Mündung der Hoffenden
Esperantisten von Guardamar würdigen Ingenieur Codorníu (†1923), Apostel der Bäume
Guardamar – sw. Schon von fern ist es das unverwechselbare Merkmal Guardamars. Das weite Grün des Waldes am Meer. Fast selbstverständlich nimmt man diese Pinada hin, dabei ist sie ein herausragendes Erbstück, ja ein Wunder der Natur und des menschlichen Geistes. Um 1900 rettete die mächtige Aufforstung die Stadt am Segura vor dem Versanden. Mit den Bäumen verewigte sich in besonderer Weise ein vor 100 Jahren gestorbener, stets aktueller Visionär.
„ Ricardo Codorníu nutzte seine Kontakte zum König, um das Projekt in die Wege zu leiten“, sagt Lola Pérez, eine geistige Nachfahrin der Rettergestalt. Die emeritierte Lehrerin leitet den örtlichen Kreis der Esperantisten, also Nutzer des Esperanto – der Bewegung, der Forstingenieur Codorníu nicht nur angehörte, sondern deren erste spanische Gesellschaft er 1902 in Murcia gründete. Mehr als man denkt habe das Esperanto mit Guardamars grüner Rettung zu tun, sagt Pérez.
Erstens sei Codorníu durch die von Ludwik Zamenhof entwickelte Universalsprache sehr vernetzt gewesen. „ Er selbst sagte, dass er viele Kenntnisse durch Esperanto-Korrespondenz mit Waldökologen aus Chile, Algerien, Kanada oder Österreich erlangte.“Dies war auch die Basis für Codorníus bekannteste Leistung: die Bewaldung der Sierra Espuña, die der Region Murcia auf 5.000 Hektar ein tiefgrünes Herz verlieh.
Etwas vergessen ist sein Beitrag in Guardamar. „ Im Ort hat sich eher Ingenieur Mira als ausführender Leiter eingeprägt“, sagt Pérez. „ Aber ohne Codorníu hätte es das Projekt nicht gegeben.“Der Apostel der Bäume, wie man ihn nennt, hätte an die Segura-Mündung neben seinen Fachkenntnissen eine spezielle Philosophie mitgebracht: das Esperanto-Denken. Codorníu sei ein „ Hoffender“gewesen (esperanza = Hoffnung), im wahrsten Sinne.
Um es zu verstehen, muss man sich in seine Zeiten versetzen. Der polnische Jude Zamenhof entwickelte Ende 1800 die „ Sprache der Hoffnung“als Antwort auf die immer stärker in Extremismen auseinanderdriftende Welt. Menschen wie Codorníu schlossen sich an. Auch weil sie beobachteten, wie die unbändige Industrialisierung die Umwelt zugrunde richtete.
Doch war ihre Reaktion keine Wut oder Verzweiflung – sondern das Pflanzen von Bäumen. Geistiger wie wirklicher Art. Damit habe Codorníu schon vor 120 Jahren die Klimakrise vorausgesehen und bekämpft, wie es eine Ausstellung im Museo de la Ciencia y el Agua in Murcia bis 7. Januar 2024 darstellt.
Die – alles andere als leere – Hoffnung des Ingenieurs konnte Guardamar damals gut gebrauchen. Erst 1829 hatte ein Erdbeben die alte Stadt vernichtet. Nun stand sie vor dem erneuten Untergang: im Sand. Die massive, auch der Kriegsindustrie geschuldete, Abholzung im Hinterland spülte Mengen an Sedimenten in den Fluss. Die Sandberge am Meer wuchsen und wuchsen.
Die Moral war am Boden, aber Codorníu richtete sie auf. Und verhalf der Stadt zur schützenden grünen Krone. Der Ingenieur bleibt wegweisend, wenn auch in neuen Zusammenhängen. Ironischerweise fehlen der Stadt heute, wegen neuer Umweltsünden, Sedimente. Nun schwinden die Strände, die Bäume kranken im immer salzigeren Boden. Pérez und ihr (noch kleiner) Esperantistenkreis pflanzen jedoch weiter Bäume – nicht nur grüner Art.
Wir begegnen der Rentnerin auch am Hotel, das aktuell 230 afrikanische Migranten beherbergt. Sie führt die jungen, verloren wirkenden Menschen zur Bibliothek. Ihr sei es wichtig, die Afrikaner zu grüßen, ihnen in die Augen zu sehen, in ihnen etwas Hoffnung zu pflanzen. Wo sonst wäre dies angebrachter, als an der Flussmündung voller Bäume des Esperanto?