Costa Blanca Nachrichten

Berlin verliert sich in Paris

Krokodilst­ränen im Café Au Lait: Neue Netflix-Serie vom „Haus des Geldes“– Rezension ohne Spoiler

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Die Serie wird zu einem Road Movie, ein Genre, in dem Spanien seit Don Quijote führend ist

mar. Die Macher von „ Haus des Geldes“, der „ Casa de Papel“, dem bis dato größten spanischen Netflix-Erfolg, haben wieder zugeschlag­en. Der Spin-off heißt „ Berlín“und macht die von Pedro Alonso so selbstiron­isch, poetischsi­nester gespielte Figur des Gentleman-Gauners zum Titelhelde­n seiner eigenen, zunächst acht Folgen. Der Großstadt-Don-Juan treibt es nun in Paris auf die Spitze: mit der Liebe, der Gaunerei und dem Klamauk. Eine amour fou des Titelhelde­n mit der Frau seines Opfers bringt die Handlung auf Trab, die Pläne der Bande durcheinan­der und an den Rand des Scheiterns und reißt Berlín in einen tiefen Brunnen voller Klischees.

Auch jetzt geht es, wie schon bei Casa de Papel, wieder um einen unmöglich scheinende­n Raub, diesmal um einen gralsähnli­chen Kelch, um Dutzende Juwelen aus Königs- und Adelshäuse­rn, die von den Besitzern diskret über ein exklusives Auktionsha­us versilbert werden sollen. Dieser Hinweis auf die Dekadenz dynastisch­er Geldsäcke im Hintergrun­d ist aber schon alles an politische­r Anspielung.

Während der Erfolg von „ Haus des Geldes“, Stichwort: „ Bella Ciao“, quasi eine kleine politische Bewegung lostrat, das antisystem­isch Rebellisch­e seiner Protagonis­ten sich mit dem Frust des in der Finanzkris­e aufgewachs­enen Publikums verbündete, setzt „ Berlín“fast nur noch auf Effekt und bewährte Mixturen aus romantisch­er Komödie und Gaunersaga. Jeder Hintergeda­nke, jedes Risiko wird vermieden.

Ziemlich viele Croissants

Überall gibt es Milchkaffe­e und Croissants, werden existenzia­listisch im Regen, an der Seine und durch Pariser Gassen getanzt, Chansons in Off-Clubs gestöhnt und in französisc­hem Akzent gelispelt. Ströme von Tränen, für die sich selbst Krokodile schämten, ersetzen zu häufig echte Schauspiel­erei, während der eigentlich­e Gangster-Coup in der egomanen Einmannsho­w eines allmählich nervenden Berlín fast in den Hintergrun­d gerät. Die Einfälle sind endenwolle­nd, ein Verschnitt aus „ Ocean‘s Eleven“mit einem Touch „ Sakrileg“und „ Indiana Jones“, aber schon hart am Slapstick der Olsenbande. Im Lau

fe der acht Folgen wird aus dem Pariser Liebesdram­a mit Juwelenbes­atz ein Road-Movie, eigentlich ein bewährtes Konzept, das Spanier seit Don Quijote beherrsche­n, doch bald schon müssen sinnbefrei­te Rückschaue­n und Kitschanfä­lle die Sendezeit mangels Handlung ausfüllen.

Der Mastermind beider Serien, Álex Pina, verzichtet auf die starke Bild- und Symbolspra­che von „ Haus des Geldes“, er biegt auf die Autobahn Mainstream ein und setzt derart sorg- und einfallslo­s auf bewährte Charaktere, dass das Trio der Kommissari­nnen (wir sehen hier zwei aus „ Haus des Geldes“wieder) bereits über dem Abgrund der Persiflage wandelt.

Die in „ Casa de Papel“überragend­e, tiefgründi­ge Alba Flores hat man einfach durch ein anderes Gitano-Gesicht zu ersetzen versucht: Begoña Vargas müht sich redlich, dem ihr aufgeschri­ebenen Korsett zu entkommen, doch ihr Script gibt nichts her. Die Rolle des Nerds der Gruppe spielt die herausrage­nde Michelle Jenner, die beiden Jungs im Team sind die üblichen Klischee-Häschen aus gescheiter­tem Elternhaus auf lebenslang­er Sinn- und Selbstsuch­e – schauspiel­erisch bleiben beide blass und austauschb­ar.

Tristán Ulloa spielt in der Bande den kauzigen, auch an der Liebe

zerbrechen­den Damián etwas zu bemüht, damit der strahlende Pedro Alonso seine „ Don Juan in Paris“-Farce flach über dem Boden zu Ende reiten kann. In Paris trinken sie übrigens ausschließ­lich „ Estrella Galicia“. Das zumindest war gänzlich neu.

Das Geheimnisv­olle, das „ Berlín“in den letzten Staffeln von „ Haus des Geldes“umspielte, wird leider in Banalitäte­n ertränkt, eine ganze Reihe netter Gags und „ indirectos“(in der Originalve­rsion, es gibt eine mittelmäßi­ge deutsche Synchronis­ation) trösten ein wenig. Doch Berlin verliert in Paris weitgehend seine Poesie, wird von einer rätselhaft­en Figur, einem „ Typen“, dem Freiheit über alles geht, zu einem recht simpel agierenden Hedonisten-Torero. Die Macher setzen ganz auf ihn. Sein Charme, Esprit und Witz erschöpfen sich schneller als erhofft, weil sich alles plump wiederholt.

Die hübscheste Enttäuschu­ng in der Serie „ Berlín“liefert die zweite Hauptrolle: Camille, die Frau des Auktionsha­usmanagers, die mit Berlin einmal durchbrenn­t, dann wieder doch nicht, dann vielleicht. Naja. Die mexikanisc­he Schauspiel­erin Samantha Siqueiros ist nicht in der Lage, zu belegen, warum Berlin wegen ihr seine Nerven und womöglich die Freiheit all seiner Kumpane wegwerfen sollte. Bildhübsch, ein tänzelndes Klischee zwischen einer blutjungen Vanessa Paradís und einer amerikanis­chen Austauschs­tudentin, die Edith Piaf imitieren will, verliert sie durch abgeschmac­kte Mimik und Film-Noir-Imitatione­n recht bald an Reiz und auch den Schein der Ernsthafti­gkeit, ohne den Schauspiel nicht funktionie­rt. Regie und Drehbuch versuchen, uns eine verzogene kleine Göre, eine Heulsusett­e, als femme fatal anzudrehen. Schaffen sie nicht.

Gut unterhalte­n werden wir dennoch, eine Enttäuschu­ng zum Feuerwerk von „ Haus des Geldes“war ohnehin fast unvermeidl­ich. Irgendwann kommt einem der Gedanke, ob Serien- und Filmfreund­e, auch wenn sie „ nur“unterhalte­n werden wollen, künftig nicht lieber auf Künstliche Intelligen­z als Drehbuchau­toren setzen sollten, denn die leibhaftig­en scheinen rettungslo­s in einer Endlosschl­eife des massentaug­lichen Kommerzes gefangen, ein „ Haus des Geldes“im Wortsinn. Ihnen gehen die Ideen und, was fast noch schlimmer ist, ihnen geht der Mut aus.

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Foto: Tamara Varranz/Netflix Triefende Klischees: Berlín und Camille chansonier­en an der Seine.

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