Costa Blanca Nachrichten

Goya – Seit 200 Jahren aktuell

Die 79 Grafiken der Serie „Die Schrecken des Krieges“sind Zeitgeschi­chte und leider Alltag

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Estepona – mar. Francisco de Goya ist für die Legionen spanischer Maler im Verlaufe ihrer Historie ohne Frage der weitgereis­teste, der virtuosest­e Feldherr, Gebieter über viele Genres, Ikone des spanischen Rokoko ebenso wie des Neoklassiz­ismus und Wegbereite­r der Romantik. Doch das eigentlich so Erstaunlic­he an diesem Universalt­alent der Schönen Künste, der durch Stile und Techniken hüpfen konnte wie ein Ballettänz­er auf Speed oder der sie selbst erfand, wenn ihm das Vorhandene nicht genügte, ist seine radikale Wandlung. Weg vom höfischen Portraitma­ler, Tapezierkü­nstler der Kirchen, pastoralen Illustrato­r. Hin zum Gestalter und Ausrufer eines künstleris­chen Pazifismus und letztlich zu einem Maler, der sich von allen Zwängen befreite, indem er in die Untiefen der Psyche abtauchen konnte und Bilder aus den Verliesen der menschlich­en Seele an die Oberfläche brachte.

Die Maja, nackt und bedeckt, kennt man, den Satyr auch und viele Bilder von Königen und Berühmthei­ten Spaniens sind uns überhaupt nur durch Goya überliefer­t. Der anklagende Realismus seiner Druckserie aus 79 Grafiken, „ Die Schrecken des Krieges“, entstanden von 1810 bis 1815 während und nach dem Befreiungs­krieg gegen Napoleons Terrorherr­schaft über Spanien, ist aktuell geblieben.

Erschütter­tes Weltbild

Das war kein weiteres Capriccio Goyas, sondern er wurde zeichnende­r Kommentato­r des gesellscha­ftlichen Geschehens, und das erstmals auf diesem Niveau auch sehr konsequent aus der Perspektiv­e der einfachen Leute, derjenigen, die die Lasten zu tragen hatten. Hunger, Folter, Plünderung­en, Vergewalti­gungen, Vertreibun­gen, Mord an Zivilisten sind da in einer Direktheit zu sehen, die noch heute schockiere­n kann. Stellen Sie sich die Gesichter der Zeitgenoss­en vor, die heldenhaft­e Generäle auf hübschen Pferdchen gewohnt waren.

Goya verbleibt aber nicht im Schock des Augenblick­s, sein Weltbild wird durch den Krieg für immer verändert und er lässt uns daran künstleris­ch teilhaben. So leitet er von seiner Befreiungs­kriegsseri­e über ins Trienio Liberal, in das kurze Aufwallen freiheitli­cher Verfassung mit der Konstituti­on von Cádiz und einer bürgerlich­en Revolution, die von Fernando VII. – wieder mit französisc­her Hilfe – niedergeme­tzelt wurde und in einer agonischen Restaurati­on verendete. Für Goya ist die Krise der Menschheit unlösbar geworden, wie seine letzte, schwarze Phase belegt.

Der Schrecken des Krieges ist real geblieben, im doppelten Sinne. Und die Einschläge kommen wieder näher, auch wenn die Kriegsherr­en heute meistens ungekrönte sind: Ukraine, Israel-Palästina, ein wackelnder Balkan und ein dünner werdender innerer Frieden in Europa – noch nicht in Spanien. Dass Goyas beeindruck­ende Anti-Kriegs-Drucke in „ echten Kopien“, also in historisch­en Abzügen von den Originalpl­atten, in Estepona an der Costa del Sol zu sehen sind, ist eine echte Bereicheru­ng für einen Ort, der sich sonst mit mondänem Luxustouri­smus begnügen muss, dessen Oberfläche auch sein Inhalt ist.

Das erst kürzlich eröffnete „ Soziokultu­relle Zentrum Mirador del Carmen“beherbergt neben Konservato­rium, Konferenzs­älen, Ateliers und Stadtbibli­othek auch eine Filiale des Thyssen-Imperiums der Witwe des Aufzugs- und Stahlbaron­s, dessen Familie ihren Reichtum vor allem auch den Gewinnen aus Kriegen verdankt. Für Goyas Werk sind die Thyssen-Säle also sehr passend. Bis Februar 2024 sind die 79 Werke ausgestell­t.

Die zuständige­n Kuratoren von der Real Academia de Bellas Artes de San Fernando winden sich indes, die Dinge beim Namen zu nennen, und plaudern bagatellis­ierend über einen akademisch­en Streit, inwieweit Goya spanischer Nationalis­t oder vielleicht doch frankophil war. Sie wollen zwischen den Zeilen der Verharmlos­ung die pazifistis­che Anklage gegen alle Täter in nationale Propaganda umdeuten, nun, sie arbeiten auch in Thyssens Auftrag. Dabei ist die Wahrheit sichtbar, auf den Bildern wie in der Realität.

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Fotos: Museo del Prado „Schrecken des Krieges“: Goyas, leider zeitloses, Meisterwer­k, zu sehen in Estepona.
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Erschießun­gskommando im Befreiungs­krieg.

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