Die Jagd nach dem Termin
Bei der Nationalpolizei eine NIE oder ein anderes Dokument zu bekommen, ist heute nicht leicht
Was dem Spanier sein DNI (Personalausweis) ist, ist dem in Spanien lebenden Ausländer seine NIE: Es handelt sich um eine Registrierungsnummer, die aus zwei Buchstaben und sieben Ziffern besteht. Sie wird von der Nationalpolizei an alle Ausländer vergeben – egal, ob sie aus einem EU-Staat stammen oder nicht – und dient zu ihrer Identifizierung. Alles rund um die NIE-Nummer ist im Artikel 206 des Gesetzes Ley Orgánica 4/2000 „ Über die Rechte und Freiheiten der Ausländer in Spanien und ihre soziale Integration“geregelt. Und man braucht sie für praktisch alle Rechtsgeschäfte. Das Problem: Eine NIE-Nummer zu bekommen, ist heute nicht mehr so einfach.
Denn Termine – auf Spanisch citas – dafür werden nur noch über eine Internet-Plattform vergeben, auf der kaum jemals welche zu haben sind. Das geht so weit, dass es inzwischen sogar Firmen gibt, die gegen Geld Termine bei der Polizei für ihre Kunden ergattern.
Wie diese Firmen an citas kommen? Die Nationalpolizei speist ab und an welche ins Netz ein. Sie gibt aber nicht bekannt wann, um Terminabgreifern nicht in die Hände zu spielen. Wenn sich jemand Tag und Nacht an den Computer setzt, kann er vielleicht welche erlangen. Einfacher geht es mit einem entsprechenden Computerprogramm, einem so genannten
Bot, der 24 Stunden am Tag nach Terminen sucht.
Ein Bot ist eine automatisierte
Terminmangel schafft neues Geschäftsmodell
Softwareanwendung, die sich wiederholende Aufgaben im Internet ausführt und dabei vorgibt, ein Mensch zu sein. Sie arbeitet aber schneller und genauer. Und schließlich gehen Termine unter der Hand weg. In dieser schwierigen Situation ist Vitamin B besonders wertvoll. Und manche spanischen Medien reden sogar von Korruption.
Der Terminmangel besteht schon seit Jahren, er wird aber immer schlimmer. Privatpersonen fahren inzwischen von besonders betroffenen Ortschaften über 100 Kilometer in andere, wo weniger Ausländer leben und es deshalb etwas leichter ist, an einen Termin zu kommen.
Früher wurden Verwaltungsbüros – so genannte Gestorías – Termine zugeteilt, damit sie überhaupt arbeiten konnten. Doch die Zeiten sind vorbei. „ Es ist wirklich unwahrscheinlich schwierig, einen Termin über die Internet-Plattform der Nationalpolizei zu bekommen“, sagt Sonja Dietz, CEO der Gestoría Técnicos Asociados in Dénia. Die Nationalpolizei gebe zwar jeden Tag Termine frei. „ Die werden aber von Terminjägern gefischt.
Leute, die sich das zum Geschäftsmodell gemacht haben.“Sie säßen Tag und Nacht vor dem Computer. Das sei für die Mitarbeiter eines normalen Unternehmens unmöglich. „ Deshalb beauftragen wir jetzt ganz legal jemanden, der uns die Termine besorgt und uns Rechnungen dafür stellt. Obwohl das unseren Service natürlich verteuert“, sagt sie. „ Wie er arbeitet, weiß ich nicht. Aber er liefert.“
Schlecht für Wirtschaft
Sonja Dietz kennt das Problem nicht nur aus Sicht der Gestorías. Die Deutsche hat jahrelang den kreisweiten Unternehmerverein Cedma (Cercle Empresarial de la Marina Alta), geleitet. „ Cedma hat die Vertretung der Zentralregierung in Alicante mehrfach auf den Terminmangel hingewiesen und konkrete Verbesserungsvorschläge gemacht“, berichtet die Geschäftsfrau. „ Doch da hieß es immer nur, sie könnten nichts machen, das sei national geregelt.“Dabei blockiere das Problem konkret wirtschaft
liche Aktivitäten, klagt SonjaDietz. „ Ein großer Sektor der Unternehmer arbeitet hier mit Ausländern zusammen. Und für vieles brauchen die eine NIE-Nummer. Wenn man sie nicht zeitnah bekommt, kommen Geschäfte nicht zustande.“
Das Terminvergabe-System der Nationalpolizei sei nicht praktisch. Theoretisch, um Missbrauch zu vermeiden, könne man keine Blanco-Termine machen. „ Man muss konkret die Daten des Terminnehmers eingeben. Doch wenn man keinen Erfolg hat und rausgeht, kann man diese Daten nicht speichern. Sie gehen verloren und man muss immer wieder von vorne anfangen.“
Es gebe auch Bürger, die wegen des Mangels „ vorsichtshalber“Termine ausmachen, dann aber nicht erscheinen. „ Theoretisch kann man citas zurückgeben. Doch viele tun das nicht oder so spät, dass sie nicht wieder vergeben werden können.“
Dazu komme auch, dass man sich nicht mehr einfach an der Tür anstellen darf, um zu sehen, ob man vielleicht drankommt. „ Also gehen die Termine, zu denen keiner erschienen ist, verloren.“
Bürger zahlt Rechnung
Das Problem ist einfach, dass es zu wenig Termine gibt. Und dass die Konsequenzen, die das hat, nicht auf den Staat, sondern auf den Bürger zurückfallen. Es gibt zum Beispiel zahlreiche Fälle, in denen Bürger wochenlang versucht haben, eine NIE-Nummer zu beantragen, ohne Erfolg. Sie konnten wegen der fehlenden NIE die Steuer nicht pünktlich zahlen und die Steuerbehörde erhob deshalb eine Strafgebühr.
