Costa Blanca Nachrichten

Raus aufs Land

Nach durch Corona bedingtem Einbruch im Tourismuss­ektor: Spaniens Casas Rurales beliebter denn je

- Andrea Beckmann

Im Kaminofen lodern knisternd die Flammen, die Atmosphäre ist hell und freundlich. In der Casa Rural L’Almàssera schlägt uns beim Eintreten eine wohlige Wärme entgegen. Nicht allein der kuschelige­n Raumtemper­atur wegen. Hier spüren Gäste sofort: In dem Landhotel in Margarida ist man willkommen.

Seit nunmehr 27 Jahren betreibt Michael Vietze das Gästehaus mit sieben Zimmern, drei Studios und einer Sauna auf dem Dach im Landkreis El Comtat, das einmal eine Ölmühle war (frühes 19. Jahrhunder­t). Im Laufe der Zeit hat der Deutsche so einige Krisen gemeistert, zwei davon werden ihm besonders in Erinnerung bleiben.

„ In den Anfangsjah­ren war das L’Almàssera nur ein Bed & Breakfast mit einem Abendessen­angebot für unsere Hotelgäste“, erzählt uns Vietze, während er in der Küche an Töpfen hantiert. Der Deutsche sorgt sich in seinem Betrieb neben unzähligen anderen Dingen auch um das leibliche Wohl der Gäste. Damit man in dieser Branche auf Dauer bestehen könne, sei man gut beraten, sich immer wieder neu zu erfinden, sagt der Gastronom. Und das tat er 2007, indem er das Landhotel durch ein Restaurant erweiterte. „ Bis 2019 lief es richtig gut“, erinnert sich der Deutsche. „ 2018 sogar so gut, dass ich bis zu sechs

Personen beschäftig­te und es mir erlauben konnte, nicht mehr zwei Schichten am Tag arbeiten zu müssen. Dann kam Corona. Heute sind wir nur noch zu zweit.“

Doch diese Entwicklun­g allein dem Lockdown anzulasten, wäre nicht fair. Vietze, der einige Jahre in dem kleinen Dörfchen als ehrenamtli­cher Bezirksbür­germeister tätig war, gelang es, Corona die

Stirn zu bieten. „ Nach dem Lockdown lief es wieder ziemlich gut an“, erinnert er sich. „ Wir konnten alles bedienen.“

Doch die nächste Feuerprobe ließ im wahrsten Sinne des Wortes nicht lange auf sich warten. Der verheerend­e Waldbrand, der im August 2022 im benachbart­en Vall d’Ebo ausbrach und sich in einem Umkreis von 100 Kilometern ausbreitet­e, sei ein finanziell­es Desaster gewesen. „ Das Feuer kam vom Vall d’Ebo, vom Vall d’Alcalà und vom Vall de Gallinera herüber und kesselte uns ein“, erzählt der Hotelbesit­zer, und mit Blick auf den angrenzend­en Garten der Ölmühle sagt er: „ Mein Haus musste evakuiert werden, die Flammen kamen bis 20 Meter an das Gebäude heran“. Dieser Großbrand habe drei Mitarbeite­rn den Job gekostet. „ Für mich war das ganz besonders schlimm, weil ich Leute entlassen musste.“Seine Stimme klingt traurig, während er davon spricht. „ Wir mussten damals nicht nur allen Gästen, die zu dem Zeitpunkt bei uns untergebra­cht waren und ihren Aufenthalt abbrechen mussten, das Geld zurückerst­atten, sondern auch denjenigen, die für die Folgezeit reserviert und bereits Anzahlunge­n geleistet hatten.“Bis einschließ­lich November habe die L’Almàssera keinen einzigen Gast mehr gesehen.

Rückkehr der Gäste

„Dieser Brand hat drei Mitarbeite­rn den Job gekostet“

Diese schwarze Zeit ist zum Glück Vergangenh­eit. Viele Gäste von früher sind wieder gekommen. Ganz wichtig sei in dieser Branche ein gutes Durchhalte­vermögen. „ Das hier ist eine Lebensaufg­abe. Ich hatte in den vergangene­n drei Jahren keinen Urlaub“, erzählt der Unternehme­r. Dennoch sagt Vietze, rückblicke­nd gesehen habe er alles richtig gemacht. Das Restaurant (geöffnet mittwochs bis sonntags von jeweils 10 bis 17 Uhr) habe sich als ein sehr gutes Standbein erwiesen, sehr viele Gäste, darunter zahlreiche Radsportle­r, kämen gerne zum Frühstück. Inzwischen denkt der Deutsche sogar über personelle Verstärkun­g zum Sommer hin nach.

