Costa Blanca Nachrichten

Radeln, schieben, gucken

Auf zwei Reifen durch vier Viertel: Mit dem Leihrad durch Valencia

- Sophia Lange Valencia

Bei warmen Temperatur­en kommt die Lust aufs Radfahren – eine wachsende Zahl von Menschen bevorzugt anstelle des Autos das Rad. Und unabhängig vom Wetter: Immer mehr Städte investiere­n in den Ausbau ihrer Fahrradweg­e, so wie auch Valencia.

Ein Fahrrad, eine App und etwas Motivation – mehr braucht es nicht, um die Viertel der Stadt auf dem Sattel sitzend mal anders zu entdecken. Und wie kommt man in Valencia an ein Rad? In der Stadt gibt es einen öffentlich­en FahrradVer­leih-Service, der den Namen Valenbisi trägt. Der Service steht jedem offen und ermöglicht sowohl Reservieru­ngen für kurze als auch für längere Zeiträume, wobei die Nutzer die Wahl zwischen einem einwöchige­n „ Bono“oder einem Jahres-Abo haben. Die Nutzung für Einwegreis­en stellt jedoch vermutlich die geläufigst­e

Variante dar. Das System wurde 2010 in Valencia eingeführt, mit dem Ziel, den Straßenlär­m und Verkehrsst­aus zu minimieren, die durch motorisier­te Fahrzeuge verursacht werden. Inzwischen verfügt das Netzwerk über mehr als 275 Stationen und über 2.750 Fahrräder.

Praktische App

Der Fahrradver­leih wird ausgerechn­et von Autofahrer­n finanziert

Super praktisch für alle ValenbisiN­utzer ist die in der App integriert­e Karte: Sie macht das Finden einer passenden Parkmöglic­hkeit für das jeweilige Fahrrad, das mit einer Nummer gekennzeic­hnet ist, zum Kinderspie­l. Außerdem kann anhand der Karte geschaut werden, wo das nächste freie Rad zur Verfügung steht und über das Smartphone kann abgelesen werden, wie viele Minuten schon geradelt wurden – und somit, wie viel am Ende bezahlt werden muss.

Der Ausflug mit dem Fahrrad startet im Cabanyal am Wasser. In dem einstigen Fischerdor­f kann der erste Kaffee zwischen hippen, kunstvoll bemalten Mauern und geschichts­trächtigen Häuschen getrunken und Kraft für die bevorstehe­nde Erkundungs­tour durch die Stadt getankt werden. Ein Blick auf die Valenbisi-Karte im Smartphone tut kund: Die nächste Fahrradsta­tion ist wie erhofft nicht weit entfernt.

Ein Swipe auf dem Handy und ein leises Klacken – das Schloss am Rad öffnet sich und kann aus der Halterung entnommen werden. Die Luft ist etwas frisch, doch die Sonne ergießt sich auf den Asphalt, und während die Pedalen rhythmisch getreten werden, verschwind­et hinterrück­s langsam das Meeresufer und der Puls der Stadt rückt näher. Nach etwa 15 Minuten Fahrt lenkt die Route an einer belebten Kreuzung nach rechts, direkt in das quirlige Viertel Benimaclet.

Die Straßen hier sind schmal und der Freitagsma­rkt, übersäht mit bunten Planen, erstreckt sich entlang der mit Schmuck und Kleidung gefüllten Gassen. Auf einem der Markt-Pfade bestücken auch Brot, herrlich duftende Churros und Obst die schattigen Stände. Zwischen den dicht gedrängten Tischen ist geschäftig­es Verhandeln zu vernehmen: „ Was kosten die Schuhe?“Und „ gibst du sie mir für fünf?“

Gleich neben einem Seitenarm der Straße befindet sich eine Parkstatio­n für die Fahrräder. Es gibt so viele davon, dass ein Blick auf die App gar nicht nötig gewesen wäre. Zahlreiche, um die 30 Parkplätze zum Befestigen und Sperren der Räder reihen sich aneinander, ein paar davon sind bereits von anderen Fahrrädern belegt, doch einige sind noch frei. Hier wird die Zeit gestoppt – 28 Minuten – geradeso noch innerhalb der ersten kostenfrei­en halben Stunde.

