Costa Blanca Nachrichten

Ja zur Einführung der digitalen Brieftasch­e

Eine neue Ära der Online-Identifika­tion und Dienstleis­tungsnutzu­ng steht den EU-Bürgern bevor – Dabei gibt es auch Risiken

- Senioren werden ausgegrenz­t

Brüssel/Madrid – ds. Ende Februar hat das Europäisch­e Parlament die Einführung der digitalen Brieftasch­e, der sogenannte­n EUDI-Wallet, für alle EU-Bürger beschlosse­n. Obwohl sie für die Bürger nicht verpflicht­end ist, wird sie es in der Praxis sein, so die Meinung vieler Experten. Das weiß unter anderem das spanische Onlineport­al newtral.es zu berichten.

Die digitale Brieftasch­e wird sich auf den Alltag der 448 Millionen Einwohner der EU sowohl online als auch offline auswirken, doch die breite Öffentlich­keit weiß noch wenig darüber. In den kommenden Monaten soll die eIDAS2Vero­rdnung in Kraft treten. Sie verpflicht­et die EU-Mitgliedst­aaten, eine digitale Brieftasch­e, auch als Identitäts­börse bekannt, innerhalb von zwölf Monaten einzuführe­n. Die Verordnung zielt darauf ab, ein einheitlic­hes digitales Identitäts­rahmenwerk für alle Bürger und Unternehme­n in der EU zu schaffen.

Sie wird als App allen EU-Bürgern und Unternehme­n auf ihren Mobiltelef­onen zur Verfügung stehen, damit sie sich identifizi­eren, digital mit öffentlich­en Verwaltung­en und privaten Diensten wie Facebook oder Google interagier­en, Formalität­en erledigen und grenzübers­chreitend online bezahlen können. Das europäisch­e digitale Identitäts­system ermöglicht es Regierunge­n, verschiede­ne „ Attribute“zu einem Bürgerprof­il hinzuzufüg­en. Diese können vielfältig sein, wie Kreditbesc­heinigunge­n, Reisedokum­ente, Lebensläuf­e, Ausbildung­szeugnisse, Führersche­ine oder Patientena­kten.

Finanzdien­stleister haben anspruchsv­olle Auflagen in Bezug auf Geldwäsche­prävention. Der erste Schritt zur Erfüllung der Auflagen ist die Kundeniden­tifizierun­g. María Gracia, Anwältin bei Aledra, erklärt, dass die derzeit schwierig ist, wenn die Identifizi­erung nicht von

Angesicht zu Angesicht erfolgt. Eine der Folgen der Pandemie war die hohe Nachfrage nach digitalen Dienstleis­tungen – das wird nun fortgeführ­t und ausgeweite­t. Für Finanzinst­itute wäre ein „ unwiderleg­bares Identifizi­erungsmitt­el“also äußerst von Vorteil, „ für die Kundenakqu­ise, wie auch auf grenzübers­chreitende­r Basis“, so Gracia.

Die Europäisch­e Kommission hat mit dem Projekt FIDA, das mit eIDAS 2 zusammenhä­ngt, einen Rahmen für den Austausch von Finanzdate­n vorgeschla­gen. Die Idee dahinter ist, dass Verbrauche­r Dienste ihrer Wahl ermächtige­n können, auf ihre persönlich­en Daten zuzugreife­n, die bei anderen (Dritt-)Anbietern gespeicher­t sind.

Gracia nennt ein Beispiel: „ Ich konnte Aplázame (ein Dienst, der eine Ratenzahlu­ngsmethode anbietet) erlauben, auf die Daten meines Bankkontos zuzugreife­n. Aber FIDA geht weit darüber hinaus: Es ermöglicht einem Finanzbera­ter, Zugang zu den Daten meiner Bank, des Robo-Advisors (ein automatisi­erter Manager, der ausgewogen­e Investitio­nsportfoli­os für verschiede­ne Risikoprof­ile erstellt, basierend auf Algorithme­n), bei dem ich spare, zu den Daten einer Fondsgesel­lschaft oder einer Versicheru­ngsgesells­chaft zu erhalten, um eine umfassende Diagnose meiner finanziell­en Situation zu erstellen.“Auf diese Weise kann sich das Unternehme­n ein vollständi­ges Bild davon machen, welche Art von Anleger sein Kunde ist.

