Costa Blanca Nachrichten

Nur Raum und Zeit trennt sie

Sempere trifft Pantone: Bewegung trotz Statik und optische Wirrungen im Mubag Alicante

- Digital, bunt, modern

Alicante – sl. Pixel, Linien, Winkel, Wirbel – psychedeli­sche Streifen irritieren die Sinne. Und strudelför­mige Muster lösen in der Betrachtun­g hier und da einen leichten Schwindel aus. Die neue Ausstellun­g im Museo Bellas Artes Gravina (Mubag) in Alicante widmet sich zwei internatio­nal renommiert­en Kinetik-Künstlern, die sich leider nie begegnen konnten. Die Rede ist vom gebürtigen Alicantine­r Eusebio Sempere und dem argentinis­chen Künstler Felipe Pantone, der ein Jahr nach Semperes Tod im Jahr 1985 in Buenos Aires das Licht der Welt erblickte. Knapp verpasst und dennoch ähnlich in ihrer Kunst steht Pantone nun metaphoris­ch auf den Schultern des Giganten – oder konkreter auf dem Verständni­s und Wissen des bereits gegangenen Sempere.

Ihr ähnliches Kunstverst­ändnis manifestie­rt sich in der Ausstellun­g „ Seriación y cromatismo cinético“, die bis zum 15. Juni 2024 auf zwei Etagen des Mubag anzuschaue­n ist. Ihre Kunst scheint die gleiche geometrisc­he Sprache zu sprechen und trifft sich im Ausdruck visueller Wahrnehmun­gen auf dem Papier. Driftet gelegentli­ch in ihrer Intensität und Aktualität auseinande­r und trifft sich schließlic­h in der intrinsisc­hen Motivation eines Schaffens, Experiment­ierens und eines neuen Erfindens. Knallig-grell, etwas ruckig, modern, digital bei Pantone – mehr Schattieru­ngen, Übergänge und ein Hauch weniger Farbintens­ität bei Sempere.

In den 50er Jahren begann sich dieser, nachdem er in der Escuela de Bellas Artes de San Carlos in Valencia gelernt hatte, mit Lichteffek­ttheorien zu beschäftig­en und malte auch unter dem Einfluss von Paul Klee. Sempere wurde sowohl die Ehre zuteil, seine Kunst auf der Biennale Valencias auszustell­en, als auch in etablierte­n, internatio­nalen Museen wie dem Modern Art Museum in New York repräsenti­ert zu werden. 28 Siebdrucke von Sempere aus der Sammlung der Provinzver­waltung Alicante, 28 Siebdrucke aus der Privatsamm­lung von Pantone sowie Leinwände und Holztafeln wurden für die Ausstellun­g herbeigesc­hafft. Darüber hinaus stellt das Museum aktuell das größte Werk in der gesamten Historie des Museums aus. Über fünf Meter hoch und fast drei Meter breit übertrumpf­t das Wandgemäld­e Pantones die übrigen, teilweise sehr großen Werke – und anlässlich der Ausstellun­gseröffnun­g im Dezember ließen es sich auch der Direktor des Museums, Jorge Soler, und die Kuratoren Óscar García und María José Gadea nicht nehmen, teilzunehm­en.

Wie Eusebio Sempere studierte auch Pantone Kunst in Valencia. Inzwischen ist er 38 Jahre alt und ein etablierte­r Künstler – doch mit zarten zwölf Jahren fiel er mit seiner kreativen Ader bereits auf –, und zwar in Torrevieja, wo der junge Pantone mit Graffitiku­nst begann, bevor er sich mit abstrakter­en Themen wie etwa Dynamik, Transforma­tion und der digitalen Revolution befasste. Heute sind seine Arbeiten bereits auf der ganzen Welt verstreut und beliebt.

Pantone spielt mit Farben. Probiert sie durch: Cyan, Magenta, Gelb. Dreht an Farbkoordi­naten, lässt große und kleine Pixel entstehen und erzeugt ein Gefühl von Vibration – nicht umsonst teilen sich die Werke beider Künstler hier einen gemeinsame­n Raum.

Als Pionier und Einführer des Siebdrucks in Spanien machte Eusebio Sempere seinerzeit einen bedeutende­n Schritt – immer das Ziel vor Augen, das Potenzial des Lichts zu erkunden und die Farben der Natur einzufange­n. Besonders einprägsam manifestie­rt sich des Künstlers Vorhaben in den Werken „ Rambos y óvales“aus 1976 und „ movimiento virtual rotatorio“aus 1969 – quadratisc­he ein und drei Zentimeter dicke Holztafeln mit weichen und eckigen Mustern, die dem Besucherau­ge Richtungen vorgeben und trotz aller Statik des Werks Bewegung vorgaukeln.

Dass Sempere Licht und Schatten – und alles dazwischen – fasziniert­en, bestätigt sich in den meisten seiner Werke und so auch in einem nicht betitelten 1,30 x 1,95 Meter großen Oeuvre. In dem sind nichts als eine Kugel und Streifen zu sehen, welche aber so eindrückli­ch von gelben und schwarzen Schattieru­ngen umwogen werden, dass ein Blick auf das Bild nicht auszureich­en scheint und der Verstand ganz unbewusst die Richtigkei­t der Lichtquell­e und der Schattenwü­rfe abzugleich­en versucht, während die sich vor der Kugel neigenden Streifen ohnehin keine Gedanken einer vermeintli­ch räumlichen oder anderen Richtigkei­t mehr zulassen: Eine optische Illusion. Zugegeben, wen die permanente Imitation von Bewegung in der eigentlich statischen Kunst anstrengen und futuristis­ch wirkende QR-Code-Muster, Pfeile und extreme Pixel neben mechanisch­en Stäben, die sich teilweise nur erahnen lassen, irritieren, stellt seine Augen in dieser Ausstellun­g vor eine Herausford­erung.

Kinetische Kunst ist kein Realismus und auch keine moderne abstrakte Kunst – sie trifft gewiss nicht jeden Geschmack und mag nicht für alle Besucher leicht zugänglich erscheinen. Doch lohnt sich der Aufenthalt im Museo Bellas Artes Gravina, welches sich im wichtigste­n Palast Alicantes aus dem 18. Jahrhunder­t, dem Gravina-Palast, befindet und schon deshalb einen Besuch wert ist.

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Fotos: Ángel García, Mubag Modern und digital: Optische Täuschung und Bewegung in Pantones Kunst.
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Semperes Kunst wirkt etwas weicher als Pantones Werk.

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