Schlagzeilen statt Siesta
Wie die Spanien-Korrespondenten der ARD ihre Beiträge für die „tagesschau“oder den „weltspiegel“erstellen
Seit knapp 50 Jahren berichten sie aus Spanien für den öffentlichrechtlichen Rundfunk in TV, Radio, Online sowie in Social Media: Die Korrespondenten des ARDStudios in Madrid feiern 2024 Jubiläum. In der Berichterstattung decken sie neben der Iberischen Halbinsel auch das britisches Überseegebiet Gibraltar und Andorra sowie die nordafrikanischen Maghreb-Staaten Algerien, Marokko und Tunesien ab. Auch die Sender 3sat, PHOENIX, ARTE und Deutsche Welle sowie die Dritten Programme nutzen das Korrespondentennetz der ARD.
Doch woher kommen eigentlich die Informationen für die Beiträge, die zum Beispiel in der „ tagesschau“, in den „ tagesthemen“, beim „ Weltspiegel“, im Morgenoder Mittagsmagazin, laufen? Und Dokumentationen, die meist nicht nur die touristische Sonnenseite und Lieblings-Urlaubsdestinationen der Deutschen beleuchten.
Das erklärt ARD-Korrespondent Sebastian Kisters im Rahmen der Aktion „ Mitmischen“, bei der er Zuschauer via Videokonferenz durch die Redaktion führt und an einem Produktionstag teilhaben lässt. „ Ich arbeite gerne hier“, sagt der gebürtige Nordrhein-Westfale, während er die Teilnehmenden durch das schmucke historische Fachwerkhaus unter Denkmalschutz in der Calle de Serrano, einer beliebten Einkaufsstraße im nördlichen Zentrum Madrids, führt. Und dabei auch die Kollegen vor Ort kurz vorstellt.
Da ist Luis, Producer und Sprachgenie im Team – neben Deutsch und Spanisch spricht und übersetzt er auch Portugiesisch, Holländisch und Französisch. Und Maximilian, der gerade Details zu „ El Gordo“, der spanischen Weihnachtsziehung, für einen tagesschau.de-Artikel recherchiert, während Kollegin Silke weitere Infos für einen Beitrag über einen Schweinefleisch-Skandal in Nordspanien in Erfahrung bringt.
Zusammen mit den Korrespondentinnen Kristina Böker, Franka Welz und seinem Team hat Kisters, der seit Sommer 2022 als Korrespondent für die ARD aus Spanien und den Maghreb-Staaten berichtet, sich zum Auftrag gemacht, „ fremde Lebenswirklichkeiten, auch ohne Krisenanlässe und fernab kultureller Klischees“abzubilden.
Die Korrespondenten, die jeweils von den Landesrundfunkanstalten der ARD in die Auslandsbüros entsandt werden, sind in der Regel fünf Jahre vor Ort. So genannte Stringer, Redaktionsassistenzen, die oft übers Berichtsgebiet verteilt sitzen, unterstützen das zehnköpfige Team in Madrid bei den Recherchen und liefern immer wieder auch Geschichten aus ihrem lokalen Netzwerk.
Sebastian Kisters erzählt schmunzelnd, dass ihm als Auslandskorrespondent in einer Urlaubsdestination gerne unterstellt werde, dass man Beiträge vom Strand aus erledige. Mancher Anrufer denke, er mache einen noch nie gehörten Witz, wenn er fragt: „ Können wir jetzt anrufen oder macht ihr gerade Siesta?“, so Kisters. „ Die wohl nicht ganz neidfreie Vorstellung der Kollegen in Deutschland, wir würden dort arbeiten, wo andere Urlaub machen, hören wir natürlich oft.“Dabei läge Madrid zum einen gar nicht am Meer, zum anderen stünden die drei Korrespondenten durchaus unter Druck: immer auf Abruf, um gegebenenfalls bei Ereignissen, die die Menschen in Deutschland interessieren, möglichst schnell und live vor Ort berichten zu können.
Wie etwa zuletzt bei nächtlichen Recherchen auf einer Schweinezuchtfarm, denen eine Tierrechtsorganisation Tierquälerei vorwarf. Nachdem sie von einem Mitarbeiter anonym Material aus einem Schweinestall, der auch einen deutschen Hersteller mit Fleisch beliefert, zugespielt bekommen haben, wollten Sie sich selbst ein Bild davon machen. Und zogen mit Kameramann in einer Nacht- und Nebel-Aktion los. Generell sei man vorsichtig bei Material, das von Privatleuten und Interessensorganisationen eingesandt würde, es würde nie ungeprüft gesendet. „ Wir haben aber mit eigenen Augen gesehen, dass auch rund um den Stall Skelette und Knochen von verendeten Tieren lagen“, verrät Sebastian Kisters.
Die aktuellen Ereignisse in den jeweiligen gesellschaftlichen Zusammenhang einzuordnen und Hintergründe zu erklären, auch das sei Aufgabe der Korrespondenten. Neben der Landeskenntnis wird die kompetente Berichterstattung vor allem durch entsprechende Sprachkenntnisse der Mitarbeitenden sichergestellt. So würden die Korrespondenten neben Englisch und Spanisch auch Französisch sprechen. Korrespondentin Franka Welz zudem Portugiesisch.
Das „ Grundrauschen“, also Hauptthemen der Berichterstattung aus Spanien für deutsche Medien: Migration, Tourismus und Politik sowie Klimawandel. „ Zunehmende Dürre und Extremwetterereignisse sind in Spanien deutlich spürbarer als andernorts“, sagt Kisters. Auf der Iberischen Halbinsel laufen mehr als 800 Meerwasserentsalzungsanlagen, ohne sie könnten Menschen in weiten Teilen des Landes nicht mehr leben. Und Metropolen wie Barcelona geht bereits das Wasser aus.
In politischer Hinsicht stecke das Land in der Dauerkrise. Die Regierung habe Reformen eingeleitet, unter denen die Spanier stöhnten. Das grundlegende Problem, die Korruption, würde zwar vielfach beklagt, aber nicht wirkungsvoll bekämpft. Ein Grund dafür, warum die Politikverdrossenheit ein hohes Ausmaß angenommen habe, ist einem Beitrag über das Studio Madrid zu entnehmen.
Möglichst nah am Menschen
Die Geschichten für den Weltspiegel wählt man dabei nicht nur nach Relevanz aus, sondern versucht, nah am Menschen zu sein. Die Kontakte der Stringer vor Ort seien deshalb so wichtig. „ Ich mache auch mal Beiträge, bei denen man gegen den Strich berichtet, das finde ich besonders interessant“, sagt Kisters. Und versuche dabei gezielt, konstruktiv zu arbeiten und kleine Heldengeschichten einzubauen, wenn ein Thema zu negativ ist. „ Wir wollen die Welt so positiv wie sie eben auch ist, darstellen, denn das geht im Weltgeschehen oft unter.“
Wie arbeiten eigentlich ARD-Korrespondenten in Spanien, aber auch in Singapur oder Kiew, Nairobi oder Warschau, in Peking oder Tel Aviv? Gemeinsam mit den Auslands- und WeltspiegelRedaktionen lud die ARD Anfang Dezember im Rahmen der Aktion „Mitmischen! beim Weltspiegel“erstmalig dazu ein, die Arbeit von 15 Auslandsstudios per Video-Konferenz besser kennenzulernen. 500 Zuschauern lernten Arbeitsabläufe in den Studios kennen. Mehr unter dialog.ard.de.
Migration, Tourismus, Politik und Klimawandel als Hauptthemen