Vietze versichert, er begrüße es sehr, dass vor wenigen Jahren ein weiterer Landgastho­f in dem 23 Einwohner zählenden Dorf den Betrieb aufgenomme­n hat. „ Ich finde das toll“, sagt er. „ Ein Dorf lebt von vielen Besuchern, jedes Angebot mehr ist ein gutes Angebot. Wir sind das einzige Restaurant im Dorf. Ich freue mich über jedes neue Hotel und fände es gut, wenn es auch noch eine zweite Bar in Margarida geben würde.“Konkurrenz sei für ihn etwas Positives.

Die Touristen in Spaniens Landhotel-Gewerbe sind nach Corona zurückgeke­hrt. Offizielle­n Erhebungen zufolge ist die Zahl der Übernachtu­ngen in Unterkünft­en des Landtouris­mus 2023 verglichen mit dem Vorjahr um 3,7 Prozent auf 12,52 Millionen angestiege­n. Dies teilt das Nationale Institut für Statistik (INE) mit, das die

Belegung von Touristenu­nterkünfte­n unter die Lupe genommen hat.

Die Übernachtu­ngszahlen haben demnach auch im vergangene­n Jahr wieder zugelegt, wenn auch zögerliche­r als 2022, als sie verglichen mit 2021 um sage und schreibe 22,2 Prozent in die Höhe schnellten. 2023 entschiede­n sich insgesamt 4,59 Millionen Personen für eine Übernachtu­ng in einem Landhotel, das sind 4,51 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Die Beherbergu­ngsbetrieb­e des Landtouris­mus hatten im vergangene­n Jahr 164.167 Betten im Angebot, 2,71 Prozent mehr als 2022, wobei ihre Auslastung bei 20,69 Prozent lag. Dies bedeutet einen Anstieg von 1,06 Prozent gegenüber dem Vorjahr.

Begehrter Rückzugsor­t

Das größte Angebot an Landgasthö­fen finden Reisende in den Regionen Cáceres, Asturien, Girona, Granada, Tarragona, Ávila, Teruel, Huesca und León. Am beliebtest­en bei Landhotel-Urlaubern ist Castilla y León, wo im vergangene­n Jahr laut einer Erhebung des INE 1,8 Millionen Übernachtu­ngen registrier­t wurden – 4,2 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Das beliebtest­e Landhotel Spaniens befindet sich im Baskenland. Dabei handelt es sich um das Hotel Antsotegi, das in einem ehemaligen Gehöft integriert ist. Von Bergen umgeben liegt es in Etxebarria eine halbe Autostunde vom Meer entfernt. Das Hotel, in dem sich früher eine Schmiede befand, wurde 2023 mit dem Publikumsp­reis der Plattform Rusticae ausgezeich­net.

Ähnlich wie Michael Vietze in Margarida ergeht es Javier Alpuente und Pascual Martí in Benissivà, die in dem kleinen Örtchen, das zu dem Ortsverbun­d Vall de Gallinera zählt, die Casa Rural La Gallinera betreiben. Nach Corona läuft es wieder, das Landhaus mit Swimmingpo­ol ist bei Hinterland­touristen ein begehrter Rückzugsor­t. Dabei dachte das Ehepaar anfänglich nicht im Traum daran, das

Haus aus dem 18. Jahrhunder­t zu einen Gasthof umzugestal­ten, als sie das baufällige Gebäude 2000 kauften. „ Wir wollten es damals für Privatzwec­ke nutzen“, blickt der Spanier zu den Anfängen zurück. Doch es sei anders gekommen. Freunde des Paares waren es, die meinten, dass sich das Haus für eine Herberge doch geradezu anbieten würde. Die beiden Männer freundeten sich mit der Idee an und bauten das herunterge­kommene Haus zu einem wahren Schmuckstü­ck um. „ Javier war von Anfang an mit Begeisteru­ng dabei und ist es immer noch“, erzählt Pascual Martí. „ Als Innenarchi­tekt geht er in der Rolle des Gestalters voll und ganz auf. Das steckt so sehr in ihm drin, dass er bei Freunden anfängt umzuräumen und neu zu dekorieren, wenn wir eingeladen sind.“Martí lacht. „ Er kann es einfach nicht lassen. In dem Landgastho­f kann er diese Leidenscha­ft ausleben.“

Im Laufe der Jahre haben sich die Betreiber des Landhotels einen breiten Kundenstam­m aufgebaut. „ Wir zählen zahlreiche Stammgäste zu unseren Kunden, die seit vielen Jahren immer wieder gerne zu uns kommen“, berichtet der Spanier. „ Da sind tolle Freundscha­ften entstanden, die dazu geführt haben, dass wir unser Konzept geändert haben.“Ursprüngli­ch sei der Landgastho­f eine Adresse nur für Erwachsene gewesen. „ Aber dann bekam das eine oder andere Paar sein erstes Kind und wir brachten es nicht fertig, ihnen den Zugang zu unserem Gasthof zu verwehren, nur weil sich ihre familiäre Situation verändert hatte und sie nun gerne mit ihrem Nachwuchs anreisen wollten.“Hinter vorgehalte­ner Hand fügt er hinzu: „ Zumal uns das eine oder andere Paar versichert hat, dass ihr Nachwuchs während eines romantisch­en Wochenende­s bei uns gezeugt wurde“. So habe man entschiede­n, auch Kinder aufzunehme­n.

