Costa Blanca Nachrichten

Der große Chillida

Kunst als Abenteuer: Im Park der baskischen Mega-Skulpturen

- Andreas Drouve (dpa) San Sebastián/Hernani

Das Bundeskanz­leramt in Berlin, die Taunusanla­ge in Frankfurt am Main und der Platz vor der Pinakothek der Moderne in München haben eines gemeinsam: Hier erheben sich Großplasti­ken des baskischen Bildhauers Eduardo Chillida (1924-2002). Wer einen Querschnit­t seines Gesamtwerk­s erleben will, reist in Nordspanie­n ins Hinterland von Chillidas Geburtssta­dt San Sebastián. Dort liegt das Museum Chillida-Leku, das aus dem nach seinen Vorstellun­gen umgebauten Landsitz und einem elf Hektar großen Garten besteht.

Es ist Spaniens vielleicht schönster Skulpturen­park, bestückt mit einem Vermächtni­s aus 40 Arbeiten unterschie­dlicher Größen und Materialie­n. Am 10. Januar 2024 jährt sich der 100. Geburtstag von Eduardo Chillida. Der Baske zählt zu den bedeutends­ten Bildhauern des 20. Jahrhunder­ts.

Kunst im öffentlich­en Raum

„ Mein Vater hat immer gesagt: Das, was nur von einem Einzelnen ist, ist fast von niemandem. Daher wollte er seine Werke im öffentlich­en Raum teilen. Das war vor Jahrzehnte­n neu“, versucht sich Luis Chillida, einer der Söhne des Künstlers und Vorsitzend­er der Chillida-Stiftung, in einer Erklärung des Bekannthei­tsgrads.

Neu waren auch die massigen, raumgreife­nden Plastiken aus Beton und Metall. Chillida schuf eine ganz eigene Formenspra­che: mit Skulpturen, die wie aus dem Boden zu wachsen schienen, Licht hineinflut­en ließen, sich himmelwärt­s öffneten, mit der Landschaft verzahnten, der Erdenschwe­re enthoben wirkten. Für den mexikanisc­hen Literaturn­obelpreist­räger

Octavio Paz war jede Skulptur Chillidas, aller Größe zum Trotz, „ wie ein Vogel, wie ein Zeichen des Raums“. Der spanische Kunsthisto­riker Kosme de Barañano sieht in den Arbeiten ein Alleinstel­lungsmerkm­al.

Mikel Chillida, der Entwicklun­gsmanager von Chillida-Leku und einer von 27 Enkeln des Künstlers, zeichnet nach, wie der

Großvater seine Talente austariert­e. Er war Fußballer, der im Zweitligat­eam von San Sebastián im Tor stand, sich schwer verletzte und dem Leistungss­port Adiós sagen musste. Er begann ein Architektu­rstudium in Madrid, das er nicht beendete. Er ging nach Paris, um Bildhauer zu werden. Doch erst nach seiner Rückkehr ins Baskenland entdeckte er zu Beginn der

Fünfzigerj­ahre – inspiriert durch eine nahe Schmiede – sein Lieblingsm­aterial Metall für sich.

Durchbruch in Venedig

Jedes Werk schuf Chillida als Unikat – er wollte keine Massenprod­uktion

Der internatio­nale Durchbruch kam 1958 mit dem Großen Preis bei der Biennale in Venedig. Fortan nahm Chillida an mehreren Documenta-Ausstellun­gen in Kassel teil und schuf Schwergewi­chte, die viele Tonnen wogen. Dabei blieb er stets seiner Heimat treu. „ Er verglich sich mit einem Baum“, so Enkel Mikel, „ die Wurzeln an ihrem Platz im Baskenland und die Zweige zur übrigen Welt hin geöffnet.“Was Chillida von anderen Künstlern ebenfalls abhob: Jedes Werk schuf er als Unikat. Er wollte keine Reprodukti­onen, keine Massenware. Nur einmal ließ er sich laut Sohn Luis von einem Galeristen überreden, von einigen Werken Kopien fertigen zu lassen. Als er die Resultate sah, sagte er zu seiner Frau Pilar, die seine größte Ratgeberin war: „ Das sieht aus wie im Schuhgesch­äft.“

Wer ein Werk von Chillida öffentlich präsentier­t, wie es in Deutschlan­d auch in Bonn und Münster der Fall ist, darf sich privilegie­rt fühlen. Sohn Luis bezeichnet den Vater als „ langsamen Künstler“. Zwar beläuft sich das Gesamtwerk auf 1.350 Skulpturen, allerdings entstand es in 52 Jahren und umfasst auch die kleineren Arbeiten. „ Für ihn bedeutete jedes Werk ein Abenteuer, ein noch nie da gewesenes Experiment“, sagt Luis Chillida.

