Was Autismus wirklich ist
Neuer Verein will Betroffenen in Villajoyosa Unterstützung bieten und die Gesellschaft sensibilisieren
„Jemand, der nicht spricht und keine Witze versteht, ist eine perfekte Zielscheibe“
Villajoyosa – ann. Ein viel weiter verbreitetes Wissen darüber, was Autismus ist, das würde sich Lorena Orobiogoikoetxea Harman aus Villajoyosa wünschen. „ Damit die Gesellschaft versteht, dass wir, auch wenn wir anders sind, nicht weniger wert sind und wie alle anderen Respekt verdienen.“Die 32Jährige ist eine Person mit diagnostizierter Autismus-Spektrum-Störung (ASS), auch ihr achtjähriger Sohn hat diese Diagnose erhalten.
Gemeinsam mit zwei anderen Familien hat Lorena Orobiogoikoetxea im vergangenen Dezember den Verein Autismolavila gegründet. „ Wir wollen betroffenen Familien Unterstützung bieten und sie wissen lassen, dass sie in unserer Gemeinde einen Ort haben, an dem sie auch moralischen Halt finden und sich zugehörig fühlen“, erklärt Orobiogoikoetxea. „ Denn wenn du die Diagnose erhältst und die Ärzte sagen dir das ohne Empathie in einer 15-minütigen Sprechstunde, dann brauchst du jemanden, der dich berät.“Oft seien die Familien völlig desorientiert, wüssten nicht, an wen sie sich wenden müssen und was die Diagnose überhaupt heißt, da die Informationen im Internet häufig „ miserabel“seien. „ Wir versuchen, Qualität in ein autistisches Leben zu bringen“, fasst die 32-Jährige zusammen.
Kommunikation als Hürde
In den meisten Fällen würden Personen mit einer ASS Defizite in der Kommunikation und sozialen Interaktion aufweisen, 30 bis 40 Prozent der Betroffenen sprechen gar nicht. „ In meinem Fall ist es so, ich spreche zwar, aber habe Probleme im pragmatischen Sprachgebrauch, so fällt es mir etwa sehr schwer, Anspielungen
oder Doppeldeutigkeiten zu verstehen“, erzählt die 32-Jährige.
„ Oft wird über ein Kind mit Autismus gesagt, es lebe in seiner eigenen Welt“, sagt Lorena Orobiogoikoetxea. Doch genau das Gegenteil sei der Fall. „ Wir nehmen so viele Reize auf und stehen unter solchem Druck, weil die Welt nun mal durch soziale Interaktion und Kommunikation bestimmt ist, dass wir kollabieren können, und deshalb ziehen wir uns in uns selbst zurück, um diesen Kollaps zu überstehen“, erklärt sie.
All dies mache es Betroffenen schwer, sich in der Gesellschaft zu integrieren. „ Unter Personen mit Autismus-Störungen findet sich die höchste Mobbing-Rate und sie zählen zu den verwundbarsten Menschen, sowohl in der Schule als auch im Arbeitsalltag. „ Denn seien wir ehrlich, eine Person, die
nicht spricht, die keine Witze und Scherze versteht, ist eine perfekte Zielscheibe“, bedauert sie.
Auch die Unterstützung durch die Verwaltung sei unzureichend. „ Die öffentliche Gesundheitsversorgung will von nichts wissen, wenn es sich um die mentale Gesundheit dreht“, sagt Lorena. „ Wenn du dir ein Bein brichst, dann bekommst du einen Gips, Physiotherapie, Medikamente und es gibt eine ärztliche Überwachung, nicht so bei Autismus.“In der Altersstufe null bis sechs Jahre würde die Sozialversicherung zwei Sessionen in der Woche überneh
men. „ Alles, was darüber hinausgeht, müssen die Familien selbst zahlen“, sagt Lorena Orobiogoikoetxea. Wichtig sei außerdem eine frühe Förderung betroffener Kinder.
„ Autismus ist nicht dieses vordefinierte Konzept, das viele Menschen im Kopf haben“, betont die junge Frau. „ Im Gegenteil, es sind oft Personen mit großem Potenzial, die im Bereich ihrer Interessen oft die Besten sind“, erklärt sie. „ Sie haben Interessen, die die Medizin eingeschränkt nennt, die ich aber lieber als tiefgehend bezeichne. Und vielleicht gerade weil wir vieles nicht mit diesem emotionalen Bereich mischen, sind wir oft effektiver.“