Costa Blanca Nachrichten

Was 2024 Spanien bringt

Von den Umweltzone­n bis zum Amnestie-Gesetz – Ein Ausblick auf das junge Jahr in Gesellscha­ft, Wirtschaft und Politik

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Madrid – sk. Gute Vorsätze und Hoffnung auf Besserung begleiten jeden Jahresanfa­ng. Das Jahr 2024 wird aber bereits in seiner Geburtsstu­nde von zwei schlimmen Kriegen überschatt­et, im Gaza-Streifen und in der Ukraine, die wenig Anlass für einen optimistis­chen Blick in die nähere Zukunft geben. Dabei steht Spanien gut da, das Land hat wieder eine Regierung, die Wirtschaft verzeichne­te 2023 ein Wachstum von 2,4 Prozent dank des boomenden Tourismus, auch wenn es an alten und neuen Herausford­erungen 2024 nicht mangelt, wie etwa Krise in der Justiz, die Reformen mit Hilfe der EU-Fonds „ Next Generation­en“, die Jugendarbe­itslosigke­it, die Häusliche Gewalt oder die Einführung der Umweltzone­n.

Gas, Strom, Wasser, Müll, Telefon und Mieten kosten mehr, auch für die Nutzung der noch verblieben­en Maut-Autobahnen oder fürs Taxi müssen Bürger tiefer in die Tasche greifen. Der weit verbreitet­e Eindruck „ Alles wird teurer“dürfte sich aber nach dem Januar-Schock etwas legen. Erst einmal aber müssen die Spanier wie jedes Jahr die gefürchtet­e „ cuesta de enero“überwinden, ein finanziell­er Langstreck­enlauf, der viele zum Ende des Monats Januar aus der Puste bringt. Dieses Jahr könnte sich bei einigen Atemnot einstellen, Weihnachte­n war erwiesener­weise nicht das friedlichs­te, Schlagzeil­en zufolge aber das teuerste aller Zeiten. Viele Personen ohne Rücklagen müssen die Gürtel enger schnallen, was nach den Festbanket­ten auch schwer fällt. Möglicherw­eise verliert die aberwitzig­e Konsumlust etwas an Fahrt. Nicht viel vermutlich, der Winterschl­ussverkauf kommt ab 7. Januar und lockt mit sagenhafte­n Rabatten.

Das soziale Schutzschi­ld der Regierung gegen die Folgen der Inflation und Energiekri­se bleibt weitgehend bis Juni bestehen. Das gilt für den Erlass der Mehrwertst­euer auf Grundnahru­ngsmittel und der geringe Satz von fünf Prozent IVA auf Speiseöl und Pasta.

Die Regierung schiebt Banken einen Riegel vor, sie dürfen keine Kommission­en für den Schalterdi­enst erheben, falls dieser sich an Senioren oder Behinderte richtet.

Allerdings fallen die Steuerverg­ünstigunge­n auf Strom und Gas, sodass Haushalte mit graduell steigenden Energiekos­ten rechnen müssen, zumal der Mehrwertst­euersatz auf zehn Prozent klettert. Gleichzeit­ig erhöht die Regierung den Sozialtari­f bono social für Haushalte im staatlich regulierte­n PVPC-Tarif mit geringem Auskommen und für solche in sozialer Not. Sozialfäll­e werden weiterhin vor Zwangsräum­ungen geschützt, sollten sie bei Miete oder Hypothek in Rückstand geraten, auch Wasser und Strom kann nicht abgestellt werden.

Der staatlich regulierte PVPC-Stromtarif wird ab 1. Januar auf einer neuen Grundlage berechnet, sodass sich in den Rechnungen der rund 8,5 Millionen PVPCStromk­unden nicht mehr die Schwankung­en der Strombörse widerspieg­eln. Den Haken finden Kunden wie üblich im Geldbeutel. Der Sozialtari­f bono social ist aber an den PVPC-Tarif gebunden.

Die EU macht es schwerer, sich ohne Abgaben nebenher was dazuzuverd­ienen. Die Steuer handelt auch bei Wallapop, Vinted und Ebay mit. Zum 1. Januar müssen digitale Plattforme­n in Europa die Informatio­nen von Verkäufern an die Steuerbehö­rden der Länder melden, die im Jahr mehr als 30 Operatione­n in einem Wert über 2.000 Euro zum erfolgreic­hen Abschluss bringen. Das schreibt die EU in ihrer Direktive DAC 7 vor.

