Aus Groß mach Klein
Fragmentierung von Ökostrom-Großprojekten ist gängige Praxis um Prüfungsverfahren zu umgehen
Madrid – tl. Über Spanien bricht eine Antragslawine für neue Wind- und Solarenergieprojekte herein. Was im Kampf gegen den Klimawandel durchaus zu begrüßen ist. Was aber auch heißt: Es lohnt sich, weil man mit Windund Solarparks viel Geld verdienen kann. Doch bis es soweit ist, müssen Antragsteller ein aufwändiges Genehmigungsverfahren durchlaufen. Die wichtigste Hürde ist die Prüfung der Umweltverträglichkeit. Entscheidend hierbei kann sein, wer darüber befindet.
Projekte mit einer Leistung von mehr als 50 Megawatt werden vom staatlichen Energieministerium geprüft, Anlagen mit weniger Leistung von der jeweiligen Regionalregierung. Könnte es sein, dass deren Prüfung weniger streng ausfällt? Und könnte es sein, dass „ Vitamin B“eine Rolle spielt?
In der Region Aragón stehen 58 Ökostrom-Großprojekte, die dort seit 2018 beantragt wurden, unter Verdacht, in insgesamt 163 Einzelvorhaben mit jeweils weniger als 50 Megawatt an Leistung aufgesplittet worden zu sein, um die staatliche Prüfung zu umgehen. Die Rechercheure der Zeitung „ El País“haben dazu den Landesanzeiger von Aragón (BOA) durchforstet. Seit 1. Januar 2018 bis Ende März 2023 wurden 369 EE-Projekte (135 für Windkraft, 234 für Photovoltaik) von der Regionalregierung in Sachen Umweltverträglichkeit genehmigt. Die Leistung insgesamt: 12.432 Megawatt.
In einem zweiten Schritt wurden die BOA-Einträge mit dem Handelsregister abgeglichen, um festzustellen, wer hinter den Anträgen steckt und ob es Gemeinsamkeiten gibt. Siehe da: Es wurden 58 Mega-Parks entdeckt, die mutmaßlich in 163 Einzelvorhaben abgespaltet wurden. Dabei handelte es sich um 34 Photovoltaik-Parks und 24 Windparks mit einer Gesamtleistung von 6.969 Megawatt Leistung. Demnach steht mehr als die Hälfte der seit 2018 von der
Regionalregierung in Aragón geprüften und umweltmäßig genehmigten Leistung unter dem Verdacht, mit einer Aufsplitterung ein zentralstaatliche Verfahren vermieden zu haben. In manchen Fällen machten sich die Antragsteller noch nicht einmal die Mühe, für die Einzelprojekte jeweils getrenn
te Namen zu finden. Es wurde einfach nur durchnummeriert. Oft wurden die Einzelanträge zwar von verschiedenen Gesellschaften gestellt, hinter denen aber ein Promotor stand. Die 34 genannten Photovoltaik-Parks umfassen eine Fläche von mehr als 9.000 Hektar. In den 24 Windparks sind 499 Windkraftanlagen geplant. Der Schwerpunkt der mutmaßlichen Fragmentierungsfälle liegt eindeutig in der Provinz Zaragoza.
Fragmentierung muss in jedem Fall aufs Neue nachgewiesen werden
„ El País“nennt ein typisches Beispiel: Zwei unmittelbar benachbarte Windkraftprojekte nahe der Ortschaft Aguilón (Zaragoza) namens San Bartolomé 1 und San Bartolomé II mit jeweils 49,5 Megawatt an Leistung erhielten 2021 mit nur einem Monat Unterschied von der Regionalregierung die Umweltgenehmigung. Das eine Projekt war von Energías Renovables de Dione SL beantragt worden. Das andere von Energías Renovables de Lisitea SL. Beide Gesellschaft aber haben den gleichen Eigentümer: Forestalia. Dieses Unternehmen ist der Hauptpromotor für Erneuerbare Energien in Aragón. Kurz nach Erhalt der Genehmigung wurden beide Einzelprojekte an den Energiekonzern Rep
sol verkauft. Eine gängige Praxis. Die Energiekonzerne wechseln sich dann erst ein, wenn das Ergebnis weitgehend feststeht.
