Kruzifix, noch eins
In der Sänfte zum Schafott, zu Picasso, zum Licht: Sonderausstellungen in Madrids großen Museen
Madrid – mar. Aus Madrids „ großen Drei“ist ein Quartett geworden. Zu Prado, Sammlung Thyssen und Museo Reina Sofía gesellte sich im Sommer die Galerie der Königlichen Sammlungen in einem ziemlich spektakulären Bau, der wie ein Felsennest ans Plateau des Palacio Real gewuchtet wurde. Die Eröffnung ging ein bisschen unter, erst im Trubel der Wahlen, die offizielle Zeremonie mit König und allem Tamtam wurde deswegen sogar verschoben, und dann in der Sommerpause, da Madrid gänzlich an die Küste evakuiert wird.
Doch der Besuch (siehe unter „ Königliche Sammlungen“auf www.costanachrichten.com) lohnt sich, bietet die Galerie doch einen prächtigen Einblick in die Schatztruhe der Habsburger und Bourbonen, rund 700 Kunstwerke und Objekte von rund 150.000, die vom Patrimonio Nacional verwaltet werden, sind zu sehen. Bis Juni 2024 widmet sich eine Sonderausstellung der königlichen Mobilität, von Kutschen, über Sänften, bis zum Mercedes, den Hitler einst Franco schenkte, der sich ja auch wie ein König fühlte.
Das Prado-Museum, dessen Publikumsrenner die Goyas und Velázqueze sowie vor allem die Weltuntergangstriptichons von Hieronymus Bosch sind, widmet sich ab 10. Oktober einem der nicht wenigen finsteren Kapitel spanischer Machtpolitik. Mit Werken aus den Jahren 1285 bis 1492 sucht das Museum nach einem „ Verlorenen Spiegel“. Denn die „ Darstellungen von Juden und Konvertiten im spanischen Mittelalter“– das bei Lichte betrachtet in vielen Bereichen des Lebens bis mindestens 1978 anhielt – sind, so der Prado-Kurator, immer auch ein Spiegel des Selbstbildes und der Ängste der christlichen Spanier. Besonders die Phase von 1391, dem Beginn massiver, organisierter Pogrome, die von Sevilla über das ganze christliche Land schwappten, über 1478, Gründung der Inquisition, bis 1492, der Vertreibung der Juden durch das Alhambra-Edikt, ist von Interesse.
An Werken lässt sich ablesen, wie die früher noch mit Neugier betrachtete und gemalte „ Andersartigkeit“des Judentums – ähnlich verzerrt wie jene der Mauren – in bildreiche Propaganda umschlägt. Die Werke, die wir heute als historische Kunst betrachten, wurden mit dem Ziel beauftragt, kultische Handlungen der Sepharden bekannt zu machen, um Kryptojuden, also „ falsche Konvertiten“zu identifizieren, um sie vor die Inquisition zu bringen, zu enteignen, zu deportieren oder zu töten. „ Andersartigkeit existiert, Feindseligkeit wird gemacht“, resümiert der Prado.
Thyssens Dämonen
Ab 3. März 2024 dreht der Prado einige seiner Bilder um und zeigt uns deren Rückseiten. Da werden nicht nur kuriose Herkunftsetiketten zu sehen sein, sondern auch ganze Werke erscheinen, überraschende Selbstportraits von Malern, kryptische Zeichenserien.
Apropos kryptisch. Die Sammlung Thyssen-Bornemisza, eine der wichtigsten europäischen Gemäldesammlungen, zusammengetragen von Stahlbaronen und Kriegsgewinnlern, wurde 1993 für 350 Millionen Dollar und einen Steuerfahndungsfreifahrtsschein für den Baron nach Spanien geholt. 700 Gemälde.
Sonderausstellungen gibt es auch hier, am Paseo del Prado Nummer 8. Noch bis 24. September stehen dabei Werke der Spätromantik des 19. bis zur Avantgarde des 20. Jahrhunderts im Zentrum, die sich den „ geheimen Wissenschaften“widmen, der Alchemie, Astrologie, der Dämonenkunde, dem Spiritismus, dem Schamanismus, der Traumdeutung und der Philosophie, die viele Jahrhunderte als reinste Ketzerei galt.
Picasso mischt überall mit
Ab 4. Oktober wird im Thyssen Picasso gefeiert. In den Sälen 53 bis 55 wird „ Das Geheiligte und das Profane“unter die Lupe genommen, in gewissem Sinne wörtlich, denn es werden vor allem kleinformatige Werke des großformatigen Genies gezeigt, dessen 50. Todestag die Welt und besonders Spanien begeht. In gewisser Weise führt die Schau jene im Prado über das Judenbild im Mittelalter fort – die Aufarbeitung des Kreuzfetischs bleibt für die Spanier eine generationen- und epochenübergreifende Last und Lust –, denn die gezeigten Werke reflektieren Picassos Umgang mit Glaubenssymbolen, die er sich von Huldigungs- zu Arbeitsmaterial unterwarf. 22 Picasso-Werke aus der Sammlung und aus dem Nationalmuseum in Paris werden 16 „ Klassikern“gegenübergestellt.
Das Reina Sofía, Bewahrer von „ Guernika“, kann natürlich nicht auf Picasso-Würdigung verzichten. Ab 15. November 2023 wird „ Picasso 1906. Die große Transformation“gezeigt, Picasso, noch jung, aber schon zum Sprung bereit, wird als Wegbereiter der Moderne in Stellung gebracht, die Kreativität des Genies bricht nun in alle Richtungen aus. Die Inspiration, ob von Stammeskunst, Alten Meistern, neuen Kollegen oder inneren Dämonen stammend, braut sich zu dem Picasso zusammen, den wir heute meist so oberflächlich verehren. Vertiefung ist in Madrid möglich, aber auch in seiner Geburtsstadt Málaga, wo im Picasso-Museum zeitgleich, ab 3. Oktober, die Schau „ Picassos Echo“anläuft.
Und im Palacio Real, der mit seinen neuen Königlichen Sammlungen nebenan so glänzend auftrumpft, wird Joaquín Sorolla geehrt, der am 10. August vor 100 Jahren starb, was irgendwie auch im Sommerloch unterging. Sein Werk definiert sich „ über das Licht“, und so heißt auch die Ausstellung zu Ehren des Valencianers im Palacio Real von Madrid.