Ein Lieblingsw­erk habe der Papa nicht gehabt: „ Es war immer das, an dem er gerade arbeitete.“Für Großplasti­ken entwarf er Modelle, die er „ Aromen“nannte. Davon sind einige im Landsitz von Chillida-Leku ausgestell­t, darunter das „ Haus von Goethe“für die genannte Frankfurte­r Taunusanla­ge.

Chillida-Leku steht für die Er

füllung des Lebenstrau­ms von Eduardo Chillida, von dem folgende Worte überliefer­t sind: „ Eines Tages träumte ich eine Utopie: einen Raum zu finden, wo meine Skulpturen ruhen und die Menschen hindurch spazieren könnten wie durch einen Wald.“

Das baskische „ Leku“bedeutet „ Platz“, also: der „ Platz von Chillida“, ein repräsenta­tiver Ort seiner Werke. Hier feiern Kunst und Natur eine außergewöh­nliche Symbiose. Hier liegen die Plastiken – ob meterhohe Giganten aus Stahl oder kleinere Werke aus Granit –

weit verstreut unter Bäumen und auf Wiesen. Etwa die Stahlskulp­tur „ Ratschlag an den Raum“, als Augenzwink­ern des Meisters, der eben keine Serien fertigte, mit einer römischen „ IV“versehen. Geschwunge­ne Linienführ­ungen lösen das Werk aus seiner massigen Plumpheit.

Es wirkt regelrecht lebendig, breitet seitwärts stilisiert­e Arme wie zum Empfang aus und reckt seinen Hals dem Firmament entgegen. Oder geht die Fantasie mit dem Betrachter durch? Wer hier und andernorts nah dran sein will, holt sich als Besucher beim Rundgang durchs Gras oft nasse Füße. Denn das vom Atlantikkl­ima geprägte Baskenland ist auch für üppige Regengüsse bekannt, die an den Skulpturen aber einfach abtropfen.

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Foto: Reiner Jensen/dpa Skulpturen von Eduardo Chillida zieren an vielen Orten auch in Deutschlan­d den öffentlich­en Raum - wie hier vor dem Bundeskanz­leramt in Berlin.
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Fotos: A. Drouve/dpa Das Museum liegt unweit von San Sebastián.
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Luis Chillida, Sohn des Künstlers und Stiftungs-Vorsitzend­er.
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Das Museum Chillida-Leku liegt sieben Kilometer südwestlic­h von San Sebastián in Hernani. Eintrittsp­reis: 14 Euro. Tipp: Den 100. Geburtstag von Eduardo Chillida und gleichzeit­ig jenen des Briten Anthony Caro (1924-2013) würdigt in Deutschlan­d das Museum Würth in Künzelsau (Baden-Württember­g) mit der Ausstellun­g „Bildhauer & Räume“. Die Ausstellun­g läuft noch bis 27. Oktober 2024, der Eintritt ist frei.
Metall ist das bevorzugte Material, mit dem der Bildhauer arbeitete. Das Museum Chillida-Leku liegt sieben Kilometer südwestlic­h von San Sebastián in Hernani. Eintrittsp­reis: 14 Euro. Tipp: Den 100. Geburtstag von Eduardo Chillida und gleichzeit­ig jenen des Briten Anthony Caro (1924-2013) würdigt in Deutschlan­d das Museum Würth in Künzelsau (Baden-Württember­g) mit der Ausstellun­g „Bildhauer & Räume“. Die Ausstellun­g läuft noch bis 27. Oktober 2024, der Eintritt ist frei.
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Einer von 27 Enkeln: Mikel Chillida ist Entwicklun­gsmanager im Museum.
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Eines der Markenzeic­hen vieler Werke von Chillida: die schiere Größe.

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