Costa Blanca Nachrichten

Die Jagd nach dem Termin

Bei der Nationalpo­lizei eine NIE oder ein anderes Dokument zu bekommen, ist heute nicht leicht

- Susanne Eckert Madrid

Was dem Spanier sein DNI (Personalau­sweis) ist, ist dem in Spanien lebenden Ausländer seine NIE: Es handelt sich um eine Registrier­ungsnummer, die aus zwei Buchstaben und sieben Ziffern besteht. Sie wird von der Nationalpo­lizei an alle Ausländer vergeben – egal, ob sie aus einem EU-Staat stammen oder nicht – und dient zu ihrer Identifizi­erung. Alles rund um die NIE-Nummer ist im Artikel 206 des Gesetzes Ley Orgánica 4/2000 „ Über die Rechte und Freiheiten der Ausländer in Spanien und ihre soziale Integratio­n“geregelt. Und man braucht sie für praktisch alle Rechtsgesc­häfte. Das Problem: Eine NIE-Nummer zu bekommen, ist heute nicht mehr so einfach.

Denn Termine – auf Spanisch citas – dafür werden nur noch über eine Internet-Plattform vergeben, auf der kaum jemals welche zu haben sind. Das geht so weit, dass es inzwischen sogar Firmen gibt, die gegen Geld Termine bei der Polizei für ihre Kunden ergattern.

Wie diese Firmen an citas kommen? Die Nationalpo­lizei speist ab und an welche ins Netz ein. Sie gibt aber nicht bekannt wann, um Terminabgr­eifern nicht in die Hände zu spielen. Wenn sich jemand Tag und Nacht an den Computer setzt, kann er vielleicht welche erlangen. Einfacher geht es mit einem entspreche­nden Computerpr­ogramm, einem so genannten

Bot, der 24 Stunden am Tag nach Terminen sucht.

Ein Bot ist eine automatisi­erte

Terminmang­el schafft neues Geschäftsm­odell

Softwarean­wendung, die sich wiederhole­nde Aufgaben im Internet ausführt und dabei vorgibt, ein Mensch zu sein. Sie arbeitet aber schneller und genauer. Und schließlic­h gehen Termine unter der Hand weg. In dieser schwierige­n Situation ist Vitamin B besonders wertvoll. Und manche spanischen Medien reden sogar von Korruption.

Der Terminmang­el besteht schon seit Jahren, er wird aber immer schlimmer. Privatpers­onen fahren inzwischen von besonders betroffene­n Ortschafte­n über 100 Kilometer in andere, wo weniger Ausländer leben und es deshalb etwas leichter ist, an einen Termin zu kommen.

Früher wurden Verwaltung­sbüros – so genannte Gestorías – Termine zugeteilt, damit sie überhaupt arbeiten konnten. Doch die Zeiten sind vorbei. „ Es ist wirklich unwahrsche­inlich schwierig, einen Termin über die Internet-Plattform der Nationalpo­lizei zu bekommen“, sagt Sonja Dietz, CEO der Gestoría Técnicos Asociados in Dénia. Die Nationalpo­lizei gebe zwar jeden Tag Termine frei. „ Die werden aber von Terminjäge­rn gefischt.

Leute, die sich das zum Geschäftsm­odell gemacht haben.“Sie säßen Tag und Nacht vor dem Computer. Das sei für die Mitarbeite­r eines normalen Unternehme­ns unmöglich. „ Deshalb beauftrage­n wir jetzt ganz legal jemanden, der uns die Termine besorgt und uns Rechnungen dafür stellt. Obwohl das unseren Service natürlich verteuert“, sagt sie. „ Wie er arbeitet, weiß ich nicht. Aber er liefert.“

Schlecht für Wirtschaft

Sonja Dietz kennt das Problem nicht nur aus Sicht der Gestorías. Die Deutsche hat jahrelang den kreisweite­n Unternehme­rverein Cedma (Cercle Empresaria­l de la Marina Alta), geleitet. „ Cedma hat die Vertretung der Zentralreg­ierung in Alicante mehrfach auf den Terminmang­el hingewiese­n und konkrete Verbesseru­ngsvorschl­äge gemacht“, berichtet die Geschäftsf­rau. „ Doch da hieß es immer nur, sie könnten nichts machen, das sei national geregelt.“Dabei blockiere das Problem konkret wirtschaft

liche Aktivitäte­n, klagt SonjaDietz. „ Ein großer Sektor der Unternehme­r arbeitet hier mit Ausländern zusammen. Und für vieles brauchen die eine NIE-Nummer. Wenn man sie nicht zeitnah bekommt, kommen Geschäfte nicht zustande.“

Das Terminverg­abe-System der Nationalpo­lizei sei nicht praktisch. Theoretisc­h, um Missbrauch zu vermeiden, könne man keine Blanco-Termine machen. „ Man muss konkret die Daten des Terminnehm­ers eingeben. Doch wenn man keinen Erfolg hat und rausgeht, kann man diese Daten nicht speichern. Sie gehen verloren und man muss immer wieder von vorne anfangen.“

Es gebe auch Bürger, die wegen des Mangels „ vorsichtsh­alber“Termine ausmachen, dann aber nicht erscheinen. „ Theoretisc­h kann man citas zurückgebe­n. Doch viele tun das nicht oder so spät, dass sie nicht wieder vergeben werden können.“

Dazu komme auch, dass man sich nicht mehr einfach an der Tür anstellen darf, um zu sehen, ob man vielleicht drankommt. „ Also gehen die Termine, zu denen keiner erschienen ist, verloren.“

Bürger zahlt Rechnung

Das Problem ist einfach, dass es zu wenig Termine gibt. Und dass die Konsequenz­en, die das hat, nicht auf den Staat, sondern auf den Bürger zurückfall­en. Es gibt zum Beispiel zahlreiche Fälle, in denen Bürger wochenlang versucht haben, eine NIE-Nummer zu beantragen, ohne Erfolg. Sie konnten wegen der fehlenden NIE die Steuer nicht pünktlich zahlen und die Steuerbehö­rde erhob deshalb eine Strafgebüh­r.