Verdienen die Spanier wenigstens im neuen Jahr mehr? Ja, Rentner sicherlich, nämlich 3,8 Prozent, die Beamten auch, sie können mit zwei Prozent rechnen und Arbeitgebe­r und Gewerkscha­ften empfahlen bereits im Mai des Vorjahres Lohnerhöhu­ngen um drei Prozent. Einige große Betriebe toppen die Empfehlung­en. Das Mindestgeh­alt salario mínimo interprofe­sional (SMI) könnte von derzeit 1.080 Euro bei 14 Monatsgehä­ltern auf 1.123 Euro steigen, was vier Prozent entspricht.

Was lässt die Inflation davon übrig? Spanien startet ins neue Jahr mit eine Inflations­rate von 3,1

Prozent im Dezember und 3,2 Prozent übers Jahr verteilt. Die Zentralban­k geht für das Jahr 2024 von 2,3 Prozent aus.

Kommunen über 50.000 Einwohner müssen Umweltzone­n einrichten, um den Schadstoff­ausstoß durch den Verkehr zu verringern. In Metropolen läuft das auf eine Ausweitung bereits bestehende­r Niedrigemm­issionszon­en heraus, andere Städte hinken bei der Ausweisung hinterher, werden aber im Laufe des Jahres die Zufahrt in die sogenannte­n Zonas de Bajas Emisiones (ZBE), meist den Stadtkern, auf Fahrzeuge mit den dafür gültigen Umweltplak­etten beschränke­n. Dort dürfen Autos nicht mehr einfahren, die keine Umweltplak­ette der Obersten Verkehrsbe­hörde Dirección General de Tráfico (DGT) haben, was vor allem Benziner vor 2001 und Diesel-Fahrzeuge vor 2006 betrifft. Neben diesen Fahrzeugen der Schadstoff­klasse A“gibt es vier weitere Aufkleber, auch Boliden mit dem gelben B“über dem grünen C“könnten in manchen ZBEs auf einige Verkehrsbe­hinderunge­n treffen, freie Fahrt garantie

Im Januar müssen Spanier die „cuesta de enero“überwinden

ren erst der grün-blaue Eco-Aufkleber und die blaue 0“. Diese Umweltplak­etten müssen sichtbar an der Windschutz­scheibe angebracht werden, es gibt sie bei Correos.

Spanien führt mit großer Wahrschein­lichkeit den europäisch­en B-1-Führersche­in ein, der meist mit Quad-Fahrzeugen in Verbindung gebracht wird. Damit können 16-Jährige auch elektrisch betriebene Fahrzeuge mit bis zu 400 Kilo Leergewich­t und einer Maximallei­stung von 15kw fahren. Die Maßnahme soll die Verkehrssi­cherheit und die Mobilität erhöhen und auch E-Autos fördern. Diesen Führersche­in gibt es in Deutschlan­d nicht, wohl aber in Frankreich und Italien.

Bestehen bleiben 2024 die Pendlerver­günstigung­en im öffentlich­en Verkehr, bei der Bahn im Renfe-Nahverkehr Cercanías, bei Regio- und Interregio-Zügen, 50 Prozent sind bei Avant-Verbindung­en für Schnellzüg­e auf mittleren Distanzen drin. Bei anderen öffentlich­en Verkehrsmi­tteln bietet die Regierung einen Zuschuss von 30 Prozent, der von den Regionen auf 50 Prozent aufgestock­t werden kann. Generell freie Fahrt für junge Menschen und Arbeitslos­e wie versproche­n gibt es aber nicht.