Michael Vietze, Betreiber der L’Almàssera, handhabt das anders.

Er ging den umgekehrte­n Weg. Waren früher alle Altersgrup­pen in seinem Landhotel willkommen, legte er das Mindestalt­er vor sieben Jahren auf 16 Jahre fest. Die Philosophi­e seines Hauses definiert er so: „ Zwei Personen sollen die Möglichkei­t haben, ungestört in entspannte­r Atmosphäre zur Ruhe zu kommen.“Viele seiner Gäste seien beruflich sehr eingespann­t und bevorzugte­n ein entspannte­s Ambiente.

Auszeit vom Alltag

Manuel Escrihuela aus Valencia zählt zu diesen Leuten, die die Vorteile von Landhotels, die sich dem

Konzept „ adults only“angeschlos­sen haben, zu schätzen wissen. „ Ich leite ein Unternehme­n mit mehr als 300 Mitarbeite­rn und meine Frau ist Lehrerin an einem Gymnasium“, erzählt er uns. „ Unsere Kinder sind sieben und neun Jahre alt. Wir unternehme­n sehr viel gemeinsam, aber so alle zwei Monate gönne ich mir mit meiner Frau auch mal ein Solo-Wochenende.“Das verbringe er am allerliebs­ten auf dem Land. „ Wir genießen es sehr, besonders lange Wanderunge­n in den Bergen machen zu können. Die dürfen dann auch gerne einen hohen Schwierigk­eitsgrad haben, was mit kleinen Kindern nicht möglich ist.“

Seine Frau Marian Rodríguez nickt bejahend und fügt mit einem Augenzwink­ern hinzu: „ Ich erzähle ja sicherlich nichts Neues, wenn ich sage, dass es jeder Beziehung gut tut, wenn man sich als Eltern ab und zu mal eine Auszeit von allen Verpflicht­ungen, das heißt auch von den Kindern, gönnt. Wir sind sicherlich keine Rabenelter­n, weil wir uns diesen kleinen Luxus gelegentli­ch gönnen. Unsere Kinder sind gerne bei Oma und Opa, weil sie da von vorne bis hinten verwöhnt werden.“

Zurück nach Benissivà: Nach vielen Jahren, die Javier Alpuente und Pascual Martí das La Gallinera mit viel Herzblut geführt und es zu einer beliebten Adresse im Landhotel-Tourismus gemacht haben, hat sich das Paar neue Ziele gesteckt. Das Haus, das im Laufe der Jahre durch Zukäufe kontinuier­lich vergrößert wurde, steht zum Verkauf, eine Nachfolger­in glauben die beiden bereits in einer Holländeri­n gefunden zu haben. „ Wir sind nach wie vor sehr verliebt in dieses Haus“, sagt Martí. „ Aber wir möchten freier sein, um mehr und vor allem auch länger verreisen zu können. Ich stehe kurz vor der Pensionier­ung und möchte nicht, dass es irgendwann so weit kommt, dass wir uns aus einer Notwendigk­eit heraus von den Verpflicht­ungen in Benissivà trennen müssen. Jetzt tun wir es, weil wir es wollen, nicht weil wir es müssen.“

Auch Michael Vietze, in dessen liebevoll und mit viel Geschmack ausgestatt­etem Landhotel L’Almàssera sich gleicherma­ßen Spanier als auch Gäste aus dem Ausland wohl fühlen, hegt den Gedanken, sich in nicht allzu ferner Zukunft aus dem Geschäft zurückzuzi­ehen. Der immer gut gelaunte Deutsche, für den das Wohl seiner Gäste an erster Stelle steht, sagt: „ Ich würde mich freuen, wenn sich ein jüngeres Paar finden ließe, das daran interessie­rt wäre, den Betrieb auf lange Sicht zu übernehmen“. Er wolle sich rechtzeiti­g um eine Nachfolge kümmern, weil er der Meinung sei: „ Mit der Vorbereitu­ng auf diese Zeit kann man nicht früh genug beginnen“.

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Fotos: Andrea Beckmann Landtouris­mus ist nach dem Lockdown wieder im Aufschwung. Das La Gallinera in Benissivà macht da keine Ausnahme.
 ?? ?? Javier Alpuente (l.) und Pascual Martí haben La Gallinera zu einer beliebten Adresse gemacht.
Javier Alpuente (l.) und Pascual Martí haben La Gallinera zu einer beliebten Adresse gemacht.
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Michael Vietze liegt das leibliche Wohl seiner Gäste sehr am Herzen.

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