Im Schlaf durch Europa
Spanien schafft die Nachtzüge ab – Anderswo entsteht ein Boom – Spanien bietet ideale Entfernung für diese Art des Reisens
Madrid – tl. Die spanische Staatsbahn Renfe ist so dumm wie die Deutsche Bahn. Auch sie hat ihre letzten Nachtzüge eingestellt. Just zu einem Zeitpunkt, da die nächtliche Form des Reisens mit der Eisenbahn, die man in den Managementetagen beider Unternehmen wohl als Relikte aus vergangenen Zeiten betrachtet hat, in Europa wieder eine imponierende Renaissance erlebt. Das Geschäft machen jetzt halt andere. Wohl auch in Bälde in Spanien. Strecken von Zürich und Amsterdam nach Barcelona könnten den Anfang machen. „ Die Wiederauferstehung der Nachtzüge ist ein Folge der Liberalisierung auf der Schiene in Europa, die es Unternehmen eines Staates erlaubt, den Service auch in anderen Staaten anzubieten. Wir in Spanien haben das Gleiche mit den neuen Akteuren auf den Hochgeschwindigkeitsstrecken erlebt“, sagte Adrián Fernández, Direktor der staatlichen Spanischen Eisenbahnstiftung (FFE).
Vor allem die Österreichische Bundesbahn (ÖBB) sei es, die diese Entwicklung bei den Nachtzügen anführt. Die geographische Lage des Landes, so Fernández, sei dafür auch besonders geeignet, weil man von dort fast jeden Punkt des Kontinents in einer Nacht erreichen könne. Wie ein ÖBB-Sprecher gegenüber der Zeitung äußerte, betreibe man inzwischen unter dem Namen Nightjet 30 Nachtzüge in ganz Europa mit Zielen wie Berlin, Amsterdam, Zürich oder Rom. Außerdem kooperiere ÖBB mit anderen Unternehmen und gelange so nach Stockholm, Zagreb und Warschau. „ Es besteht der Trend, das Reisen nachhaltiger zu gestalten. Der Bedarf an neuen
Nachtzügen wird daher weiter steigen“, sagte der ÖBB-Sprecher. Seit 2020 hat die österreichische Staatsbahn daher ihr Angebot verdoppelt. Ein im gleichen Jahr geschlossenes Abkommen mit der deutschen Staatsbahn (DB), der Schweizer SBB und der französischen SNCF beinhaltet den Plan, in den kommenden Jahren 13 weitere europäische Städte per Nachtzug anzubinden. Dazu zählt auch die Verbindung Zürich-Barcelona.
Nachtzüge haben nichts mehr mit den alten Zügen und deren unbequemen Liegewagen zu tun. Die modernen Züge, die ÖBB auf die Reise schickt, bieten deutlich mehr Komfort. Das gilt für die Schlafkabinen, die Etagenliegen und selbst für die Sitze, deren Rückenlehnen zurückgeklappt werden können. Für Daniel Pi von der Vereinigung zur Förderung des öffentlichen Transports (PTP) gibt es eindeutig eine Marktnische für Nachtzüge. „ Das Produkt entwickelt sich weiter. Während das Flugzeug, das früher einen elitären Anstich hatte, immer unbequemer wird, setzen die Nachtzüge auf Komfort, mehr Privatsphäre und ein besseres Reiseerlebnis“, sagte Pi.
Auch private Akteure mischen inzwischen auf dem Markt mit. Dazu zählt die belgisch-holländische Gesellschaft European Sleeper. Noch im Mai wird eine neue Nachtzug-Verbindung von Brüssel nach Berlin mit Halt in Antwerpen, Rotterdam und Amsterdam eröffnet. Die Europäische Kommission fördert ohnehin die transnationalen Eisenbahnverbindungen in Europa.
Zehn Strecken gelten als Pilotprojekt. Dazu zählt auch eine Nachtverbindung von Amsterdam nach Barcelona, die von European Sleeper betrieben werden soll. Für FFB-Direktor Fernández wäre gerade diese Verbindung eine gute Sache. „ Barcelona kann so zum Eisenbahn-Eingangstor für die gesamte iberische Halbinsel werden. Ein Tourist, der morgens im Bahnhof Santa ankommt, kann bis mittags mit den Hochgeschwindigkeitszügen viele Punkte in Spanien erreichen“, sagte Fernández.
Andere Länder verzichten keineswegs auf Nachtzüge. SNCF bitte in Frankreich vier Nachtzüge von Paris aus in den Südosten und Südwesten an. Bis 2030 sollen zehn neue Strecken hinzukommen, darunter ein Nachtzug von Paris nach Berlin. TrenItalia bietet einen Nachtzug von Mailand nach Rom und weiter nach Sizilien an. Auch Großbritannien verfügt über nächtliche Eisenbahnverbindungen. Und selbst in Marokko fahren vier Nachtzüge, unter anderem von Tanger nach Marrakesch.
Corona machte Nachtzug platt
Warum funktioniert das in Spanien nicht? Hierzulande hätten alle Investitionen in die Eisenbahn ausschließlich den Hochgeschwindigkeitsstrecken gegolten, sagte Daniel Pi. „ Das hatte zur Folge, dass wir ein exzellentes AVE-Netz besitzen, aber ein sehr schlechtes konventionelles Eisenbahnnetz.“FFB-Direktor Fernández nennt noch einen anderen Grund: „ Ein Nachtzug hat hohe Kosten. Vor allem, was das Personal anbetrifft. „ Außerdem kann das Personal in einem Nachtzug die Strecke in der Arbeitszeit nur einmal am Tag absolvieren, im AVE sind es bis zu drei Strecken täglich.“Keiner der momentan in Spanien aktiven Eisenbahngesellschaften – Renfe, Ouigo und Iryo – ist denn auch gewillt, Nachtzüge wieder ins Programm zu nehmen.
Bis 2020 gab es allerdings auch in Spanien Nachtzüge. Von Barcelona nach Galicien bis La Coruña und Vigo sowie von Madrid nach Galicien in dieselben beiden Städte. Die Strecke Madrid- Lissabon wurde ebenfalls per Nachtzug bedient. Sowie die Verbindung von Lissabon über den Norden Spaniens in die französische Grenzstadt Hendaya. Mit der Pandemie wurden diese Verbringungen eingestellt. Früher gab es auch noch einen Nachtzug von Barcelona nach Granada. Oder die berühmten Hotelzüge von Barcelona nach Zürich oder von Madrid nach Paris.
Was Pau Noe, Sprecher der Iberischen Pro-Eisenbahn-Allianz, betrifft, sollte der Verkehr mit Nachtzügen wieder aufgenommen gehört. „ Wie kann es sein, dass es in Europa einen Boom an Nachtzügen gibt und wir ins Spanien außen vor bleiben? Spanien ist ein so großes Land mit einer Ausdehnung von 1.100 Kilometern von Punkt zu Punkt. Das sind ideale Entfernungen für einen Nachtzug.“
Ein großes Land wie Spanien bietet ideale Nachtzug-Entfernungen