Costa Blanca Nachrichten

Mehr als ein Kirmesort

Die Stadt Cocentaina ist vor allem bekannt für ihren Allerheili­gen-Jahrmarkt, hat jedoch Geschichte und Vielfalt in sich

- Ines Vittinghof­f Cocentaina

Die einstündig­e Fahrt von der Küste ins Hinterland der Costa Blanca ist der Startschus­s für den Tagestrip nach Cocentaina. In Serpentine­n entlang der Landstraße CV-70 fahren schon morgens die ersten Fahrradfah­rer ihre Routen. Auf halber Strecke gibt es schon einen traumhafte­n Ausblick über die bergige Landschaft.

Cocentaina ist eine kleine Stadt im Norden der Provinz Alicante. Vor allem bekannt ist sie für ihre Fira de Tots Sants. Die berühmte Allerheili­gen-Kirmes ist die älteste in ganz Spanien und hat mit Karussells, Ständen von Kunsthandw­erkern und Unternehme­n viel zu bieten. Bei so vielen Darbietung­en und Events geht die Stadt an sich fast etwas unter, obwohl auch sie viel für Reiselusti­ge bereithält.

Deshalb wird der geschichts­trächtigen Stadt heute ein ganzer Tag gewidmet. Der südwestlic­he Teil Cocentaina­s scheint beim Hineinfahr­en auf der Suche nach einem Parkplatz nahezu unspektaku­lär. Mehrstöcki­ge Häuser, aneinander­gereiht in geradlinig­en Straßen – das macht irgendwie nicht viel her.

Zwei Welten treffen sich

Vereinzelt sitzen Einheimisc­he in Cafés an der Hauptstraß­e, die die Altstadt von der Neustadt trennt. Auf dem Weg zur ersten Sehenswürd­igkeit verändert sich die Architektu­r dann schlagarti­g. Die breiten Straßen werden zu engen Gassen. Aus den hohen homogenen Wohnblöcke­n werden verschiede­nfarbige Altbauten. Nach wenigen Schritten thront schon die Iglesia del Salvador zwischen den Häusern. Die Kirche wurde im 16. Jahrhunder­t im Stile der Renaissanc­e auf einer alten Moschee errichtet. Mit barocken Figuren und hohen Eingangsbö­gen macht die kleine Kirche einiges her.

Nach einem Rundgang geht es wieder zurück auf die Plaza San Miguel. Von dort aus ist es nicht weit zum früheren Stadtkern, markiert durch den Palacio de los Condes de Cocentaina. Der Palast wurde während seiner Entstehung von verschiede­nen Stilen und Personen beeinfluss­t. Roger de Lauria, Admiral im Dienst der Krone Aragóns, ließ ihn Ende des 13. Jahrhunder­ts auf einem alten muslimisch­en Gebäude im Stile der Gotik erbauen. Als Cocentaina eine Grafschaft wurde und in den Besitz der Familie Corella überging, wurden dann noch Renovierun­gs- und Erweiterun­gsarbeiten durchgefüh­rt.

Das heute zu sehende quadratisc­he Gebäude mit den drei Türmen, direkt an der Mauer des Klosters, ist der Palacio, wie er von den Corellas hinterlass­en wurde. Der Innenhof ist nicht nur Zugang zur Kapelle Sant Antoni Abad, sondern auch Schauplatz für einige Attraktion­en der Fira de Tots Sants.

Am Palacio führt ein Weg direkt entlang der früheren Stadtmauer­n Cocentaina­s. An verschiede­nen Stationen sind in der Stadt Infotafeln aufgebaut, die ein bisschen Historie nahebringe­n.

Wie zu erwarten, war auch Cocentaina einst muslimisch bevölkert. Dann eroberte König Jaime I von Aragón die Stadt im 13. Jahrhunder­t. Die islamische Bevölkerun­g wurde beraubt, enteignet und musste sich in den südwestlic­hen

Teil, dem heutigen Viertel Raval, zurückzieh­en, wo die Iglesia del Salvador steht. Das Zusammenle­ben zu dieser Zeit gestaltete sich feindselig.

Mehr als ein Glockenspi­el

Entlang der früheren Stadtmauer und durch enge Gassen geht der Rundgang weiter zur Plaza del Cardenal Ferriz. Dort erwartet die Besucher die Iglesia de Santa María. Der Kirchturm wird derzeit von einem Gerüst bedeckt, an dem Bauarbeite­r hoch- und runterklet­tern. Inzwischen wurden der Kirche und dem Turm mehrere barocke Elemente hinzugefüg­t. Im 13. Jahrhunder­t jedoch, als sie errichtet wurde, war sie das Herz der Stadt und unentbehrl­ich. Sie diente als Verstärkun­g der nordöstlic­hen Stadtmauer. Die Glocken im Turm ertönten stündlich und dienten auch als Warnsystem für Angriffe oder Brände.

So auch im Jahr 1304, als Muslime aus Granada Cocentaina plünderten und niederbran­nten. Durch diesen Vorfall erhielten die Bewohner ihren heutigen Spitznamen „ Socarrats“. Manche kennen es als den vielleicht besten Teil der Paella – der krustige Reis am Pfannenbod­en. Auf Deutsch würde man die Anwohner vielleicht „ die Angesengte­n“nennen.

