Raus aufs Land
Nach durch Corona bedingtem Einbruch im Tourismussektor: Spaniens Casas Rurales beliebter denn je
Im Kaminofen lodern knisternd die Flammen, die Atmosphäre ist hell und freundlich. In der Casa Rural L’Almàssera schlägt uns beim Eintreten eine wohlige Wärme entgegen. Nicht allein der kuscheligen Raumtemperatur wegen. Hier spüren Gäste sofort: In dem Landhotel in Margarida ist man willkommen.
Seit nunmehr 27 Jahren betreibt Michael Vietze das Gästehaus mit sieben Zimmern, drei Studios und einer Sauna auf dem Dach im Landkreis El Comtat, das einmal eine Ölmühle war (frühes 19. Jahrhundert). Im Laufe der Zeit hat der Deutsche so einige Krisen gemeistert, zwei davon werden ihm besonders in Erinnerung bleiben.
„ In den Anfangsjahren war das L’Almàssera nur ein Bed & Breakfast mit einem Abendessenangebot für unsere Hotelgäste“, erzählt uns Vietze, während er in der Küche an Töpfen hantiert. Der Deutsche sorgt sich in seinem Betrieb neben unzähligen anderen Dingen auch um das leibliche Wohl der Gäste. Damit man in dieser Branche auf Dauer bestehen könne, sei man gut beraten, sich immer wieder neu zu erfinden, sagt der Gastronom. Und das tat er 2007, indem er das Landhotel durch ein Restaurant erweiterte. „ Bis 2019 lief es richtig gut“, erinnert sich der Deutsche. „ 2018 sogar so gut, dass ich bis zu sechs
Personen beschäftigte und es mir erlauben konnte, nicht mehr zwei Schichten am Tag arbeiten zu müssen. Dann kam Corona. Heute sind wir nur noch zu zweit.“
Doch diese Entwicklung allein dem Lockdown anzulasten, wäre nicht fair. Vietze, der einige Jahre in dem kleinen Dörfchen als ehrenamtlicher Bezirksbürgermeister tätig war, gelang es, Corona die
Stirn zu bieten. „ Nach dem Lockdown lief es wieder ziemlich gut an“, erinnert er sich. „ Wir konnten alles bedienen.“
Doch die nächste Feuerprobe ließ im wahrsten Sinne des Wortes nicht lange auf sich warten. Der verheerende Waldbrand, der im August 2022 im benachbarten Vall d’Ebo ausbrach und sich in einem Umkreis von 100 Kilometern ausbreitete, sei ein finanzielles Desaster gewesen. „ Das Feuer kam vom Vall d’Ebo, vom Vall d’Alcalà und vom Vall de Gallinera herüber und kesselte uns ein“, erzählt der Hotelbesitzer, und mit Blick auf den angrenzenden Garten der Ölmühle sagt er: „ Mein Haus musste evakuiert werden, die Flammen kamen bis 20 Meter an das Gebäude heran“. Dieser Großbrand habe drei Mitarbeitern den Job gekostet. „ Für mich war das ganz besonders schlimm, weil ich Leute entlassen musste.“Seine Stimme klingt traurig, während er davon spricht. „ Wir mussten damals nicht nur allen Gästen, die zu dem Zeitpunkt bei uns untergebracht waren und ihren Aufenthalt abbrechen mussten, das Geld zurückerstatten, sondern auch denjenigen, die für die Folgezeit reserviert und bereits Anzahlungen geleistet hatten.“Bis einschließlich November habe die L’Almàssera keinen einzigen Gast mehr gesehen.
Rückkehr der Gäste
„Dieser Brand hat drei Mitarbeitern den Job gekostet“
Diese schwarze Zeit ist zum Glück Vergangenheit. Viele Gäste von früher sind wieder gekommen. Ganz wichtig sei in dieser Branche ein gutes Durchhaltevermögen. „ Das hier ist eine Lebensaufgabe. Ich hatte in den vergangenen drei Jahren keinen Urlaub“, erzählt der Unternehmer. Dennoch sagt Vietze, rückblickend gesehen habe er alles richtig gemacht. Das Restaurant (geöffnet mittwochs bis sonntags von jeweils 10 bis 17 Uhr) habe sich als ein sehr gutes Standbein erwiesen, sehr viele Gäste, darunter zahlreiche Radsportler, kämen gerne zum Frühstück. Inzwischen denkt der Deutsche sogar über personelle Verstärkung zum Sommer hin nach.