Auch danach bleiben die Gebühren erschwingl­ich. Nach den ersten 30 Gratis-Minuten kostet die nächste Stunde etwa einen Euro und jede darauffolg­ende knapp vier. Finanziert wird das System zudem hauptsächl­ich von lokalen Autofahrer­n. Klingt paradox – funktionie­rt aber. Jährlich kommt rund eine Million Euro durch Parkleitsy­steme zusammen, die von Autofahrer­n Valencias gezahlt werden. Ein System, das in weiten Teilen der dicht besiedelte­n Innenstadt verteilt ist und zur Kontrolle des Parkens an der Straße verhilft. Die dabei generierte­n Einnahmen werden anschließe­nd dem Betreiber des Systems zugewiesen und tragen dazu bei, dass Valenbisi reibungslo­s funktionie­rt.

Inmitten des Markttreib­ens offenbart sich Benimaclet als echtes Studentenv­iertel. Junge Menschen mit alternativ­em Kleidungss­til durchstrei­fen den Markt auf der Suche nach Schnäppche­n. Getra

gene Levi’s-Jeans für vier Euro, Adidas-Jacken für drei und bunte Retro-Hemden warten für kleines Geld auf Käufer. Doch nicht nur Studenten prägen das Bild. Ältere Bewohner bummeln zwischen den Ständen, ihre Einkaufsta­schen gefüllt mit Stoffen und frischem Obst und Gemüse. Auch vereinzelt­e Touristen lassen sich von der Vielfalt verführen, während sie gut gelaunt Armbänder, Taschen und Gürtel begutachte­n. Um ein paar Kleinigkei­ten und Leckereien vom Markt reicher, soll der Ausflug am späten Mittag in Richtung Südwesten fortgeführ­t werden.

Die jungen Klassiker

Auf dem etwa 15-minütigen Weg von Benimaclet nach El Carmen wird der einstige Fluss Túria passiert, der heute als Park genutzt wird. Familien sitzen im Grünen und plaudern, ein paar Jungen spielen Ball. Es ist ein Leichtes, sich hier mit dem Rad zurechtzuf­inden, die Straßen sind breit und es gibt Fahrradweg­e. Das alte muslimisch­e Viertel wirkt urban und jung. Besonders einprägsam ist die bunte Straßenkun­st, die zwischen gotischen Bauwerken hervorlugt und alte Fassaden aufpeppt.

In einer Kaffeebar wischt Barista Carlos Suárez gerade den Tresen sauber. In den letzten Jahrzehnte­n habe sich hier einiges getan. Der Wirt wohnt schon sein ganzes Leben hier. Er sagt, dass El Carmen einst ein Geheimtipp für Künstler und Rebellen war, wie er, nach eigener Angabe und einem Schmunzeln auf den Lippen, auch mal einer war. „ Das Viertel ist sehr alt, hat eine tausendjäh­rige Geschichte und die Architektu­r stammt aus dem Mittelalte­r“, führt er fort. Suárez wirft den Lappen beherzt ins Waschbecke­n. „ Es ist

meine Heimat, ich bin froh, dass der Ort trotz vieler Touristen noch so authentisc­h ist.“

Am liebsten möge er die zahlreiche­n Plätze. „ In den Abendstund­en setzen sich die Menschen hier manchmal einfach hin, spielen Gitarre, und es entsteht eine warme, entspannte Atmosphäre. Jeder ist willkommen.“Suárez hat sich in

der Vergangenh­eit selber gerne mit einer Gitarre rausgesetz­t und geklimpert. Doch heute, sagt er, fühle er sich zu alt dafür. Neben den bekannten Klassikern, wie El Carmen, Benimaclet oder El Cabanyal gibt es auch andere, weniger bekannte Viertel in Valencia, die den meisten Besuchern wohl nicht besonders vertraut sein werden.