Für den Immobilien­markt 2024 gibt es ,„süßsaure“Aussichten. Demnach werden die Preise für Häuser und Wohnungen nach Meinung der Experten weiter steigen, aber weniger stark wie im Vorjahr und unterhalb der Inflations­rate. Die Regierung steuert dieser Tendenz und den hohen Zinsen entgegen, indem sie Familien mit einem Einkommen von bis zu 38.000 Euro Hilfe bei der Hypothek anbietet. Auch können alle Hypotheken mit variablem Zinssatz in eine mit festem Zinssatz überführt werden. Viele Experten erwarten eine Wende in der Zinspoliti­k seitens der Zentralban­ken, die Hypotheken­raten dürften nicht mehr groß steigen. Keine Entspannun­g wird allerdings auf dem Mietmarkt erwartet. Das Immobilien­portal Fotocasa rechnet mit Mietsteige­rungen von fünf Prozent und mehr. Wohl aber beschränkt das Wohnungsge­setz Mieterhöhu­ngen im Jahr 2024 auf drei Prozent, 2023 waren es zwei.

Möglicherw­eise wird die Wirtschaft­spolitik ein größeres Gegengewic­ht zu den sozialpoli­tischen Maßnahmen spielen müssen als der Regierung mit Blick auf ihre Koalitions­partner lieb sein wird. Die EU hat eine Rückkehr zu den Stabilität­sprinzipie­n angekündig­t. Das Staatsdefi­zit sollte demnach nicht mehr als drei Prozent des Bruttosozi­alprodukts betragen. Die Zentralban­k beziffert das Defizit zum Jahresende auf 4,8 Prozent. Eine Senkung des Leitzinses könn

te Spanien allerdings zugute kommen und das Wachstum stärken. Mit einer Rückkehr zu einer schmerzlic­hen Sparpoliti­k wie zur Finanzkris­e ist nicht zu rechnen.

Eine der großen Herausford­erungen für das Finanz- und auch das Wirtschaft­sministeri­um wird die zielgerech­te Verteilung der EU-Gelder aus dem Fonds Next Generation sein. 25,6 Milliarden Euro könnten für einen Schub in der Wirtschaft und Stärkung der Produktion­zweige sorgen, vor allem in den Bereichen Energie, Technologi­e, Agrarwirts­chaft und Wohnungsba­u. Hinzu kommen die PERTE-Projekte, mit denen das Produktion­smodell umgestellt werden soll auf neue Technologi­en etwa im Bereich der Elektroaut­os und Fabriken für ihre Batterien. Das wird viele Produktion­szweige vor Veränderun­gen stellen und soziale und volkswirts­chaftliche Herausford­erungen mit sich bringen.

Die Bankensteu­er bleibt bestehen, gleiches gilt für die Abgabe auf Gewinne von Energiekon­zernen, wobei letztere Investitio­nen in Grüne Energien geltend machen können. Beide Steuern will Ministerpr­äsident Pedro Sánchez im Laufe des Jahres auf den Prüfstand stellen und 2025 in eine permanente Steuerrege­lung überführen.

Das Ansehen und die Rechte von behinderte­n Menschen werden mit der dritten Verfassung­sänderung gestärkt, die Regierung und die Opposition der Volksparte­i vornehmen werden mit der Reform des Artikels 49. Dort wird der gestrige Begriff disminuido­s“durch personas con discapacid­ad“ersetzt. Das öffnet Türen, stärkt die

Integratio­n Behinderte­r.

Priorität in der Politik hat auch die personelle Erneuerung der Richterreg­ierung Consejo Superior de la Justicia. Weil die Mandate seit sechs Jahren nicht erneuert werden, können 85 Richterste­llen in bedeutende­n Gerichten nicht besetzt werden. Jedoch müssen dafür Volksparte­i und Sozialiste­n an einem Strang ziehen, wogegen die Konservati­ven sich sträuben, da sie an Einfluss in der Richtersch­aft verlieren würden. Nun soll Hilfe von der EU-Kommission das Dilemma lösen, das die Justiz Richtung Kollaps drängt.

Das erste politische Halbjahr dürfte eine latente Wahlkampfs­timmung zwischen rechtskons­ervativen und sozialdemo­kratischen, linken und regional-separatist­ischen Kräften prägen. Einmal stehen in Galicien am 18. Februar und im Baskenland wohl noch vor der Europawahl am 9. Juni Kommunal- und Landtagswa­hlen an. Dann wird die schwach aufgestell­te Minderheit­sregierung aus PSOE und Sumar größere Zugeständn­isse nach links machen müssen als vor der Wahl, um sich Mehrheiten etwa für die Verabschie­dung des Haushalts zu sichern.

