem sind, um die Großprojekte fristgerecht zu verwirklichen, meint Juan Virgilio Márquez, Chef der Windkraft-Unternehmervereinigung.
„ Mit Blick auf die Lieferketten wird es zu Spannungen kommen. Wenn alle spanischen Fabriken nur für den spanischen Markt produzieren würden, käme eine Jahresleistung von 4.000 Megawatt zusammen. Aber nicht alles davon geht an den nationalen Markt, die Fabriken hätten schließlich auch Aufträge fürs Ausland“, sagte Márquez. Die Kapazitäten müssten erweitert werden – und zwar in der Rekordzeit von zwei Jahren.