Dreierlei Weihnachtsschmaus
Heiligabend-Menüvorschläge mit spanischem Akzent oder: Wie man die Feiertage komplett in der Küche verbringen kann
mar. Zu Weihnachten, speziell zur Nochebuena, der Heiligen Nacht, mag es der Spanier gern üppig. So üppig, dass die Preise für edle Meeresfrüchte, aber auch für Lammkeulen, in den Wochen zuvor explodieren. Die spanischen TV-Nachrichten geben regelmäßig die „ Börsenkurse“durch: Von Roten Garnelen gambas rojas, der Seespinne centollo, den Baby-Aalen angulas oder den galicischen Entenmuscheln percebes, dem natalen Äquivalent zum Barrel Rohöl. Auch die Zickleinbeinchen cabritos und die lechals, recentals und wie die verschiedenen Lammschlachtstufen heißen, sowie die Preise für pata negras, die Schinken vom einzig wahren echten reinrassigen cerdo ibérico, gelten als Maßstab für das jährliche Börsenfieber zu Weihnachten und können vierstellig werden. Dazu interviewen Reporter mit dem wolllüstigen Appetit medialer Nimmersatte die jedes Jahr identisch geschockten Kunden wie die schelmisch kalkulierenden Händler.
Drei Menüs mit spanischen Akzenten und entlang hiesiger Traditionen schlagen wie Ihnen hier vor, aber ohne minutiöse Rezepte, dafür mit erprobten Tipps und Varianten, mit leichter Hand wie Lametta über das Menü gestreut. Dazu machen wir uns die lohnende Mühe, mit fast manischer Akribie das passende Getränk, – ausschließlich aus den unendlichen Regalen spanischer Bodegas – zu jeder Speise zu finden. Denn so wie Josef und Maria zwar liebend zueinanderfanden, war doch ein Heiliger Geist für den Vollzug von Nöten, der uns letztlich überhaupt das Privileg verschaffte, Weihnachten so zu feiern, als hätte es zumindest eine der sieben alttestamentarischen Todsünden nie gegeben.
I. Luxus für Jedermann
Einmal im Jahr – naja, mit Silvester, Drei-Königs-Tag und Ostern vielleicht drei- bis viermal im Jahr – will der auf lebenslanges Sparen und Darben getrimmte Spanier über seine ihm mehrheitlich zugedachten Verhältnisse leben dürfen. Der Andalusier will das das ganze Jahr. Dabei bleibt er sich treu. Denn im Grunde ist die Heiligabend-Tafel der Spanier nichts weiter als eine aufgepeppte Tapas-Tour und muss am Ende gar nicht so teuer ausfallen, wie sie aussieht. Der Auftritt, die Inszenierung ist wichtig, wichtiger aber die Qualität. Und dass das Essen möglichst lange andauert, zelebriert wie eine Messe, vielleicht aber auch, um das Gespräch bei kulinarischen Themen belassen zu können und so das zu Weihnachten besonders akute Risiko zu umschiffen, alte Familienfehden und Frustrationen auf dem engen Raum eines schwer alkoholisierten Familienfestes explodieren zu lassen. Wir versuchen, dieses LuxusBuffett auf ökonomisch und gastronomisch sinnvolle Dimensionen einzuschmelzen, ohne am Genuss zu sparen.
Anstelle die Weihnachtstafel mit wilden Meeresfrüchten und Schinkenschnipseln zum Unzenpreis von Fein- und Blattgold vollzustellen, wie das beim spanischen Mittelstand üblich ist, halten wir uns an bewährte, leistbare Produkte, die mit ganz wenigen Handgriffen zu wahren Köstlichkeiten geadelt werden. Hierbei besinnen wir uns einer zentralen Tugend der spanischen Küche: Nicht zu kochen. Oder zumindest so wenig zu kochen, dass wir das Produkt nicht verderben, auf das in der Regel Verlass ist.
Unser erster Gang, der aperitivo, sei daher so simpel wie genial: Rote Garnelen in einer Vinaigrette aus Knoblauchöl, ajo tierno (das sind die wie zu dünne Lauchzwiebel aussehenden Knoblauchtriebe), Limette, Chili und einem sehr trockenen Sherry (fino seco oder manzanilla), der uns auch gleich als Begleitgetränk dient.