Vietze versichert, er begrüße es sehr, dass vor wenigen Jahren ein weiterer Landgasthof in dem 23 Einwohner zählenden Dorf den Betrieb aufgenommen hat. „ Ich finde das toll“, sagt er. „ Ein Dorf lebt von vielen Besuchern, jedes Angebot mehr ist ein gutes Angebot. Wir sind das einzige Restaurant im Dorf. Ich freue mich über jedes neue Hotel und fände es gut, wenn es auch noch eine zweite Bar in Margarida geben würde.“Konkurrenz sei für ihn etwas Positives.
Die Touristen in Spaniens Landhotel-Gewerbe sind nach Corona zurückgekehrt. Offiziellen Erhebungen zufolge ist die Zahl der Übernachtungen in Unterkünften des Landtourismus 2023 verglichen mit dem Vorjahr um 3,7 Prozent auf 12,52 Millionen angestiegen. Dies teilt das Nationale Institut für Statistik (INE) mit, das die
Belegung von Touristenunterkünften unter die Lupe genommen hat.
Die Übernachtungszahlen haben demnach auch im vergangenen Jahr wieder zugelegt, wenn auch zögerlicher als 2022, als sie verglichen mit 2021 um sage und schreibe 22,2 Prozent in die Höhe schnellten. 2023 entschieden sich insgesamt 4,59 Millionen Personen für eine Übernachtung in einem Landhotel, das sind 4,51 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Die Beherbergungsbetriebe des Landtourismus hatten im vergangenen Jahr 164.167 Betten im Angebot, 2,71 Prozent mehr als 2022, wobei ihre Auslastung bei 20,69 Prozent lag. Dies bedeutet einen Anstieg von 1,06 Prozent gegenüber dem Vorjahr.
Begehrter Rückzugsort
Das größte Angebot an Landgasthöfen finden Reisende in den Regionen Cáceres, Asturien, Girona, Granada, Tarragona, Ávila, Teruel, Huesca und León. Am beliebtesten bei Landhotel-Urlaubern ist Castilla y León, wo im vergangenen Jahr laut einer Erhebung des INE 1,8 Millionen Übernachtungen registriert wurden – 4,2 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Das beliebteste Landhotel Spaniens befindet sich im Baskenland. Dabei handelt es sich um das Hotel Antsotegi, das in einem ehemaligen Gehöft integriert ist. Von Bergen umgeben liegt es in Etxebarria eine halbe Autostunde vom Meer entfernt. Das Hotel, in dem sich früher eine Schmiede befand, wurde 2023 mit dem Publikumspreis der Plattform Rusticae ausgezeichnet.
Ähnlich wie Michael Vietze in Margarida ergeht es Javier Alpuente und Pascual Martí in Benissivà, die in dem kleinen Örtchen, das zu dem Ortsverbund Vall de Gallinera zählt, die Casa Rural La Gallinera betreiben. Nach Corona läuft es wieder, das Landhaus mit Swimmingpool ist bei Hinterlandtouristen ein begehrter Rückzugsort. Dabei dachte das Ehepaar anfänglich nicht im Traum daran, das
Haus aus dem 18. Jahrhundert zu einen Gasthof umzugestalten, als sie das baufällige Gebäude 2000 kauften. „ Wir wollten es damals für Privatzwecke nutzen“, blickt der Spanier zu den Anfängen zurück. Doch es sei anders gekommen. Freunde des Paares waren es, die meinten, dass sich das Haus für eine Herberge doch geradezu anbieten würde. Die beiden Männer freundeten sich mit der Idee an und bauten das heruntergekommene Haus zu einem wahren Schmuckstück um. „ Javier war von Anfang an mit Begeisterung dabei und ist es immer noch“, erzählt Pascual Martí. „ Als Innenarchitekt geht er in der Rolle des Gestalters voll und ganz auf. Das steckt so sehr in ihm drin, dass er bei Freunden anfängt umzuräumen und neu zu dekorieren, wenn wir eingeladen sind.“Martí lacht. „ Er kann es einfach nicht lassen. In dem Landgasthof kann er diese Leidenschaft ausleben.“
Im Laufe der Jahre haben sich die Betreiber des Landhotels einen breiten Kundenstamm aufgebaut. „ Wir zählen zahlreiche Stammgäste zu unseren Kunden, die seit vielen Jahren immer wieder gerne zu uns kommen“, berichtet der Spanier. „ Da sind tolle Freundschaften entstanden, die dazu geführt haben, dass wir unser Konzept geändert haben.“Ursprünglich sei der Landgasthof eine Adresse nur für Erwachsene gewesen. „ Aber dann bekam das eine oder andere Paar sein erstes Kind und wir brachten es nicht fertig, ihnen den Zugang zu unserem Gasthof zu verwehren, nur weil sich ihre familiäre Situation verändert hatte und sie nun gerne mit ihrem Nachwuchs anreisen wollten.“Hinter vorgehaltener Hand fügt er hinzu: „ Zumal uns das eine oder andere Paar versichert hat, dass ihr Nachwuchs während eines romantischen Wochenendes bei uns gezeugt wurde“. So habe man entschieden, auch Kinder aufzunehmen.
