Tatort Costa Blanca
„Falsches Spiel in Valencia“– der zweite Kriminalroman des Autors Daniel Izquierdo-Hänni
„ Falsches Spiel in Valencia“heißt der zweite Kriminalroman des schweizerisch-spanischen Autors Daniel Izquierdo-Hänni. Dieses Mal ermittelt Privatdetektiv Vicente Alapont auch zwischen Dénia und Benidorm. Das erste Kapitel des neuen Alapont-Krimis startet in Sichtweite des Cabo de San Antonio in Jávea.
Irgendetwas stimmt nicht! Doch was? Schon seit der ersten Fahrt am heutigen Vormittag hat José-Luis Oriol ein ungutes Gefühl, eine Sensation, die er weder zu begründen noch zu bestimmen weiß. Doch als einer, der seit über 40 Jahren zur See fährt, hat er gelernt, auf seinen Instinkt zu hören. Dies mag zwar in der modernen Schifffahrt, mit all dem technischen Zeugs wie Radar, SatellitenTelefonen und metergenauen GPS-Koordinaten, längst veraltet sein, doch das ist ihm, dem alten Seebären, völlig egal.
Na ja, Seebär, das war José-Luis wohl mal, damals, als er als Kapitän der spanischen Handelsmarine die sieben Weltmeere durchschiffte und der weite Ozean sein Zuhause gewesen ist. Doch dann musterte ihn die Reederei aus, als wäre er ein alter Kahn, verabschiedete ihn in den Ruhestand und zwang ihn, eine Landratte zu werden.
Umso glücklicher ist er, wenn er seinem Sohn in dessen kleiner Ausflugsreederei zur Hand gehen kann. Und so steuert José-Luis bereits zum dritten Mal an diesem Tag die Nemo Blue von der Touristenhochburg Dénia ins benachbarte Jávea und wieder zurück. Gut, das Ausflugsschiff ist eine Nussschale im Vergleich zu den Bruttoregistertonnen, die er gewohnt gewesen ist, doch immerhin ist er weiterhin auf dem Wasser – auf und in seinem Element.
Gemächlich tuckert José-Luis aus der Bucht von Jávea geradeaus aufs offene Mittelmeer, um nach ein paar Minuten Fahrt aufzunehmen und in einer scharfen Backbord-Kurve nach links abzudrehen. Dieses Manöver führt er extra so durch, denn auf diese Weise haben die Passagiere von einem Augenblick auf den nächsten eine tolle Sicht auf die spektakuläre Felswand des Cabo de San Antonio.
Steil ragt die 160 Meter hohe Klippe aus dem Wasser, gekrönt vom weißen, schmalen Leuchtturm ganz oben, von wo man bei klarer Sicht am Horizont die Umrisse von Ibiza und Formentera
ausmachen kann. Ohne zu drosseln, steuert er das Touristenboot näher an die Steilwand heran. Selbst bei ruhiger See und strahlendem Sonnenschein hat das Kap etwas Majestätisches und gleichzeitig Bedrohliches an sich.
Doch wirklich etwas übrig für das Naturspektakel hat der alte Seebär nicht, einerseits ist er hier in der Gegend aufgewachsen und kennt daher die Küste wie seine Westentasche, andererseits muss er auf die zahlreichen Motor- und Segelboote sowie die wild umherrasenden Jetski-Fahrer achten, die seinen Kurs durchkreuzen könnten. „ Verschwindet vor meinem Bug!“, wettert er, lässt das Signalhorn ertönen und legt nochmals ein paar Knoten zu.
Doch plötzlich drosselt JoséLuis Oriol den Dieselmotor, greift zu seinem Feldstecher und schaut zurück zu einer der kleinen Buchten am Fuße der hohen Felswand. Genau! Das ist es! Jetzt endlich weiß er, woher sein dumpfes Bauchgefühl stammt, das ihn seit der ersten Fahrt heute Morgen begleitet.
Er schaltet das Mikrofon zur
Bordbeschallung ein, räuspert sich und drückt auf den roten Knopf.
„ Werte Passagiere, hier spricht Ihr Kapitän. Da heute das Meer so wunderbar ruhig ist, drehen wir einen kurzen Extrabogen, sodass Sie nochmals das Naturwunder der Costa Blanca ganz aus der Nähe genießen können. Wir werden somit etwa 15 Minuten später in Dénia eintreffen, ich hoffe, Sie sind damit einverstanden.“
Das Raunen der Passagiere verwandelt sich in einen spontanen Applaus. Dafür stürzt einer der Matrosen, die auf dem Ausflugsboot Dienst tun, in die Kabine.
„ ¿Capitán, qué pasa? Was ist los?“
– „ Nichts Besonderes, übernimm das Steuer, kehr eine Viertelmeile zurück und fahr dann so nahe wie möglich am Felsen entlang wieder in Richtung Dénia.“
Ohne richtig zu wissen weshalb, tut der Seemann, wie ihm geheißen und wendet. José-Luis tritt aus dem Ruderhaus und stellt sich auf das offene Deck. Tatsächlich, jetzt sieht er klar vor sich, was er schon bei der ersten Fahrt am Morgen offenbar unbe
wusst wahrgenommen hat: Ein Motorboot an der immer noch gleichen Stelle, gefährlich nahe am Felsen. Er reibt sich die Augen und dreht am Schärfenrad des Feldstechers, doch den Namen der Jacht kann er nicht erkennen. Klar ist ihm jedoch, dass niemand an Bord zu sehen ist. „ Da stimmt was nicht!“murmelt der alte Seebär zufrieden, auf seinen Instinkt gehört zu haben.
Zurück in der Kabine greift er zum Funkgerät und wählt VHFKanal Nummer 16. Es ist die Frequenz der Seenotrettung.