Radeln, schieben, gucken
Auf zwei Reifen durch vier Viertel: Mit dem Leihrad durch Valencia
Bei warmen Temperaturen kommt die Lust aufs Radfahren – eine wachsende Zahl von Menschen bevorzugt anstelle des Autos das Rad. Und unabhängig vom Wetter: Immer mehr Städte investieren in den Ausbau ihrer Fahrradwege, so wie auch Valencia.
Ein Fahrrad, eine App und etwas Motivation – mehr braucht es nicht, um die Viertel der Stadt auf dem Sattel sitzend mal anders zu entdecken. Und wie kommt man in Valencia an ein Rad? In der Stadt gibt es einen öffentlichen FahrradVerleih-Service, der den Namen Valenbisi trägt. Der Service steht jedem offen und ermöglicht sowohl Reservierungen für kurze als auch für längere Zeiträume, wobei die Nutzer die Wahl zwischen einem einwöchigen „ Bono“oder einem Jahres-Abo haben. Die Nutzung für Einwegreisen stellt jedoch vermutlich die geläufigste
Variante dar. Das System wurde 2010 in Valencia eingeführt, mit dem Ziel, den Straßenlärm und Verkehrsstaus zu minimieren, die durch motorisierte Fahrzeuge verursacht werden. Inzwischen verfügt das Netzwerk über mehr als 275 Stationen und über 2.750 Fahrräder.
Praktische App
Der Fahrradverleih wird ausgerechnet von Autofahrern finanziert
Super praktisch für alle ValenbisiNutzer ist die in der App integrierte Karte: Sie macht das Finden einer passenden Parkmöglichkeit für das jeweilige Fahrrad, das mit einer Nummer gekennzeichnet ist, zum Kinderspiel. Außerdem kann anhand der Karte geschaut werden, wo das nächste freie Rad zur Verfügung steht und über das Smartphone kann abgelesen werden, wie viele Minuten schon geradelt wurden – und somit, wie viel am Ende bezahlt werden muss.
Der Ausflug mit dem Fahrrad startet im Cabanyal am Wasser. In dem einstigen Fischerdorf kann der erste Kaffee zwischen hippen, kunstvoll bemalten Mauern und geschichtsträchtigen Häuschen getrunken und Kraft für die bevorstehende Erkundungstour durch die Stadt getankt werden. Ein Blick auf die Valenbisi-Karte im Smartphone tut kund: Die nächste Fahrradstation ist wie erhofft nicht weit entfernt.
Ein Swipe auf dem Handy und ein leises Klacken – das Schloss am Rad öffnet sich und kann aus der Halterung entnommen werden. Die Luft ist etwas frisch, doch die Sonne ergießt sich auf den Asphalt, und während die Pedalen rhythmisch getreten werden, verschwindet hinterrücks langsam das Meeresufer und der Puls der Stadt rückt näher. Nach etwa 15 Minuten Fahrt lenkt die Route an einer belebten Kreuzung nach rechts, direkt in das quirlige Viertel Benimaclet.
Die Straßen hier sind schmal und der Freitagsmarkt, übersäht mit bunten Planen, erstreckt sich entlang der mit Schmuck und Kleidung gefüllten Gassen. Auf einem der Markt-Pfade bestücken auch Brot, herrlich duftende Churros und Obst die schattigen Stände. Zwischen den dicht gedrängten Tischen ist geschäftiges Verhandeln zu vernehmen: „ Was kosten die Schuhe?“Und „ gibst du sie mir für fünf?“
Gleich neben einem Seitenarm der Straße befindet sich eine Parkstation für die Fahrräder. Es gibt so viele davon, dass ein Blick auf die App gar nicht nötig gewesen wäre. Zahlreiche, um die 30 Parkplätze zum Befestigen und Sperren der Räder reihen sich aneinander, ein paar davon sind bereits von anderen Fahrrädern belegt, doch einige sind noch frei. Hier wird die Zeit gestoppt – 28 Minuten – geradeso noch innerhalb der ersten kostenfreien halben Stunde.
Auch danach bleiben die Gebühren erschwinglich. Nach den ersten 30 Gratis-Minuten kostet die nächste Stunde etwa einen Euro und jede darauffolgende knapp vier. Finanziert wird das System zudem hauptsächlich von lokalen Autofahrern. Klingt paradox – funktioniert aber. Jährlich kommt rund eine Million Euro durch Parkleitsysteme zusammen, die von Autofahrern Valencias gezahlt werden. Ein System, das in weiten Teilen der dicht besiedelten Innenstadt verteilt ist und zur Kontrolle des Parkens an der Straße verhilft. Die dabei generierten Einnahmen werden anschließend dem Betreiber des Systems zugewiesen und tragen dazu bei, dass Valenbisi reibungslos funktioniert.
Inmitten des Markttreibens offenbart sich Benimaclet als echtes Studentenviertel. Junge Menschen mit alternativem Kleidungsstil durchstreifen den Markt auf der Suche nach Schnäppchen. Getra
gene Levi’s-Jeans für vier Euro, Adidas-Jacken für drei und bunte Retro-Hemden warten für kleines Geld auf Käufer. Doch nicht nur Studenten prägen das Bild. Ältere Bewohner bummeln zwischen den Ständen, ihre Einkaufstaschen gefüllt mit Stoffen und frischem Obst und Gemüse. Auch vereinzelte Touristen lassen sich von der Vielfalt verführen, während sie gut gelaunt Armbänder, Taschen und Gürtel begutachten. Um ein paar Kleinigkeiten und Leckereien vom Markt reicher, soll der Ausflug am späten Mittag in Richtung Südwesten fortgeführt werden.