Diese Kombi war quasi das
Aushängeschild der spanischen Gastronomiehauptstadt 2022, Sanlúcar de Barrameda, wo die gamba roja con manzanilla den Stellenwert von „ Weißwurscht und Maaß“auf dem Oktoberfest hatte. Mit ein paar Welten dazwischenliegend.
Die wichtigste Zutat bleibt dabei meist ungenannt: Meerwasser. Daher muss die Garnele immer in der Schale bereitet werden. Ob Sie dann vor dem Servieren pulen oder das den Gästen überlassen, müssen Sie entscheiden. Die Rote Garnele wird unterschiedlich, so als autochthones Gewächs in Dénia, Huelva, Almería, Santa Pola vermarktet, ist aber immer dasselbe Tier. In Sanlúcar de Barrameda (sie kommt meist aus Huelva) schmeckt sie deshalb besonders gut, weil zum kalten Atlantikwasser, in dem sie langsamer wächst, dafür mehr Fett und so Geschmack mitbringt, noch die Meeresbrise am Delta des Guadalquivir und die unverfrorene Leichtigkeit des Seins der Provinz Cádiz hinzukommen. Die roten Garnelen können das Kilo zu Weihnachten über 160 Euro kosten und ums Eck ohne Herkunftsbezeichnung gibt es sie auch schon ab 25 Euro.
Den wahren Genuss einer einfachen Garnele und eines Schluckes Sherry kann indes nur wirklich als exquisit genießen, der sich seinen Gaumen vorher nicht mit Schampus, Kaviar und anderen Kinkerlitzchen verdorben, sondern sich mit einem Alltag aus bocadillos und einfachen Suppen sozusagen von unten herangearbeitet hat, wie ein Andalusier eben. Es muss ein guter Sherry sein, selbstredend. Der Allerweltstropfen Tio Pepe fino seco ist gerade noch so gut genug für jene, die nicht neben den Bodegas wohnen dürfen, wenn er gut gekühlt bleibt.
Die Garnelen werden kurz von beiden Seiten auf der plancha erhitzt, auskühlen lassen, Kopf und Schale (außer Schwanz) entfernen, Darm beseitigen. Knoblauchöl mit dem Saft einer Limette und einem Schuss Sherry in einer Pfanne etwas reduzieren, eine frisch geschnittene Chilischote und kleingehackte Knoblauchtriebe dazugeben, abkühlen lassen, die Gambas darin marinieren, bei Zimmertemperatur in kleinen Schälchen nett anrichten. Den ersten Gang schildern wir deshalb so ausführlich, weil er über den Abend gänzlich entscheidet.
Den zweiten Gang bereiten wir bereits am Tag zuvor zu, es soll eine gülden glänzende Consommé werden, aus Bio-Huhn oder Rebhuhn oder Fasan. Ganz klassisch und einfach ist, in kaltem Wasser das ganze, zerteilte Tier anzusetzen, mit ein paar Karotten und ganz wenig Stangensellerie (apio verde), Pfeffer, Wacholderbeeren, etwas Salz und am Ende ein Hauch Muskat. Die Brüstchen nimmt man früher heraus, damit sie nicht fasrig zerkochen und trocken werden. Abfiltern, die Brühe in den Kühlschrank, am nächsten Tag einen Teil des Fetts abziehen und die Brühe auf die gewünschte Konzentration einreduzieren, dazu kommt etwas in Sherry aufgelöster Safran, nur ganz wenige Fäden.
Als Einlagen (keine Sattmacher) bieten sich an: In Butter geschwenkte Stein- oder Shiitakepilze mit Petersilie bestreut, RosmarinCroutons und Wachteleier.
Das abgelöste Fleisch führt uns bereits zum dritten Gang. Doch zunächst zum Getränk. Hierzu passt ein klassischer, trockener Cava, ein etwas kräftigerer Weißwein oder – für die Sherry-Freunde – ein „ palo cortado“, dieses haselnussig-ölige Wunder, dessen geschmackliche Allüren das Beste des Amontillado und Oloroso vereinen, ohne in dessen süße Falle zu tappen. Der „ durchgestrichene Stab“bezieht sich auf die Fässer „ fino seco“oder „ manzanilla“, die der Kellermeister für diesen besonders gelagerten Sherry reserviert hat und die eine Prozedur durchlaufen, die zu den großen Geheimnissen des „ Marco de Jerez“gehört, wie das Weinbaugebiet für den Sherry benannt ist.
Weihnachten so feiern, als gäbe es zumindest eine der Todsünden nicht