Seit der verfluchten Silvesterparty
Dramatischer Vermisstenfall aus Orihuela Costa bleibt nach fünf Jahren ungeklärt – Suche nicht zu Ende
Ohne toten Körper könne von keinem Verbrechen gesprochen werden
Orihuela Costa – sw. „ Wir sehen uns im neuen Jahr.“So etwas in der Art dürfte Henry Jiménez zu seiner Familie gesagt haben, als der damals 20-Jährige am
31. Dezember 2018 erst zur Arbeit, dann direkt auf die Silvesterparty in Orihuela Costa ging. Doch nach Hause kehrte er nicht mehr zurück. Seit dem frühen Morgen des 1. Januar 2019 ist er vermisst, spurlos. Seit fünf Jahren. Jedes Silvester ist daher eine neue Qual für die Familie, die am Montag auf dem Rathausplatz in Torrevieja mit einer Demo wieder an das ungeklärte Schicksal ihres Henrys erinnerte.
Kurz nach dem Jahreswechsel damals, fiel der Mutter etwas auf. Der Sohn antwortete nicht mit dem Handy. Das hatte er immer sofort getan. Die Familie begab sich auf die Suche. Um 6 Uhr morgens des
1. Januar 2019, das scheint festzustehen, kam es am Ende der Silvesterparty im Ortsteil Las Chismoas zu einem handfesten Streit. Jiménez soll Schläge von einem Isländer erhalten haben, mit dem er einige Monate zusammengewohnt hatte, der auch auf der Feier war.
Danach sei Jiménez jedoch davongerauscht, erklärte jener Mann sowie die anderen Partybesucher später der Guardia Civil. Daran zweifelt die Familie. Die Gruppe hätte sich vor der Befragung auf eine Version geeinigt. Nämlich die, von Henrys Verschwinden selbst überrascht worden zu sein. Schwere Vorwürfe erhebt die Familie gegen die Polizei. Die habe schlampig gearbeitet, vor allem in Bezug auf die Personen, die den Vermissten zuletzt gesehen hatten.
„Justiz funktioniert nicht“
Neun Zeugen hätten zugeschaut, teils sogar auf Handy aufgenommen, wie der 20-Jährige verprügelt wurde. Viel schneller, und nicht
erst auf Drängen der Angehörigen, hätte die Guardia Civil die sogenannten Freunde verhören müssen. Und auch ihre Häuser seien zu durchsuchen gewesen – was aber nicht geschehen sei, kritisierte der Familienkreis. Irgendwo nämlich wäre der wahrscheinlich tote Körper des Vermissten aufgetaucht.
Das ist er aber eben nicht. Und daher könne man von keinem Verbrechen reden. Dies sei das bittere Mantra der Guardia Civil, schon seit Jahren, beklagen Jiménez’ Angehörige. Der Mutter hätte die Polizei gesagt, dass es „ Zeitverschwendung“sei, all die Poster aufzuhängen, die Suche fortzuführen. Mit Sicherheit
sei der Sohn längst tot. Aber warum? Die Antwort darauf scheint nicht einmal zu interessieren.
Der Vermisstenfall Henry Jiménez liege „ bei der Guardia Civil in Alicante in der Schublade“, kritisiert seine Familie, die bereits mit Privatdetektiven eigene Ermittlungen anstellte. Ein solcher hätte herausgefunden, dass besagter Isländer in seinem Heimatland vorbestraft sei. Auch hätte es ein Motiv gegeben, wegen dessen der Nordeuropäer schon im Vorfeld der Silvesterparty geplant hätte, den gebürtigen Kolumbianer zu schlagen.
Doch die Indizien reichen nicht für eine juristische Aufklärung in Spanien. „ Die Justiz funktioniert in diesem Fall nicht“, bedauert die Familie. Das Gewicht des gewaltigen, nach wie vor ungeklärten Verlusts zu stemmen, ist vor allem für Jiménez’ Mutter sehr schwer.
Um Abstand zu gewinnen, sich von der Beklemmung zumindest räumlich zu entfernen, zog sie nach England um. Henry sei „ kein problematischer Junge“gewesen, betont Gina in Lokalmedien. Er arbeitete als Frisör und studierte, um Polizist bei der Guardia Civil zu werden.
SOS bleibt dran
Als „ dramatisch“bezeichnete die europäische Stiftung für Vermisste, QSD Global, die die Familie weiter unterstützt, den Fall Henry Jiménez. Auch die spanische Organisation SOS Desaparecidos hält per Sozialer Netzwerke die Suche aufrecht. Wer über Hinweise verfügt, kann sich bei SOS direkt melden oder sie auch unter 062 (Guardia Civil) oder 112 (Rettungsdienst) mitteilen. Der Beitrag von Bürgern helfe öfters bei der Lösung von Fällen vermisster Menschen.