Albtraum Krieg
Leser schreiben für Leser: Sylvester Anmut über Tote der ersten und der zweiten Klasse
Sylvester Anmut San Juan de los Terreros
während dieser wenigen Minuten, da ich am Gleis stand, vom Tod gefunden worden waren.
Alle sprangen auf den Zug auf, schön der Reihe nach. Zuerst sprangen die heldenhaften auf und dann die für den zweiten Waggon, aber immerhin auch erschossenen Krieger.
Schließlich waren alle fort und der Zug dem Blick entschwunden. Ich wollte mich anschicken diesen grausigen Ort zu verlassen, als es abermals pfiff und die Lokomotive von der Seite, in die sie gerade verschwunden war, zurückkam. Vor dem Schornstein der Lokomotive saß diesmal Zar Putin und dahinter befanden sich Herr Medwedew, Herr Lawrow und die Herrn Erdogan und Orban standen im Tender um Kohlen aufzuwerfen.
Zar Putin und sein Chor riefen in die endlose Schneise des Schienenstranges, dass die NATO ein ehrloses Gebilde sei und das Versprechen, sich nicht zu erweitern, schamlos gebrochen habe. Sie erkläre zum Hohn des russischen Volkes, dass die waffenstarrende Aufrüstung an der russischen Grenze ein Zeichen der Friedensbemühungen sei.
„ Deshalb ist jeder Patriot, jeder Soldat Russlands, der sich dem entgegensetzt und der gar sein Leben dafür lässt, dass die Wurzel des Faschismus in der Ukraine ausgerissen und die schöne Ukraine kein Bollwerk der Nato werde, ein Held. Ruhm und Ehre der russischen Armee, Tod der europäischen Hegemonie!“
Jedes Wort des Chores des russischen Zaren und die Worte des Vorsängers am Schornstein der Lokomotive wiederholten und wiederholten sich, sodass ich den
Wunschgesang sehr bald als Tatsache verstand.
Doch nachdem ich am Bahnsteig stehend dem Schauspiel einige Male gefolgt war, fiel mir auf, dass die Lokomotive neben dem Wagen der ersten Klasse, in dem all die Toten Helden Russlands freudig aus dem Fenster winkten, wiederum einen zweiten Wagen hatte. Er war nicht nur der Zweite, sondern auf ihm stand geschrieben „ Zweite Klasse“. Darin saßen all die ukrainischen Soldaten, die bereits ihr Leben für die Verteidigung des Vaterlandes gelassen hatten. Sie fänden kaum Beachtung, sofern jemand diesen Leichenzug anschauen würde.
Als auch das Läuten dieser Lokomotivglocke am Horizont verklungen war, bemerkte ich an dem nunmehr leerem Gleis eine Frau und einen Mann. Der Mann hatte eine schier unendliche Zahl von Gräbern ausgehoben und die Frau eine schier unendliche Zahl von Holzkreuzen daneben gelegt. Sie sollten aufgestellt werden, sobald die Gruben gefüllt waren. Nun schauten die beiden mich an und die Frau sagte, dass sie erst damit aufhören könnten, wenn kein Nachschub an Toten mehr zu erwarten sei.
Ich entfloh diesem unheimlichen Ort und wollte dorthin, wo mich der Traum noch nicht ereilt hatte. Doch es war ein schreckliches Zurück.
Mitten auf dem Weg stand ein Apfelbaum, dessen Wurzeln sich von dem nährten, was gerade vergraben worden war. Eine Amazone bewachte den Baum, an dem prächtige Äpfel hingen. Sie reichte mir einen davon und befahl: „ Iß bis du platzt! Das ist der Preis dessen, was du Wohlstand nennst“.
Endlich erwachte ich und schaute aus dem Fenster. Der Apfelbaum im Garten trug verlockende Früchte und keine Amazone bewachte ihn.
Jedes Wort des Chores wiederholte sich unablässig, sodass ich den Gesang sehr bald als Tatsache verstand.