Gesa Ahrens aus Dénia ist eine Deutsche, die es viele Monate gekostet hat, einen Termin bei der Nationalpo­lizei zu bekommen. Als

sie sah, dass auf der Internetpl­attform keiner zu bekommen war, fragte sie per Telefon nach. „ Doch man sagte mir, dass citas nur per Internet vergeben werden.“

In ihrer Gestoría habe man ihr geraten, es zu unmögliche­n Zeiten zu versuchen – um zwölf Uhr nachts, um fünf Uhr früh. „ Und ich habe es in der ganzen Provinz Alicante probiert, nicht nur in Dénia. Doch es gab nirgends Termine.“

Schließlic­h folgte sie dem Rat von Freunden, in einer bestimmten Gestoría in Dénia nachzufrag­en. „ Und dort hat mir eine sehr freundlich­e Frau für 60 Euro pro Person einen Termin besorgt.“Das ist noch günstig. In der spanischen Presse berichten Betroffene, dass sie bis zu 120 Euro pro Person aufbringen mussten. Kurz darauf las Gesa Ahrens, dass in Spanien eine

Bande festgenomm­en worden sei, die Termine bei der Nationalpo­lizei abgriff und verkaufte. „ Ich dachte deshalb, das Problem sei gelöst. Aber kürzlich habe ich wieder auf der Internetpl­attform der Nationalpo­lizei geschaut und es gibt immer noch keine citas.“

„Wir leben doch in der EU“

Die Deutsche kann nicht verstehen, warum man Geld bezahlen muss – zum Beispiel an eine Gestoría –, um einen Termin bei einer Behörde zu bekommen. „ Das gleiche Problem gibt es ja beim spanischen TÜV, die ITV“, sagt sie. „ Da verdient sich jemand eine goldene Nase mit etwas, das gratis sein sollte. Was soll denn da eine fünfköpfig­e Familie machen?“

Gesa Ahrens meint, wir lebten doch in der EU. Wieso sei da über

haupt so viel Papierkrie­g nötig. „ Warum braucht man zum Beispiel noch eine Residencia? Ich musste auch meinen Titel als Tierärztin anerkennen lassen und die Heirat war extrem komplizier­t.“

Mit dieser Meinung steht Gesa Ahrens nicht alleine da. Niemand zieht in Zweifel, dass eine NIE notwendig ist. Doch viele fordern, dass man sie viel einfacher direkt per Internet, ohne persönlich­e Vorstellun­g erhält. Dem stehen allerdings zwei Dinge entgegen: Erstens muss man für eine NIE seinen Fingerabdr­uck leisten und zweitens würde eine NIE-Erteilung per Internet ein aufwändige­s Sicherheit­ssystem erfordern.

Die Gewerkscha­ften der Beamten geben die Schuld dem Personalma­ngel. Es gebe rund 220.000 Beamtenste­llen weniger als noch vor einem Jahrzehnt. Das sei immerhin ein Minus von 13 Prozent.

Trotzdem, die Ämter müssen jeden Bürger angemessen bedienen – auch ohne Termin. Das meint der Anwalt Diego Gómez, Dozent an der Universitä­t in Pondevedra, der eine Initiative zu dem Thema gestartet hat. Seine Argumente: Eine Terminverg­abe sei aus organisato­rischen Gründen gut für

das Amt und den Bürger. Ein Beamter könne sich aber nicht weigern, einen Bürger zu bedienen, weil der keinen Termin hat. Denn jeder habe das in der Verfassung verankerte Recht, bedient zu werden, damit er seine Rechte in Anspruch nehmen und seinen Verpflicht­ungen nachkommen kann.

Was ist also zu tun? Ein erster Schritt wäre, das persönlich­e Erscheinen bei der Nationalpo­lizei ohne Termin zu erlauben. So könnten Termine, zu denen keiner kommt, umgehend genutzt werden. Auf dem Gebiet gibt es einen Lichtblick. Minister José Luis Escrivá hat am Mittwoch angekündig­t, dass die Terminpfli­cht in öffentlich­en Ämtern abgeschaff­t wird. Das würde auch die Nationalpo­lizei einschließ­en.

Und zweitens muss die Nationalpo­lizei eine Lösung suchen. Dénias Polizeiche­f Carlos Nieto etwa gibt zwar zu, dass er gerne mehr Termine zu vergeben hätte. Dann verweist er aber nur auf die Pressestel­le in Alicante. Dort war das Problem nicht neu: „ Es gibt viele Klagen. Aber es ist uns nicht bekannt, dass konkrete Maßnahmen ergriffen werden sollen, um es zu beheben“, sagte man den Costa Nachrichte­n.

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Fotos: David Revenga Bei der Nationalpo­lizei werden wichtige Dokumente ausgestell­t. Es ist aber schwierig, einen Termin zu bekommen.
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Wer es geschafft hat, darf sich glücklich schätzen.
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Ein Bild aus dem Archiv: Sich einfach vor dem Sitz der Nationalpo­lizei anstellen – das geht zur Zeit nicht..
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Foto: dpa Die Suche nach einem Termin im Internet kann einen zur Verzweiflu­ng treiben.

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