Im Epizentrum der Verzweiflung
Spanien ist eines der vier Länder, dessen Hilfe Marokko nach dem schweren Erdbeben annimmt
Marrakesch/Granada – mar/ann. Es war sehr ruhig am Samstagmorgen in der Calle Elvira, dem „ Klein-Marokko“von Granada am Fuße des AlbaicínViertels. Souvenir-Händler und Betreiber von Teestuben, die sonst gerne auf der Straße sitzen und plaudern, versammelten sich vor den Fernsehern im Inneren ihrer Geschäfte. Das schwere Erdbeben der Stärke 6,8 in Marokko, bei dem mindestens 2.900 Menschen ums Leben gekommen sind, hält hier alle in seinem Bann. „ Fast jeder von uns hat Verwandte und Freunde in der Gegend und auch viele Marokkaner, die sonst in Spanien leben, sind noch drüben in der alten Heimat im Urlaub“, erklärt mir ein Mann, der mir den Kaffee anrührt, ohne den Blick auch nur eine Sekunde vom Fernseher abzuwenden.
Fast eine Million Marokkaner – Gastarbeiter, Eingebürgerte – leben in Spanien, von Andalusiens Küsten aus kann man das Nachbarland auf der anderen Seite des Mittelmeeres sogar sehen. Um 23.11 Uhr mitteleuropäischer Zeit am Freitag, 8. September, bebte die Erde. Das Epizentrum lag rund 63 Kilometer südwestlich von Marrakesch in einer Tiefe von nur 18 Kilometern, daher waren die Intensität und die Zerstörungskraft viel stärker, als die schiere Angabe der Richterskala mit 6,8 verdeutlichen kann.
Auch in Südspanien, in Sevilla, Huelva, Cádiz und Málaga, sogar auf den Kanarischen Inseln, wackelte der Boden noch so stark, dass hunderte Menschen den Notruf 112 anriefen. Spanien war auch eines der ersten Länder, die Suchtrupps mit Hundestaffeln ins Katastrophengebiet entsandten, etwa von der militärischen Notfalleinheit UME. Internationale Hilfe nimmt Marokkos König Mohammed VI. bisher nur von Spanien, Großbritannien, Katar und den Vereinigten Arabischen Emiraten an. Die Hilfsangebote aus über 60 Ländern, darunter auch Deutschland und Frankreich, das ebenfalls eine große marokkanische Gemeinde zählt, wurden von Marokko abgelehnt. Gerechtfertigt wurde dies damit, dass es zu chaotisch wäre, wenn plötzlich Teams aus der ganzen Welt in Marokko eintreffen würden.
In Wahrheit könnte die Position der internationalen Gemeinschaft bei der Westsahara-Frage dahinterstecken. Die meisten Länder verurteilen die Einnahme der Region vonseiten Marokkos und fordern ein Unabhängigkeitsreferendum. Spanien hatte im vergangenen Jahr eine 180-Grad-Wende vollzogen, als Ministerpräsident Pedro Sánchez die Westsahara als eine Art autonome Provinz Marokkos anerkannte, um die diplomatische Krise mit dem Nachbarland zu beenden. Spanien ist bei der Kontrolle des Migrationsdrucks in seinen Exklaven Ceuta und Melilla auf die Hilfe Marokkos angewiesen.
Währenddessen verzweifelt Mohammeds Volk im Katastrophengebiet. Dort schwindet zunehmend die Hoffnung, unter den
Trümmern noch Überlebende zu finden. Dutzende Dörfer seien zerstört, berichtete die marokkanische Nachrichtenseite „ Hespress“. Die Einwohner müssten nicht nur die Toten bergen und begraben, es mangele auch an Lebensmitteln, Wasser und Medikamenten für die über 5.500 Verletzten. Gleichzeitig steigt das Risiko für die Ausbreitung von Seuchen. Internationale Hilfe wäre mehr als notwendig.
Obwohl die Gegend im Norden und im Zentrum Marokkos, wie auch das südliche Mar del Alborán gegenüber von Málaga als seismisch sehr aktiv bekannt sind, handelt es sich bei dem „ aktuellen Beben um das stärkste seit 120 Jahren“, stellt Spaniens Nationales Geografie-Institut (IGN) fest und hat etliche Nachbeben im Katastrophengebiet registriert, den Menschen vor Ort bereiten sie zusätzliche Panik, die Retter begeben sich in Gefahr, weil bereits instabile Gebäude nun gänzlich einstürzen können. Viele Menschen haben sich in Zelten außerhalb der Städte oder an deren Rand eingerichtet. Das IGN gibt die Intensität auf einer Skala bis XII mit VIII und IX im Zentrum des Bebens an. Die Zerstörungskraft war also an manchen Stellen in Marokko so stark wie bei dem Erdbeben in Syrien und der Türkei im Februar 2023 mit über 50.000 Toten.
Zum Vergleich: Das letzte tödliche Erdbeben in Spanien ereignete sich im Jahr 2011 bei Lorca (Murcia), damals erreichte es eine Stärke von 5,1 bei Richter und eine Intensität von VII, neun Menschen starben, 300 wurden verletzt. 1829 zerstörte ein Erdbeben den Süden von Alicante mit hunderten Toten und erst kürzlich rannten auch die Menschen in Granada auf die Straßen wie die Calle Elvira, als 2021 eine ganze Serie von Erdbeben Granada erschütterte, allerdings bei weitem nicht so stark wie jetzt bei den Nachbarn in Marokko.
Nach dem Beben steigt die Gefahr der Ausbreitung von Seuchen