Physiker zwischen leeren Regalen
Gil Gatloff hat nach 25 Jahren seine bekannte Librería Europa in Calp geschlossen
Calp – ann. Gil Gatoff sitzt im Halbdunkel zwischen leeren Regalreihen und dem, was 25 Jahre lang sein Lebensinhalt in Calp war. Im vergangenen Sommer verkaufte der Engländer das letzte Buch in seiner Librería Europa, die ein Vierteljahrhundert spanische und ausländische Leser mit Literatur, Presse und Schreibwaren versorgte. „ Ich hatte etwa 30 Prozent englischsprachige Kunden, 30 Prozent deutschsprachige, 30 Prozent Spanier und der Rest war gemischt“, erzählt Gatoff, der auch fließend Deutsch spricht.
Jetzt sind nicht nur Bücherregale und Kartenständer leer, auch der Strom ist abgestellt und Gatoff sucht einen Käufer oder Mieter für das Ladenlokal in der Calle Óscar Esplá. „ Schon seit einigen Jahren hatte ich keinen Gewinn mehr erzielt, die Einnahmen gingen immer weiter zurück“, erzählt der 64-Jährige. Er habe schon länger mit dem Gedanken gespielt, die Buchhandlung zu schließen, aber „ ich wusste zunächst nicht, was ich dann machen soll“, erzählt der Engländer.
Durch einen Kunden, der OnlinePrivatunterricht gibt, sei er auf die Idee gekommen, selbst Nachhilfestunden anzubieten. „ In den vergangenen zwei Jahren habe ich bereits abends Englischunterricht gegeben“, erzählt er. Jetzt gebe er vor allem Wissenschaft und Mathematik. Denn was viele, die bei ihm Bücher kauften, vielleicht gar nicht wissen: Gil Gatoff ist Doktor der Physik.
„ Ich war früher in den Staaten und in Frankreich als Physiker tätig“, erzählt er. Als solcher habe er in den 80er Jahren sogar in Los Álamos, New Mexico, gearbeitet, wo in den 40er Jahren die erste
Atombombe entwickelt wurde, was im aktuellen Film „ Oppenheimer“zu sehen ist. „ Aber jetzt ist es einfach ein Zentrum für physikalische Forschung“, meint Gatoff.
Als er sich vor 26 Jahren seine Wohnung in Calp kaufte, arbeitete er anfangs noch im Finanzsektor in London. „ Nach einem Jahr habe ich gesagt, gut, ich brauche nicht mehr Geld, ich will etwas anderes machen“, erzählt er. Nur was? Er habe dann mit seiner Cousine gesprochen und sie habe gesagt: „ Was fehlt in Calp? – Na, eine gute Buchhandlung!“Zwei Tage später habe er den Laden in der Calle Óscar Esplá gekauft.
Nach zwei, drei Jahren lief der Laden richtig gut. „ 2003 war mein bestes Jahr“, erinnert sich Gatoff. „ Damals kauften wenige Leute ihre Bücher im Internet. Es war sehr langsam zu dieser Zeit, es gab keine E-Books, usw.“Auch hätten viele Familien damals die Schulbücher in den Buchläden gekauft.
„ Aber dann ging es ganz langsam immer weiter bergab“, sagt der Engländer, der die Gründe für diesen Niedergang genau analysiert hat. „ Viele denken, die Leute lesen weniger als früher, aber das ist falsch“, meint er. „ Es wurde sehr viel über dieses Thema geforscht, und in allen Ländern kommt man zu dem Ergebnis, dass das nicht stimmt, sondern, dass die Leute genauso viel lesen wie früher.“Auch als das Fernsehen Einzug hielt, hätten die Menschen nicht weniger gelesen, sondern sogar mehr. „ Weil sie im Fernsehen Dinge gesehen haben, die ihnen gefallen haben und dann haben sie sich das Buch gekauft.“
Die Personen, die lesen, seien natürlich eine Minderheit in der Bevölkerung. „ Und die meisten in dieser kleinen Gruppe lesen Liebesgeschichten, Krimis, was Leichtes im Urlaub, und diejenigen, die tiefgründigere Bücher und gute Literatur lesen, das ist eine noch kleinere Minderheit – aber das war immer so“, ist sich Gatoff sicher.
Gatoff ist Doktor der Physik und hat in den 1980er Jahren in Los Álamos gearbeitet