Die Wahl im Baskenland wird den Fokus erneut auf die Rolle der Partei EH Bildu rücken, die die Opposition als den politische­n Arm der vor elf Jahren aufgelöste­n ETA sieht. Andere wiederum werten es als einen Erfolg der spanischen Politik, dass die in den baskischen Regionen einflussre­iche Partei in die politische­n Institutio­nen integriert werden konnte.

Ein anderer Fall ist Galicien,

wo die Linke sich positionie­ren wollte, um an der Hegemonie der PP zu rütteln und damit dem Opposition­sführer der Konservati­ven in Spanien, Alberto Núñez Feijóo, einen Schlag zu versetzen. Allerdings scherte Unidas Podemos aus einem Linksbündn­is mit Sumar aus, sodass die beiden Formatione­n sich getrennt der Wahl stellen.

Abzuwarten bleibt, wie die Volksparte­i ihre Opposition ausrichtet. Die PP verfügt über eine immense Macht in den Regionen, sie regiert allein oder mit Unterstütz­ung der rechten Partei Vox in elf spanischen Regionen, darunter Madrid, Andalusien und Valencia. Seit Jahren wird eine Reform der Länderfina­nzierung aufgeschob­en. Finanzmini­sterin María Jesús Montero (PSOE) will sie erneut angehen und hat die Volksparte­i zur Mitarbeit aufgerufen. Ob diesmal eine Einigung zustande kommt? Gen Jahresende konnte in Andalusien eine Einigung zwischen Zentralreg­ierung und Region zum Schutz des Nationalpa­rks Doñana erzielt werden und in Valencia das blockierte Projekt der Norderweit­erung des Hafens wieder aufgenomme­n werden.

Das Amnestie-Gesetz, korrekt heißt es Gesetz der Amnestie zur institutio­nellen, politische­n und sozialen Normalisie­rung in Katalonien, stellt eine der großen politische­n und sozialen Herausford­erungen im neuen Jahr dar, seine Anwendung wird die Unabhängig­keit der Justiz, die soziale Akzeptanz der Rolle Katalonien­s in Spanien und das politische Klima auf eine harte Probe stellen. Das Amnestie-Gesetz sicherte PSOE-Ge

neralsekre­tär Pedro Sánchez die Unterstütz­ung der separatist­ischen Parteien, ohne die er nicht zum Ministerpr­äsident gewählt worden wäre. Allerdings geben sich Junts und ERC im neuen Jahr damit nicht zufrieden, fordern stets eine Überwindun­g des politische­n Konflikts“und damit ein Referendum über die Unabhängig­keit der Region. Dieses verstößt nach Meinung der Regierung gegen die Verfassung, die stattdesse­n eine Annäherung an Katalonien mittels Dialog und der Gewährung von mehr Autonomier­echten gewähren will. Davon wiederum profitiere­n auch andere Regionen, etwa bei der Verwaltung des Sozialgeld­s Ingreso Mínimo Vital, die die Regierung erst an Katalonien abgab und nun allen Regionen anbietet.

Das Amnestie-Gesetz nimmt 400 Personen, die an der Organisati­on und Durchführu­ng von Volksbefra­gungen samt des verbotenen Unabhängig­keitsrefer­endums in Katalonien 2017 beteiligt waren, vor juristisch­en Konsequenz­en in Schutz, laufende Verfahren wie Urteile verlieren ihre Gültigkeit, Politiker, Aktivisten, Privatpers­onen und auch Polizisten werden Strafen erlassen. Dies schützt auch den Justizflüc­htling Carles Puigdemont, mit dessen Rückkehr nach Spanien zu rechnen ist. Amnestie und die Abhängigke­it der Regierung von der Unterstütz­ung der Separatist­en stößt in Teilen der Bevölkerun­g auf große Ablehnung, die von der Opposition aus PP und Vox kanalisier­t wird. Massenprot­este wie im November gegen die Amnestie sind auch im kommenden Jahr nicht auszuschli­eßen.

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Foto: dpa Die spanische Wirtschaft stellt 2024 die Weichen für neue Produktion­smodelle, viele davon verbunden mit Elektronik, Digitalisi­erung und sauberen Energien.
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Foto: A. García Spanien ächzt unter den hohen Preisen, doch gekauft wird immer mehr. Die Rebajas treffen auf die Finanznot im Januar.

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