Michael Vietze, Betreiber der L’Almàssera, handhabt das anders.
Er ging den umgekehrten Weg. Waren früher alle Altersgruppen in seinem Landhotel willkommen, legte er das Mindestalter vor sieben Jahren auf 16 Jahre fest. Die Philosophie seines Hauses definiert er so: „ Zwei Personen sollen die Möglichkeit haben, ungestört in entspannter Atmosphäre zur Ruhe zu kommen.“Viele seiner Gäste seien beruflich sehr eingespannt und bevorzugten ein entspanntes Ambiente.
Auszeit vom Alltag
Manuel Escrihuela aus Valencia zählt zu diesen Leuten, die die Vorteile von Landhotels, die sich dem
Konzept „ adults only“angeschlossen haben, zu schätzen wissen. „ Ich leite ein Unternehmen mit mehr als 300 Mitarbeitern und meine Frau ist Lehrerin an einem Gymnasium“, erzählt er uns. „ Unsere Kinder sind sieben und neun Jahre alt. Wir unternehmen sehr viel gemeinsam, aber so alle zwei Monate gönne ich mir mit meiner Frau auch mal ein Solo-Wochenende.“Das verbringe er am allerliebsten auf dem Land. „ Wir genießen es sehr, besonders lange Wanderungen in den Bergen machen zu können. Die dürfen dann auch gerne einen hohen Schwierigkeitsgrad haben, was mit kleinen Kindern nicht möglich ist.“
Seine Frau Marian Rodríguez nickt bejahend und fügt mit einem Augenzwinkern hinzu: „ Ich erzähle ja sicherlich nichts Neues, wenn ich sage, dass es jeder Beziehung gut tut, wenn man sich als Eltern ab und zu mal eine Auszeit von allen Verpflichtungen, das heißt auch von den Kindern, gönnt. Wir sind sicherlich keine Rabeneltern, weil wir uns diesen kleinen Luxus gelegentlich gönnen. Unsere Kinder sind gerne bei Oma und Opa, weil sie da von vorne bis hinten verwöhnt werden.“
Zurück nach Benissivà: Nach vielen Jahren, die Javier Alpuente und Pascual Martí das La Gallinera mit viel Herzblut geführt und es zu einer beliebten Adresse im Landhotel-Tourismus gemacht haben, hat sich das Paar neue Ziele gesteckt. Das Haus, das im Laufe der Jahre durch Zukäufe kontinuierlich vergrößert wurde, steht zum Verkauf, eine Nachfolgerin glauben die beiden bereits in einer Holländerin gefunden zu haben. „ Wir sind nach wie vor sehr verliebt in dieses Haus“, sagt Martí. „ Aber wir möchten freier sein, um mehr und vor allem auch länger verreisen zu können. Ich stehe kurz vor der Pensionierung und möchte nicht, dass es irgendwann so weit kommt, dass wir uns aus einer Notwendigkeit heraus von den Verpflichtungen in Benissivà trennen müssen. Jetzt tun wir es, weil wir es wollen, nicht weil wir es müssen.“
Auch Michael Vietze, in dessen liebevoll und mit viel Geschmack ausgestattetem Landhotel L’Almàssera sich gleichermaßen Spanier als auch Gäste aus dem Ausland wohl fühlen, hegt den Gedanken, sich in nicht allzu ferner Zukunft aus dem Geschäft zurückzuziehen. Der immer gut gelaunte Deutsche, für den das Wohl seiner Gäste an erster Stelle steht, sagt: „ Ich würde mich freuen, wenn sich ein jüngeres Paar finden ließe, das daran interessiert wäre, den Betrieb auf lange Sicht zu übernehmen“. Er wolle sich rechtzeitig um eine Nachfolge kümmern, weil er der Meinung sei: „ Mit der Vorbereitung auf diese Zeit kann man nicht früh genug beginnen“.