Aktivismus kann nahbar sein
Kunst als Spiegel unserer Gesellschaft: Neue Perspektiven in der Casa de Cultura in Guardamar
Guardamar – sl. In der Casa de Cultura wird es politisch – die Ausstellung „ Noves Perspectives“nagt am Zahn der Zeit. Und so divers die Werke sind – und unabhängig davon, ob es um Flüchtlingsfragen, Identitätsanliegen, koloniale Themen, Umweltverschmutzung oder Gleichstellungsbewegungen geht – hier setzt sich die Kunst eindrücklich mit den Herausforderungen unserer Zeit auseinander.
„ Mirrors have memory“– so der Titel des ersten Werks von der spanischen Bildnerin Nuria Fuster. Die zugegeben sonderbar aussehende Installation aus Metallstangen, Auto- und Motorradspiegeln versteckt sich in der hintersten Ecke des Ausstellungssaales, doch sie sorgt für Aufsehen: Die Konstruktion schwebt von der Decke herab und dreht sich, wobei jede Rotation ein monoton-systemisches Geräusch erzeugt, das als beständiges Hintergrundsummen im Ohr bleibt. Zeitgleich sind fragmentierte Geräusche von kleinen Bildschirmen zu vernehmen, die sich mitten im Raum auf einer ausgebreiteten, gelben Plane befinden. Um sie herum: Kleidungsstücke, Hüte und Schuhe mit gut sichtbaren Markenaufschriften und der Werkbeschreibung: „ Habitar la copia: colonialidad“. Wie bereits aus dem Titel hervorgeht, erkundet die Installation den Begriff der Kopie - jenseits einer bloßen Nachahmung von Objekten.
Jeder kennt sie, die Straßenhändler, die an belebten Stränden ihre Waren auf großen Planen mit Imitationen bekannter Markenprodukte anpreisen. Doch nur wenige nehmen sich die Zeit, hinter die Fassaden der einzelnen Händler zu blicken – Künstler Jota Izquierdo hat genau das getan. Seine Themen sind wirtschaftliche und kulturelle Spannungen zwischen dem globalen Norden und Süden und die Installation, die aus Decken, gefälschten Waren und Videos besteht, dient dabei als künstlerische Landkarte globaler Beziehungen. Die Multimedia-Installation „ Izquierdos“trägt gewiss eine Schwere in sich. Und ganz klar, auch eine Mitteilung an die Gesellschaft.
Wie auch die übrigen Werke wurde die „ Kopie-Installation“für die kollaborative Ausstellung bewusst gewählt. Sie widmet sich Fragen unserer Zeit. Seit 2017 hat die Generalitat Valenciana mehr als 100 Kunstwerke erworben, wobei sie gezielt auf thematische Beschränkungen verzichtet. Die Initiative fördert die berufliche Entwicklung zahlreicher Künstler aus der Region Valencia und achtet dabei insbesondere darauf, ein ausgewogenes Verhältnis zwischen männlichen und weiblichen Künstlern zu wahren.
Ja, in Guardamar hat man die diskursiven Entwicklungen in der Kunstszene verstanden: Der Aktivismus steht derzeit klar im Zentrum der Kunstwelt. Während formale und stilistische Fragen sowie die Erschließung neuer Medien in den Hintergrund treten, präsentiert sich in Kunstzeitschriften, Hochglanzmagazinen und auf sozialen Plattformen wie Instagram oder Twitter eine Kunst, die sich kritisch zeigt, die provoziert und die tief blicken lässt. Nicht immer lassen sich komplexe Sachverhalte dabei auf Anhieb nachvollziehen. Mit dem Ziel, die Ausstellung „ Mostra d’Art Jove En Creació“, die im oberen Stockwerk zu besuchen ist, zu begleiten, präsentiert die Exposition rund um die Sammlung „ Art Contemporani Valenciana“Werke von Künstlern, die innovative Formate und Ressourcen erforschen, – und das auf eine angenehm nahbare Weise.
Dabei suchen die Künstler nach Ausdrucksmitteln, die in Worten schwer zu greifen sind. Zwei riesige, viereckige Platten hängen mit dem Titel „ A metal flower is a dead flower“an der Wand neben der Spiegelkonstruktion Fusters. Von einer der silbrig glänzenden Werke hängt ein Kabel herab, – wie aus einem Fernseher. Gleich darunter steht ein Glas Wasser, in das das Kabel mündet. Silvia Leríns Werk ist eine Ode an die Natur: Die Metallblume, die metaphorisch gewässert wird, erscheint straff und ebenmäßig, während die andere „ Blume“runzelig in sich hineinzufallen scheint.
Gleich nebenan präsentiert der Street-Art-Künstler Vinz Feel Free seine Arbeit „ Don‘t be afraid – „ No tengas miedo“. Auch hier, eine Thematik mit politischer Stoßkraft. Es handelt sich um eine Papiercollage unter Kreide und Tinte. Das Werk manifestiert Nacktheit und Vogelköpfe auf Frauenkörpern als Symbole für persönliche Freiheit – Eidechsenköpfe auf den Rümpfen von Polizisten stehen für Unterdrückung.
Symbolträchtige Street-Art
Die symbolträchtige Arbeit widmete sich im Rahmen des Internationalen Festivals für unabhängige Kunst Incubarte V in Valencia den Frauen der Bergleute von Asturien, León und Teruel. Abgebildet werden Bereitschaftspolizisten, die im El-Carmen-Viertel Valencias mit Schlagstöcken und in repressiver Haltung auf drei Frauen losgehen – einige Zeit später verendete das Bild verstümmelt – nach Zeugenangaben mutwillig zerstört von Polizeibeamten. Dabei seien die Polizisten auf dem Werk eliminiert worden und die Abbildungen der nackten Frauen zurückgeblieben. In den Medien löste der Vorfall im Jahr 2012 kontroverse Debatten aus und 2020 wurde das Originalwerk schließlich von der Generalitat Valencia erworben und in das Archiv zeitgenössischer Kunst integriert.
Ja, hier hat man die Entwicklungen der Kunstszene verstanden