Der Rebellenkarneval
Cádiz hat zwar nicht den größten, aber den längsten – und den verfressendsten Karneval der Welt
Cádiz – mar. Wer dachte, nach Dreikönig kehrt erst einmal Ruhe in die Lande, hatte die Gaditanos nicht auf der Rechnung. Bereits am 9. Januar starteten im Teatro Manuel de Falla von Cádiz die ersten Vorentscheide des berühmten Sangeswettstreits der Karnevalsgruppen, kurz COAC und bis zu zum Aschermittwoch, in diesem Jahr am 14. Februar, gibt es praktisch keinen Tag ohne Tanz, Gesang, Paraden und – in Cádiz besonders ausgeprägt – eine thematische „ Fressmeile“.
Cádiz, die einstige Drehscheibe der Amerikaentdeckung und Überseefahrten des spanischen Imperiums sowie wichtiger Hafen des Welthandels, hat sich die üppigsten Elemente der Karnevalstraditionen Brasiliens und der Karibik, Venedigs und der Kanaren einverleibt und adaptiert, sie hübsch mit andalusischen Mustern bestickt. Auf langwierige Büttenreden voller Daddy-Witze und Hupfdohlen im Marschrhythmus aus deutschen Landen verzichtet man in Cádiz aber bis heute, der Swing des Flamenco, zotig-selbstironischer Minnegesang und fabelhafte Verkleidungskunst geben bei den „ comparsas“und „ chirigotas“den Ton an, die in ihren „ peñas“, ihren Clubs, jedes Jahr neue kleine Karnevals-Musical erarbeiten.
Doch der Karneval hat sich gerade hier in Cádiz, Spaniens Insel der Freiheit, wo 1812 die erste halbwegs freiheitliche Verfassung entstand, seine rebellische Note erhalten. Sich einmal im Jahr unter schützenden Masken über die Obrigkeit lustig machen dürfen, bevor die dröge katholische Fastenzeit gen Ostern beginnt, das ist eine Einladung, die man den auf Krawall gebürsteten Westandalusiern nicht zweimal aussprechen musste. Neben den offiziellen Gruppen und Wettbewerben gibt es daher auch die „ ilegales“, freie Gruppen, die sich ohne Stundenplan auf Plätzen und in den Straßen austoben, sich regelrechte Sanges- und Saufduelle liefern.
Zügelloses Lästermaul
Mit Momo(s), dem griechischen – und damit aus Sicht der Inquisition – heidnischen Gott, der wegen seines zügellosen Lästermauls von
Zeus aus dem Olymp geworfen wurde und fortan als Schutzheiliger der Narren und Satiriker gilt, teilen die Gaditanos mit Argentiniern und Uruguayos auch einen ganz speziellen Faschingsgott. Seine römische Entsprechung heißt übrigens Querella, bis heute noch das spanische Wort für Klage oder Beschwerde.
Dass Momo am Faschingsdienstag (symbolisch) verbrannt wird, mag ein Zugeständnis an die Geistlichkeit gewesen sein. Während in Spanien zum Ende des Karnevals gerne Sardinen verbuddelt oder angezündet werden, isst man sie – und nicht nur sie – in Cádiz auf. Karnevalsende ist übrigens nicht Aschermittwoch, sondern erst am 18. Februar am „ Sonntag der Piñata“, mit freundlichen Grüßen aus
Mexiko an die oft übergewichtigen Fastenwächter der Kirche!
Cádiz ist während des Karnevals extrem voll und teurer als sonst, frühes Buchen, auch im Einzugsgebiet von Cercanía (bis El Puerto de Santa María und Jerez) oder Trambahía (bis San Fernando, Puerto Real und Chiclana) also geboten. Während die COACWettbewerbe in 17 Vorstellungen und dem großen Finale am 9. Februar im Teatro angesehen werden können (Tickets für je 15 Euro bei www.bacantix.com), passiert in der heißen Phase vom 8. bis 14. Februar alles wichtige auf der Straße.
Jecke Austern und Seeigel
Doch schon weit davor organisieren die peñas, die Nachbarschafts- und Freundeskreise, ihre kulinarischen Feiertage, jeder für sich, jeder mit seiner Spezialität, mal in der Innenstadt, mal an der Caleta-Bucht. Fest stehen bereits die „ Pestiñada“mit den süßen Anis-Wein-Gebäcken am 27. Januar, am 28. startet sowohl die „ Ostionada“, von ostias, Austern, die fangfrisch verteilt werden wie auch die „ Gambada popular“, also das Fest der „ Volksgarnele“. Am 4. Februar stehen die berühmte „ Erizada“mit frischen Seeigeln sowie die „ Mejillonada“, die große Muschelorgie an. Die Seeigel werden dazu übrigens direkt aus Galicien importiert, seit der Fang im Mittelmeer wegen Schutzgründen verboten wurde. Alle Termine gibt es auf www.codigocarnaval.com.