Forestalia ist ein relativ junges Unternehmen „ mit wichtigen Verbindungen zu der autonomen Region“, wie „ El País“schreibt. Ein Namen gemacht hat sich die Firma in der Agroforstwirtschaft. Inzwischen legt man aber auch Projekte auf, die mit Windkraft, Photovoltaik und Biomasse zu un haben. Bei vielen mutmaßlich in Einzelprojekte zerlegten Megaparks in Aragón, die von der Zeitung ausfindig gemacht wurden, taucht der Name Forestalia auf. Damit konfrontiert, reagierte das Unternehmen per E-Mail: „ Dahinter verbirgt sich keine Strategie. Forestalia agiert in der allgemein üblichen Vorgehensweise. Es handelt sich um eine in ganz Spanien gängige Praxis.“
„ Das ist eine Gesetzesumgehung“, sagte dagegen Jaime Doreste, Anwalt der Umweltschutzorganisation Ecologistas en Acción. Das Einzige, worin man mit Forestalia übereinstimmen könne, sei die Tatsache, dass es sich mit der Fragmentieren um eine in Spanien weit verbreitete Praxis handele. „ Alle zwei Tage wird der größte Solarpark Spaniens eröffnet, und jedes Mal haben ihn Regionalregierungen genehmigt, die eigentlich keine Projekte mit mehr als 50 Megawatt bearbeiten dürfen“, ergänzte Doreste.
Auch Rodanthi Tzortzaki, auf Energiefragen spezialisierter Anwalt, bestätigte gegenüber der Zeitung: „ Diese Praxis wird oft genutzt und vor allem in Aragón und Andalusien.“In den Anfängen der Ära der Erneuerbaren Energien war die Fragmentieren von Projekten durchaus üblich. Um den EEAusbau anzuschieben, erhielten Installationen mit weniger als 50 Megawatt an Leistung staatliche Prämien. Heute gibt es die Staatshilfe nicht mehr, Erneuerbare Energie ist rentabel genug. Genau dieses Rentabilität ist es, die aktuell diese Projektlawine ausgelöst hat. Was ist aber dann der Grund für die Aufteilung von Großprojekten?
Abel La Calle, Professor für Umweltrecht an der Universität von Almería, meint, dass „ diese Taktik angewendet wird, um bestimmte Umwelteinflüsse zu vermeiden oder um bestimmte Verwaltungen zu umgehen“. Die Promotoren könnten der Ansicht sein, dass die fragmentierte Bearbeitung des Antrags in einer Regionalbehörde erfolgsversprechender sei als in einer zentralstaatlichen Verwaltung. „ Das sind subjektiven Fragen“, sagte Prof. La Calle. Vielleicht werde geglaubt, dass das Genehmigungsverfahren von der einen Behörden laxer, von der anderen strenger gehandhabt werde.
Das Industrieministerium von Aragón jedenfalls verteidigte „ die Strenge“, mit der EE-Projekte be
handelt werden. Man erfülle „ gewissenhaft das Gesetz“, sagte der zuständige Minister Arturo´Aliaga gegenüber „ El País“. Nach der Umweltverträglichkeitsprüfung seien schließlich noch drei weitere Genehmigungen zu erteilen: die Eingangserlaubnis, die Baugenehmigung und die Betriebserlaubnis. „ Wir haben schon Baugenehmigungen verweigert, weil Umweltauflagen nicht erfüllt wurden“, sagte der Regionalminister.
Ecologistas en Acción haben via Naturvereinigung von Aragón (Ansar) durchaus schon Widerspruch gegen die Umweltgenehmigung von offenbar fragmentierten Projekte eingelegt. Was aber vom Industrieministerium der Region abgewiesen wurde. Bleib noch ein Verwaltungsgerichtsverfahren.
„ Aber das dauert lang bis zu einem endgültigen Urteil“, sagte Anwalt Doreste. Dabei gibt es bereits Urteile in Zusammenhang mit der Fragmentierung. So kam der Oberste Gerichtshof in einem Verfahren im März 20187 zu dem Schluss, dass zwei Windparks bei Serradilla del Arroyo (Salamanca), deren Anträge getrennt bearbeitet und genehmigt wurden, in Wirklichkeit nur künstlich aufgeteilt worden waren. Allerdings lässt sich laut Doreste aus dem Urteil keine Allgemeingültigkeit ableiten. Die Fragmentierung müsse in jedem einzelnen Fall immer wieder aufs Neue nachgewiesen werden.