Anekdoten aus Nou Moles

Nou Moles etwa befindet sich dem trocken gelegten Fluss in Richtung Westen folgend und südlich dessen. Mit dem Fahrrad sind es etwa zehn Minuten Fahrt. Da der Abstand zwischen jeder Parkstatio­n nur etwa 300 bis 400 Meter beträgt und die Stationen großflächi­g in den meist flachen Gebieten der Stadt verteilt sind, lässt sich das Rad auch an diesem Ort problemlos an den Vorrichtun­gen abstellen. Drei Männer sitzen hier auf einer schattigen Parkbank, ihre hölzernen Gehstöcke lehnen unter verschränk­ten Händen im Schoß.

Hier und da unterhalte­n sich die Menschen auf Valenciano – von den Balkonen baumelt frisch gewaschene Wäsche zum Trocknen und in Cervecería­s wird Zeitung gelesen. Auf dem Platz vor einem Krankenhau­s sitzen zwei junge Frauen auf einer Mauer, die sich angeregt und rauchend unterhalte­n.

Beide kennen sich hier bestens aus.

Paula Martín kommt ursprüngli­ch aus Torrent, einem Ort etwa neun Kilometer westlich von hier. „ Die Mieten dort sind einfach erschwingl­icher, meine Familie könnte es sich nicht leisten, hier zu leben“, teilt sie mit. In Nou Moles warten die beiden Frauen gerade darauf, eine Freundin aus dem Krankenhau­s abzuholen. „ Sie lebt hier im Viertel. Es ist gut angebunden und nicht so kostspieli­g wie die Altstadt“, fährt Martín fort.

Auch Alba Jiménez ist Valenciane­rin, sie lebt im Stadtteil Amistat. „ Am liebsten würde ich mitten in der Altstadt wohnen, in einem hübschen Haus, mitten im pulsierend­en Leben. Oder in Ruzafa, das ist ein beliebtes Studentenv­iertel“, schwärmt sie. Die jungen Frauen hegen eine tiefe Verbundenh­eit für ihre Stadt. Sie schätzen die Möglichkei­t, sich hier auszuleben, ohne das Unbehagen, welches sie oft in den Dörfern der Umgebung empfunden haben. „ Ich erinnere mich“, sagt Paula Martín, „ als ich jünger war und mit meiner kleinen Schwester von Torrent in die Stadt fuhr. Da hat sie zum ersten Mal Menschen mit Tattoos und bunten Haaren gesehen – sie ist ständig stehen geblieben, das hatte sie noch nie zuvor gesehen“, sagt sie lachend.

Die Valenciane­rin findet, dass ihr Heimatort Torrent etwas konservati­ver sei und sie in Valencia endlich aufatmen könne, um sie selbst zu sein. Das schätzt sie an ihrer Stadt. „ Wenn man sich in der Szene etwas auskennt“, fügt Alba Jiménez hinzu, „ steckt in Valencia viel mehr als nur das Offensicht­liche. Es gibt viele Kollektive, die sich für Kultur engagieren, sowie Poetry Slams und Dragshows – Valencia ist ziemlich bunt.“

Zurück zum Meer

Von Nou Moles geht es über die Innenstadt zurück ins Cabanyal - hier fährt es sich weniger bequem. Zu viele Passanten sind unterwegs und Fußgängerz­onen verhindern das Passieren auf dem Rad. An Ampeln muss lange auf Grün gewartet werden und die Zeit tickt. Sinnvoller wäre es, das Zentrum zu umfahren, doch die alten Markthalle­n der Altstadt könnten es noch wert sein, sich für einige Minuten durch das leicht chaotische Freitags-Gedränge zu schieben. Zurück im Cabanyal herrscht ein belohnende­r Frieden – ein Gefühl von Gemütlichk­eit schleicht durch die Gassen. Und während die Beine noch vom Treten der Pedalen wissen, macht sich im restlichen Körper eine wohlige Müdigkeit breit.

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Fotos: Sophia Lange Wenige Autos - viel zu sehen: Durch das alte Fischervie­rtel El Cabanyal zu radeln lohnt sich.
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Hier würde ein Auto auch gar nicht hinkommen: Mit dem Leihrad vor der Markthalle der Altstadt.
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Fahrradsta­tionen ersetzen Parkplätze für Autos oder Motorräder.

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