Deutsche Supermärkte am Pranger
Umweltkatastrophe: Billiggemüse für Deutschland auf Kosten des Naturparadieses Mar Menor
Murcia – dpa/sg. „ Wo sind die Seepferdchen geblieben?“, fragt man sich am Mar Menor. Die größte Salzwasserlagune Europas liegt im Sterben. Sie ist eine dunkle Brühe voller Algen und Quallen. Laut Umweltschützern trägt der Massen-Anbau von Billiggemüse, das vor allem nach Deutschland gelangt, die Hauptschuld.
Nach einem großen Bewässerungsprojekt Mitte der 1990er Jahre werde im Anbaugebiet Campo de Cartagena am Mar Menor hyperintensive Landwirtschaft betrieben, klagen Aktivisten, Wissenschaftler und auch die linke Zentralregierung in Madrid. Am Pranger stehen jene Betriebe, die hier unter anderem Kopfsalat, Brokkoli, Tomaten, Trauben und Zitronen kostengünstig anbauen. Zuletzt wurden rund 30 Prozent der Jahresexporte des Campo de Cartagena in Höhe von 2,5 Millionen Tonnen von Deutschen gekauft.
Die Probleme hier empören nicht nur Spanier wie Marta Añíbarro, die die Initiative „ Abracemos el Mar Menor“(Umarmen wir das Mar Menor) gründete. Die ihrer Ansicht nach allzu sorglosen Einzelhändler und Konsumenten in „ Alemania“werden auch von der Deutschen Umwelthilfe (DUH) ins Visier genommen. „ Der massenhafte Anbau von Billiggemüse für den europäischen Markt führt in Murcia zu einer verheerenden Umweltkatastrophe, an der auch deutsche Supermarktkonzerne eine entscheidende Mitverantwortung tragen“, klagte jüngst die DUH. Das sei das Ergebnis einer Umfrage in Zusammenarbeit mit der spanischen Umweltorganisation „ Ecologistas en Acción“zum Einkaufsverhalten von Aldi Nord, Aldi Süd, Lidl, Rewe und Edeka.
Die befragten Einzelhändler beteuern, man setze sich auch in
Spanien für einen nachhaltigen Anbau unter anderem im Bereich des Wassermanagements ein. Bei gegebener Warenverfügbarkeit biete man zudem bevorzugt Obst und Gemüse aus Deutschland an, betonten sie. DUH-Bundesgeschäftsführer Sascha Müller-Kraenner überzeugt das nicht. Statt auf bis zu vier Ernten im Jahr, auf Kunstdünger und Pestizide zu setzen, sollten die Supermärkte sich für Renaturierung der Flächen einsetzen, fordert er. Dass das Mar Menor „ erstickt“, wie Müller-Kraenner sagt, steht außer Frage.
2016 gab es das erste große Warnsignal, als das Wasser der Lagune sich über Nacht in eine „ gigantische grüne Suppe“mit faulem Gestank verwandelte. „ So etwas hatten wir hier nie erlebt, das hat uns die Augen geöffnet“, erzählt Isabel Rubio. Die 72-jährige Ex-Lehrerin engagiert sich als Koordinatorin des „ Pacto por el Mar Menor“und organisiert mit Añíbarro und anderen Vereinen seit 2021 jeden Sommer die „ Umarmung des Mar Menor“mit Zehntausenden Teilnehmern.
Die stinkende „ grüne Suppe“war Folge einer schädlichen Anreicherung von Nährstoffen, die in der Landwirtschaft verwendet werden, wie Nitrate und Phosphate. Vor allem bei heftigem Regen gelangt neben Süßwasser auch viel düngerhaltiger Schlamm in das Mar Menor. Dadurch kommt es zu einer starken Vermehrung von Algen und Bakterien, die letztlich Sauerstoffmangel verursacht und den Fischen und weiteren Lebewesen die Lebensgrundlage entzieht.
Im Sommer 2019 und August 2021 wurden tonnenweise tote Fische an die Strände des Mar Menor gespült. In diesem Sommer meldete der Fischerverband des Mar Menor einen Rückgang des Fischfangs in der Lagune um 90
Prozent. „ Viele Fischer haben seit einiger Zeit keinen Lohn mehr erhalten. Das ist noch nie passiert“, klagte Verbandschef José Blaya.
Während Umweltschützer und die Regierung in Madrid mehr Maßnahmen für einen nachhaltigeren Anbau fordern, die natürlich die Gewinne schmälern würden, weisen Landwirte und Regionalregierung eine „ Kriminalisierung der Arbeiter“zurück. Auf dem Spiel steht viel Geld. Laut dem regionalen Agrarverband Proexport brachten die Exporte voriges Jahr gut drei Milliarden Euro ein. Proexport-Chef Mariano Zapata beteuert, man habe „ eine nachhaltige Umwandlung der Landwirtschaft durchgeführt, die in Europa beispiellos“sei.
Rubio sieht aber auch als Hobby-Taucherin keine Besserung. Im Gegenteil: „ Wenn man taucht, sieht man nur Tausende Quallen, die es früher nicht gab“. Von Seepferdchen, Goldbrassen, Tintenfischen und Zackenbarschen sei heute praktisch „ nichts mehr zu sehen“.
„Supermärkte setzten auf vier Ernten im Jahr, Dünger und Pestizide“