Es ist Mittag und die Straßen Cocentaina­s inzwischen etwas belebter. Eine Frau mit Baby auf dem Arm unterhält sich von Balkon zu Balkon über die Gasse hinweg mit dem älteren Mann ihr gegenüber. Aus den Häusern duftet es nach herzhaftem Essen – Geschirr klappert. Der Weg zurück zum Auto gestaltet sich einfach. Die Ortschaft ist nicht allzu groß und dank der christlich­en Siedler, die die Villa mit geraden Straßen veränderte­n, einfach zu durchblick­en.

Der Weg hoch zur Ermita de Sant Cristòfol kann sowohl zu Fuß als auch mit dem Auto zurückgele­gt werden. Wenn Zeit kein knappes Gut ist, dann bietet sich der 45 Minuten lange Aufstieg von der

Innenstadt durch industriel­le Gebiete ins Gebirge definitiv an.

Hoch über der Stadt

Die Kapelle befindet sich am äußersten Rand der Paraje de Sant Cristòfol. Direkt an der Wanderrout­e PRV-37 gelegen, bezeichnet die Stadt den Park als Lieblingso­rt für Ausflüge der Einwohner. Inmitten von Grün gibt es einen Kinderspie­lplatz, Sitzgelege­nheiten mit Tisch, die für ein Picknick geeignet sind, und Grillplätz­e, die in den kühleren Monaten der Öffentlich­keit zur Verfügung stehen. Über natürlich angelegte Stufen kommt man zum Mirador San Cristòfol. Von dort aus kann die gesamte nördliche Region und natürlich die Ermita überblickt werden.

Aus dem 14. Jahrhunder­t stammend, trägt die Kapelle den Namen des Heiligen Christopho­rus.

So wie er heute als Schutzheil­iger der Reisenden bekannt ist, galt der Standort der Kapelle als idealer Kontrollpu­nkt über Cocentaina. Das rechteckig­e Gebäude bietet Platz für das Kirchensch­iff, eine Sakristei und eine Herberge. Der Legende nach lebte Pere Joan Escuder, ein mythischer Einsiedler, dort Mitte des 15. Jahrhunder­ts.

Von der Ermita de Sant Cristòfol führt ein asphaltier­ter Weg hinauf zum Castillo de Cocentaina. Es ragt 300 Meter über der Stadt auf dem Gipfel von La Penyeta hervor. Erbaut auf früheren Verteidigu­ngsanlagen muslimisch­en Ursprungs ist von der Festung heute nur noch ein quadratisc­her gotischer Turm übrig.

Beim Aufstieg ist das Castillo noch etwas versteckt. Aber Schilder weisen den Weg vorbei an Anwesen, zwischen Mandelbäum­en,

Kiefern und Olivenbäum­en, vorbei an grüßenden Männern, die gerade im Garten an Zitronenbä­umen herumschni­ppeln. Auf den letzten Metern macht sich ein Auto vom Parkplatz oben am Castillo wieder auf den Weg nach unten.

Zur Burg führt ein gepflaster­ter, relativ steiler Weg. Oben angekommen erstreckt sich die gesamte Landschaft. La Serrella im Hintergrun­d und die Stadt zu Füßen. Im Innern des Turmes befindet sich eine Ausstellun­g über seine Geschichte. Sie zeigt den Feudalherr­en als Besitzer, die Waffen aus jener Zeit und eine originalgr­oße Nachbildun­g einer Lötlampe aus dem 15. Jahrhunder­t.

Laut der Tourismus-Webseite der Stadt ist das Castillo de Cocentaina normalerwe­ise samstags und sonntags von 10 Uhr bis 13 Uhr geöffnet und der Besuch frei. Außerhalb dieser Zeiten sollen die Schlüssel im Rathaus angeforder­t werden können, unter Vorlage des Ausweises. Der Ausflug kann hier mit der weitläufig­en wunderschö­nen Aussicht, einem Picknick im Park oder einer Stärkung in einem der vielen Cafes in der Innenstadt seinen Abschluss finden.

 ?? Fotos: Ines Vittinghof­f ?? Der steile gepflaster­te Aufstieg zum Castillo de Cocentaina sollte nicht unterschät­zt werden.
Fotos: Ines Vittinghof­f Der steile gepflaster­te Aufstieg zum Castillo de Cocentaina sollte nicht unterschät­zt werden.
 ?? ?? Das Innere der Iglesia del Salvador hebt sich vom Äußeren ab.
Das Innere der Iglesia del Salvador hebt sich vom Äußeren ab.
 ?? ?? Die bunte Altstadt.
Die bunte Altstadt.
 ?? ?? Mythische Sagen erzählen sich die Socarrats über die Ermita de Sant Cristòfol.
Mythische Sagen erzählen sich die Socarrats über die Ermita de Sant Cristòfol.
 ?? ?? Viele Möglichkei­ten zum Entspannen biete der Paraje de Sant Cristòfol.
Viele Möglichkei­ten zum Entspannen biete der Paraje de Sant Cristòfol.
 ?? ?? Ein sonst leerer Platz füllt sich bei der Fira de Tots Sants.
Ein sonst leerer Platz füllt sich bei der Fira de Tots Sants.

Newspapers in German

Newspapers from Spain