Spanien hat Regierung
Pedro Sánchez mit absoluter Mehrheit – Massive Proteste – Amnestie spricht Separatistenbewegung von Schuld frei
Madrid – sk. Eigentlich hatte Pedro Sánchez seine Investitur seit Tagen in der Tasche. Mit 179 von 350 Mandaten hat der PSOE-Chef schon seit einer Woche mit der absoluten Mehrheit rechnen können. Und doch lag bei den massiven Protesten der vergangenen Tage etwas von Wandel in der Luft, als ob die Masse die Bildung der ungeliebten Regierung doch noch würde stoppen können. Dem war nicht so. Seit Donnerstag, gegen 13:15 Uhr hat Spanien eine neue Regierung. Endlich.
Bei der Parlamentsdebatte am Mittwoch musste Sánchez eigentlich nur seine Sozialpolitik Revue passieren lassen, die Amnestie verteidigen und einige Bonbons verteilen wie, dass der günstige Mehrwertsteuersatz auf Lebensmittel bis Juni 2024 bleibt, dass öffentliche Verkehrsmittel für Minderjährige und Arbeitslose ab 1. Januar gratis fahren und Hilfen für Hypotheken aufgestockt werden. Dann konnte er in seinem Sessel auf Tauchstation gehen und die wirkungslos verpuffenden Schüsse der rechtskonservativen Opposition mit einem Lächeln über sich ergehen lassen. Das Wahlergebnis stand ja fest, auch wenn Junts am Mittwoch noch einmal Zweifel streute. Doch die Koalition aus PSOE und dem Linksbündnis Sumar, die angewiesen ist auf die Unterstützung zahlreicher Regionalparteien, steht jetzt.
Die Vorbehalte über den Ausgang dieser Investitur rührten von den massiven Protesten gegen das Amnestie-Gesetz (siehe Hintergrund, Seite 26) und die Pakte mit den Sozialisten, die seit Tagen Spanien in Atem halten und in zwei Lager spalten. Niemals stand in der jüngeren Demokratie eine Regierungsbildung unter derartigem Beschuss wie dieser zweite Anlauf nach der Parlamentswahl vom 23. Juli. Allein an der Puerta del Sol in Madrid sollen laut der Oppositionspartei PP am Sonntag 500.000 Menschen ihrem Aufruf „ Zur Verteidigung der Gleichheit“gefolgt sein, die Regierungsdelegation spricht von 80.000.
Santiago Abascal und seine rechtspopulistische Vox machten auch mit und zogen dann vor den Parteisitz der PSOE in der Calle
Ferraz, um dort weiter Stimmung gegen Sánchez zu machen. Wie schon in den Nächten zuvor, mehrmals verbunden mit Zusammenstößen zwischen Polizisten und vermummten Faschisten, dutzenden Verletzten und Verhafteten. Auch in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag ging es ordentlich zur Sache. Ein Polizeiaufgebot von 1.600 Beamten riegelte das Parlament während der Debatte und Wahl ab.
Mit dem Abkommen über das Amnestiegesetz wollen Pedro Sánchez und der ehemalige katalanische Ministerpräsident und Justizflüchtling Carles Puigdemont (Junts) eine neue Etappe in den Beziehungen zwischen Spanien und Katalonien einläuten. Friedlich hat diese neue Ära nicht begonnen, die Reaktionen vermittelten den Eindruck einer Ablehnung auf allen gesellschaftlichen Ebenen. Das
Volk, die Unternehmer, die Richter, ja selbst Eisenbahner sind auf die Barrikaden gegangen, und auch die EU nimmt das Vorhaben unter die Lupe. Das Amnestie-Gesetz selbst aber dürfte Schätzungen zufolge vielleicht 400 Separatisten in Schutz nehmen.
Junts schnitt den Sozialisten eine Totalamnestie für Separatisten aus den Rippen, für den Zeitraum von kurz vor der ersten illegalen Volksbefragung 2013 bis nach dem illegalen Referendum 2017 – also damit eigentlich bis in die Gegenwart. Selbst bereits Verurteilte und Rädelsführer der Unruhen von 2017 und 2019 sowie all die Aktivisten der Unabhängigkeitsbewegung, die das illegale Referendum für die frühere Landesregierung durchführten, müssen keine Konsequenzen für eventuell begangene Straftaten und Vergehen im Zusammenhang mit diesen Ereignissen befürchten.
Das Amnestie-Gesetz spricht gewissermaßen die Separatistenbewegung von juristischer Verantwortung frei. Vom Straßenkämpfer bis zum Lehrer, der beim illegalen
Referendum eine Wahl-Urne im Klassenzimmer aufstellte. Obendrein muss Spanien mit viel Steuergeldern das Streben der Regionen nach mehr Autonomie bezahlen und Privilegien gewähren.
Diese Amnestiepläne bezeichnete PP-Chef Alberto Núñez Feijóo als „ Anschlag auf den Rechtsstaat“. Die Regierungschefin von Madrid, Isabel Díaz Ayuso, sprach vom Beginn einer „ Diktatur“, ausgerechnet Vox-Chef Santiago Abascal prophezeite den Anfang vom Ende der Demokratie und will so lange auf die Straße gehen, „ bis der Diktator auf der Anklagebank“oder er selbst im Gefängnis sitzt. Die Gemüter kochten. Selbst im rechten Flügel der Sozialisten erkannte der Regionalpräsident Emiliano García-Page „ keine Tugend, aber große Begehrlichkeiten – einer will regieren und der andere dem Gefängnis entkommen“.
Pedro Sánchez wollte diesen Pakt als Kontinuität seiner Politik des Dialogs verstanden wissen. Doch mit dieser Botschaft kamen die Sozialisten beim aufgebrachten Volk nicht an. Weit verbreitet war
Mit der Amnestie zur Macht: Pedro Sánchez erkauft Zugeständnisse