Die jungen Klassiker
Auf dem etwa 15-minütigen Weg von Benimaclet nach El Carmen wird der einstige Fluss Túria passiert, der heute als Park genutzt wird. Familien sitzen im Grünen und plaudern, ein paar Jungen spielen Ball. Es ist ein Leichtes, sich hier mit dem Rad zurechtzufinden, die Straßen sind breit und es gibt Fahrradwege. Das alte muslimische Viertel wirkt urban und jung. Besonders einprägsam ist die bunte Straßenkunst, die zwischen gotischen Bauwerken hervorlugt und alte Fassaden aufpeppt.
In einer Kaffeebar wischt Barista Carlos Suárez gerade den Tresen sauber. In den letzten Jahrzehnten habe sich hier einiges getan. Der Wirt wohnt schon sein ganzes Leben hier. Er sagt, dass El Carmen einst ein Geheimtipp für Künstler und Rebellen war, wie er, nach eigener Angabe und einem Schmunzeln auf den Lippen, auch mal einer war. „ Das Viertel ist sehr alt, hat eine tausendjährige Geschichte und die Architektur stammt aus dem Mittelalter“, führt er fort. Suárez wirft den Lappen beherzt ins Waschbecken. „ Es ist
meine Heimat, ich bin froh, dass der Ort trotz vieler Touristen noch so authentisch ist.“
Am liebsten möge er die zahlreichen Plätze. „ In den Abendstunden setzen sich die Menschen hier manchmal einfach hin, spielen Gitarre, und es entsteht eine warme, entspannte Atmosphäre. Jeder ist willkommen.“Suárez hat sich in
der Vergangenheit selber gerne mit einer Gitarre rausgesetzt und geklimpert. Doch heute, sagt er, fühle er sich zu alt dafür. Neben den bekannten Klassikern, wie El Carmen, Benimaclet oder El Cabanyal gibt es auch andere, weniger bekannte Viertel in Valencia, die den meisten Besuchern wohl nicht besonders vertraut sein werden.
Anekdoten aus Nou Moles
Nou Moles etwa befindet sich dem trocken gelegten Fluss in Richtung Westen folgend und südlich dessen. Mit dem Fahrrad sind es etwa zehn Minuten Fahrt. Da der Abstand zwischen jeder Parkstation nur etwa 300 bis 400 Meter beträgt und die Stationen großflächig in den meist flachen Gebieten der Stadt verteilt sind, lässt sich das Rad auch an diesem Ort problemlos an den Vorrichtungen abstellen. Drei Männer sitzen hier auf einer schattigen Parkbank, ihre hölzernen Gehstöcke lehnen unter verschränkten Händen im Schoß.
Hier und da unterhalten sich die Menschen auf Valenciano – von den Balkonen baumelt frisch gewaschene Wäsche zum Trocknen und in Cervecerías wird Zeitung gelesen. Auf dem Platz vor einem Krankenhaus sitzen zwei junge Frauen auf einer Mauer, die sich angeregt und rauchend unterhalten.
Beide kennen sich hier bestens aus.
Paula Martín kommt ursprünglich aus Torrent, einem Ort etwa neun Kilometer westlich von hier. „ Die Mieten dort sind einfach erschwinglicher, meine Familie könnte es sich nicht leisten, hier zu leben“, teilt sie mit. In Nou Moles warten die beiden Frauen gerade darauf, eine Freundin aus dem Krankenhaus abzuholen. „ Sie lebt hier im Viertel. Es ist gut angebunden und nicht so kostspielig wie die Altstadt“, fährt Martín fort.
Auch Alba Jiménez ist Valencianerin, sie lebt im Stadtteil Amistat. „ Am liebsten würde ich mitten in der Altstadt wohnen, in einem hübschen Haus, mitten im pulsierenden Leben. Oder in Ruzafa, das ist ein beliebtes Studentenviertel“, schwärmt sie. Die jungen Frauen hegen eine tiefe Verbundenheit für ihre Stadt. Sie schätzen die Möglichkeit, sich hier auszuleben, ohne das Unbehagen, welches sie oft in den Dörfern der Umgebung empfunden haben. „ Ich erinnere mich“, sagt Paula Martín, „ als ich jünger war und mit meiner kleinen Schwester von Torrent in die Stadt fuhr. Da hat sie zum ersten Mal Menschen mit Tattoos und bunten Haaren gesehen – sie ist ständig stehen geblieben, das hatte sie noch nie zuvor gesehen“, sagt sie lachend.
Die Valencianerin findet, dass ihr Heimatort Torrent etwas konservativer sei und sie in Valencia endlich aufatmen könne, um sie selbst zu sein. Das schätzt sie an ihrer Stadt. „ Wenn man sich in der Szene etwas auskennt“, fügt Alba Jiménez hinzu, „ steckt in Valencia viel mehr als nur das Offensichtliche. Es gibt viele Kollektive, die sich für Kultur engagieren, sowie Poetry Slams und Dragshows – Valencia ist ziemlich bunt.“
Zurück zum Meer
Von Nou Moles geht es über die Innenstadt zurück ins Cabanyal - hier fährt es sich weniger bequem. Zu viele Passanten sind unterwegs und Fußgängerzonen verhindern das Passieren auf dem Rad. An Ampeln muss lange auf Grün gewartet werden und die Zeit tickt. Sinnvoller wäre es, das Zentrum zu umfahren, doch die alten Markthallen der Altstadt könnten es noch wert sein, sich für einige Minuten durch das leicht chaotische Freitags-Gedränge zu schieben. Zurück im Cabanyal herrscht ein belohnender Frieden – ein Gefühl von Gemütlichkeit schleicht durch die Gassen. Und während die Beine noch vom Treten der Pedalen wissen, macht sich im restlichen Körper eine wohlige Müdigkeit breit.