Gesa Ahrens aus Dénia ist eine Deutsche, die es viele Monate gekostet hat, einen Termin bei der Nationalpolizei zu bekommen. Als
sie sah, dass auf der Internetplattform keiner zu bekommen war, fragte sie per Telefon nach. „ Doch man sagte mir, dass citas nur per Internet vergeben werden.“
In ihrer Gestoría habe man ihr geraten, es zu unmöglichen Zeiten zu versuchen – um zwölf Uhr nachts, um fünf Uhr früh. „ Und ich habe es in der ganzen Provinz Alicante probiert, nicht nur in Dénia. Doch es gab nirgends Termine.“
Schließlich folgte sie dem Rat von Freunden, in einer bestimmten Gestoría in Dénia nachzufragen. „ Und dort hat mir eine sehr freundliche Frau für 60 Euro pro Person einen Termin besorgt.“Das ist noch günstig. In der spanischen Presse berichten Betroffene, dass sie bis zu 120 Euro pro Person aufbringen mussten. Kurz darauf las Gesa Ahrens, dass in Spanien eine
Bande festgenommen worden sei, die Termine bei der Nationalpolizei abgriff und verkaufte. „ Ich dachte deshalb, das Problem sei gelöst. Aber kürzlich habe ich wieder auf der Internetplattform der Nationalpolizei geschaut und es gibt immer noch keine citas.“
„Wir leben doch in der EU“
Die Deutsche kann nicht verstehen, warum man Geld bezahlen muss – zum Beispiel an eine Gestoría –, um einen Termin bei einer Behörde zu bekommen. „ Das gleiche Problem gibt es ja beim spanischen TÜV, die ITV“, sagt sie. „ Da verdient sich jemand eine goldene Nase mit etwas, das gratis sein sollte. Was soll denn da eine fünfköpfige Familie machen?“
Gesa Ahrens meint, wir lebten doch in der EU. Wieso sei da über
haupt so viel Papierkrieg nötig. „ Warum braucht man zum Beispiel noch eine Residencia? Ich musste auch meinen Titel als Tierärztin anerkennen lassen und die Heirat war extrem kompliziert.“
Mit dieser Meinung steht Gesa Ahrens nicht alleine da. Niemand zieht in Zweifel, dass eine NIE notwendig ist. Doch viele fordern, dass man sie viel einfacher direkt per Internet, ohne persönliche Vorstellung erhält. Dem stehen allerdings zwei Dinge entgegen: Erstens muss man für eine NIE seinen Fingerabdruck leisten und zweitens würde eine NIE-Erteilung per Internet ein aufwändiges Sicherheitssystem erfordern.
Die Gewerkschaften der Beamten geben die Schuld dem Personalmangel. Es gebe rund 220.000 Beamtenstellen weniger als noch vor einem Jahrzehnt. Das sei immerhin ein Minus von 13 Prozent.
Trotzdem, die Ämter müssen jeden Bürger angemessen bedienen – auch ohne Termin. Das meint der Anwalt Diego Gómez, Dozent an der Universität in Pondevedra, der eine Initiative zu dem Thema gestartet hat. Seine Argumente: Eine Terminvergabe sei aus organisatorischen Gründen gut für
das Amt und den Bürger. Ein Beamter könne sich aber nicht weigern, einen Bürger zu bedienen, weil der keinen Termin hat. Denn jeder habe das in der Verfassung verankerte Recht, bedient zu werden, damit er seine Rechte in Anspruch nehmen und seinen Verpflichtungen nachkommen kann.
Was ist also zu tun? Ein erster Schritt wäre, das persönliche Erscheinen bei der Nationalpolizei ohne Termin zu erlauben. So könnten Termine, zu denen keiner kommt, umgehend genutzt werden. Auf dem Gebiet gibt es einen Lichtblick. Minister José Luis Escrivá hat am Mittwoch angekündigt, dass die Terminpflicht in öffentlichen Ämtern abgeschafft wird. Das würde auch die Nationalpolizei einschließen.
Und zweitens muss die Nationalpolizei eine Lösung suchen. Dénias Polizeichef Carlos Nieto etwa gibt zwar zu, dass er gerne mehr Termine zu vergeben hätte. Dann verweist er aber nur auf die Pressestelle in Alicante. Dort war das Problem nicht neu: „ Es gibt viele Klagen. Aber es ist uns nicht bekannt, dass konkrete Maßnahmen ergriffen werden sollen, um es zu beheben“, sagte man den Costa Nachrichten.