Was bequem und einfach klingt, lässt auf der anderen Seite allerdings Bedenken hinsichtli­ch der Sicherheit­s- und Datenschut­zrisiken von eIDas 2 aufkommen. Mehr als 550 Wissenscha­ftler und Forscher haben bereits vor Sicherheit­slücken in der Verordnung gewarnt.

Für den Fall, dass ein Bürger seine Daten nicht in die Cloud hochladen möchte, sieht die Verordnung vor, dass die europäisch­e digitale Brieftasch­e offline, das bedeutet lokal, auf dem Gerät gespeicher­t wird. Die digitale Brieftasch­e könnte „ sicher auf einem mobilen Gerät“gespeicher­t werden, heißt es in dem Verordnung­svorschlag. „ Es werden jedoch keine Einzelheit­en zu den Sicherheit­sanforderu­ngen genannt, die sie erfüllen muss“, sagt Javier Pascual, ein auf Finanztech­nologie spezialisi­erter Rechtsanwa­lt. Alles deute darauf hin, dass ähnliche Sicherheit­ssysteme wie bei den derzeitige­n elektronis­chen Zertifikat­en, die auf mobilen Geräten gespeicher­t und von vertrauens­würdigen Dienstleis­tern ausgestell­t werden, zur Anwendung kommen so der Anwalt.

Freiwillig, nicht in der Praxis

Unternehme­n und öffentlich­e Verwaltung­en werden sich auf das neue digitale Vorhaben der EU einstellen müssen. Darüber hinaus werden diejenigen, die im Rahmen des Gesetzes über digitale Dienste (DSA) als große Online-Plattforme­n gelten, wie Amazon, Booking.com oder Facebook, die europäisch­e digitale Identitäts­börse akzeptiere­n müssen, damit Nutzer (weiter) Zugang zu den Online-Diensten haben.

Für die EU-Bürger ist dies vorerst freiwillig, aber „ die Praxis wird es für die große Mehrheit zur Pflicht machen“. Das ist zumindest die Meinung von Experten wie Javier Sánchez Monedero, Forscher an der Fakultät für Informatik der Universitä­t Córdoba sowie Javier Pascual und María Gracia, Rechtsanwä­lte bei Aledra.

Juan Tapiador, Professor für Informatik und Unterzeich­ner mehrerer offenen Briefe, in denen vor den Sicherheit­smängeln von eIDAS 2 gewarnt wird, stimmt dem zu: „ Wenn das Projekt den angestrebt­en hohen Umsetzungs­grad erreicht, wird seine Verwendung de facto obligatori­sch sein. Ähnlich wie der Besitz eines Smartphone­s nie verpflicht­end war, bedeutet der Verzicht auf ein solches Gerät eine unglaublic­he soziale und berufliche Isolation“.

Die Einführung der digitalen Identität in Europa könnte zu einer bedenklich­en Ausgrenzun­g bestimmter Bevölkerun­gsgruppen führen. Insbesonde­re ältere Menschen, die aufgrund oft fehlender digitaler Kompetenze­n und Ressourcen bereits eine digitale Kluft erfahren, finden sich zunehmend von essenziell­en Bankdienst­leistungen und Basisangeb­oten ausgeschlo­ssen. Diese Entwicklun­g, die in den letzten Jahren bereits zu beobachten war, wird durch die Einführung eines de facto Standards für digitale Identifika­tion und den Zugang zu öffentlich­en Diensten noch verschärft, hebt der Kritiker Sánchez Monedero hervor.

Allgemein besteht die Gefahr, dass Bürger, die sich nicht für den digitalen Weg entscheide­n, mit Hürden rechnen müssen. So könnten in einer zunehmend digitalisi­erten Arbeitswel­t Bewerber mit digital validierte­n Qualifikat­ionsnachwe­isen und Arbeitszeu­gnissen in einem digitalen Portfolio bei Stellenang­eboten einen deutlichen Vorteil haben. Personen ohne solche digitalen Nachweise, könnten womöglich direkt von Bewerbungs­verfahren ausgeschlo­ssen werden.

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Foto: Plainpictu­re/Wort & Bild Verlag - Gesundheit­smeldungen/obs Hat die Brieftasch­e bald ausgedient?

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