Dicke Schale, süße Frucht
Bereits die Römer kultivierten in der Gegend von Gaucín Wein – Ein schwedischer Winzer folgt ihren Spuren
Eine zwei Meter lange Theke, drei Barhocker und ein Fernseher in der Ecke. Karg ist die Einrichtung der Bar La Fragua in der Calle San Juan de Díos in Gaucín. Antonios Welt misst vier Mal zehn Meter. Mit einem Augenzwinkern prostet der Wirt Juan Jesús Hidalgo zu. Antonio genehmigt sich gern einen Sherry. Dabei wachsen auf den Schieferböden der Serranía von Ronda auch solche Trauben, die das Elixier der Weine eines schwedischen Winzers bilden.
Suche nach dem idealen Wein
Hidalgo, Journalist und Stadtrat der Vereinigten Linken (IU), kennt den Zugezogenen. Als der Name Rickard Enkvist fällt, kann er ein Schmunzeln nicht verkneifen. „Als ich ihn zum ersten Mal sah, dachte ich sofort, dass Gaucín nun auch sein eigenes ,Falcon Crest‘ (USamerikanische Serie, die das Thema Weinanbau behandelte, Anm. d. Red.) hat“, sagt er und bestellt eine Flasche Bier. Karl Rickard Enkvist weiß nur zu gut, dass ihn einige der Dorfbewohner als „sueco loco“(verrückter Schwede) bezeichnen. Bis zu fünf Monate im Jahr lebt er in Gaucín, die restliche Zeit in Schweden. 1990 kaufte er rund vier Kilometer von Gaucín entfernt Land, baute darauf ein stattliches Haus und begann, Wein anzubauen.
Mit zwei Weinflaschen im Arm bittet der Önologe José Manuel Cozar Cabañas in das Reich des Winzers. Die Tür fällt ins Schloss. Der Raum erinnert mit seinen hohen Decken und dem gemauerten Kamin mit bronzenem Wappen an ein Burgzimmer. Eine Flügeltür gibt den Blick frei auf die Berge, die sich unterhalb des Weinguts entfalten. Am Horizont sind schemenhaft Ceuta, Marokko, Gibraltar und die Orte Algeciras und Jimena de la Frontera zu erkennen. Mit behäbigen Schritten steigt Enkvist eine ausladende Treppe herunter.
Enkvist hat sich sein überschaubares Wein-Imperium nicht aufgebaut, weil er als 74-Jähriger nicht weiß, was er mit seiner Freizeit anfangen soll. Er ist ein Vollblutgeschäftsmann. Mit der Materie Wein befasste er sich schon in jungen Jahren, als er seinem Vater dabei half, Obstwein zu keltern. Jahrelang arbeitete er für das Medienunternehmen Tempus Group. Er kam viel herum und kostete sich weltweit durch die verschiedensten Weinjahrgänge. Wie JeanBaptiste Grenouille, der im Buch „Das Parfum“von Patrick Süßkind die optimale duftende Essenz zu kreieren trachtet, begab sich auch Enkvist auf die Suche nach dem idealen Wein.
Auf Weinreisen durch die USA, Argentinien, Chile und Südafrika eignete er sich Wissen an. Ihn faszinierten die spanischen Weine aus den Anbaugebieten La Rioja, Ribera del Duero und Malpica Toledo. Schon bald bewies er den richtigen Riecher. Der Tinto Pesquera des Winzers Alexandro Fernández hatte es ihm angetan. Noch bevor der US-amerikanische Weinkritiker Robert Parker diesen Wein entdeckt hatte, kaufte Enkvist so viele Flaschen, wie er sich leisten konnte. Parker sollte dem Tinto Pesquera später 98 Punkte geben. In dem von ihm geschaffenen Bewertungssystem entspricht dies der Note „außerordentlich“. Die Preise stiegen und Enkvist freute sich, Parker ausgestochen zu haben.
Bei einer Weinprobe reagierte ein Winzer genervt auf Enkvists bohrende Fragen und entgegnete in sarkastischem Ton, warum der Se
In Gaucín nannten die Einwohner Enkvist anfangs „sueco loco“weil er so weit im Süden Tempranillo anbaute
ñor Enkvist denn nicht seinen eigenen Wein produziere. Er hatte Enkvist auf eine Idee gebracht. Den idealen Platz für sein Vorhaben fand er 680 Meter über dem Meer. Die Einheimischen nannten ihn seitdem „sueco loco“, da sie es für unmöglich hielten, so weit im Süden Tempranillo anzubauen. Soweit Enkvist wisse, gebe es keinen zweiten Winzer in Europa, der auf diesem Breitengrad Tempranillo-Trauben anbaut.
Enkvist deutet mit einer ausschweifenden Handbewegung auf die Reben. „Schon die Römer haben hier in der Sierra de la Bota Wein angebaut“, sagt der Schwede. Das Anbaugebiet liegt gut geschützt zwischen den beiden Flüssen Río Guadiaro und Río Genal und der Boden besteht größtenteils aus Kalkschiefer, so wie auch im Anbaugebiet La Rioja.
Hoher Zuckergehalt
Die Felder sind gen Westen Richtung Atlantik ausgerichtet, wodurch sie vormittags von den Bergen geschützt werden. Im Winter liegt auf den Hügeln oft Schnee und es herrschen große Temperaturunterschiede. Dadurch bilden die Trauben eine dicke Schale und verleihen dem Wein so eine intensive, kräftige Farbe. Die langen, warmen Sommer und ein besonderes Mikroklima sorgen dafür, dass die Trauben optimal reifen und einen hohen Zuckergehalt aufweisen. Sein erster Rebsaft, Sueños 2004, gewann 2008 bei der Weinprämierung „VinOjén“in Ojén den ersten Preis.
Dies bestärkte Enkvist darin, auf dem richtigen Weg zu sein. Seitdem gewannen die Weine unterschiedliche nationale und internationale Auszeichnungen und Medaillen. Anfang Mai hat sein Wein Sueños Reserva 2009 als einziger andalusischer Rotwein beim Weinwettbewerb Concours Mondial de Bruxelles in Brüssel eine Goldmedaille gewonnen.
An einigen Reben sind bereits die ersten Knospen zu erkennen.
Gepflückt werden die Trauben stets Ende September von Hand. Enkvist baut auf seinen Weinfeldern ausschließlich die Rebsorte Tempranillo an. Muskateller-, Cabernet und Petit-Verdot-Trauben erntet er auf den Anbauflächen benachbarter Winzer. Nach der Ernte kommen die Trauben in Kunststoffkästen, die höchstens zwölf Kilogramm fassen, damit die Früchte durch das Gewicht nicht zerquetscht werden.
Unterhalb des Wohnhauses wird der Wein gekeltert. Der Önologe Cozar deutet auf drei Edelstahltanks. „Um möglichst viel Farbe zu extrahieren, werden spezielle Pumpen bei einem Teil der Trauben für die Remontage eingesetzt“, erklärt der Weinexperte. Dies meint das Überfluten des Tresterhutes beim Keltern von Rotwein und wird auf Deutsch als Überschwallverfahren bezeichnet. Die Remontage ist notwendig, da
Farbstoffe, Tannine und Aromen in den Beerenschalen enthalten sind, die optimal extrahiert werden sollen. Die festen Bestandteile, also Beerenhäute und Traubenkerne, werden im Zuge der Maischegärung in den Gärbottichen durch das entstehende Kohlendioxid nach oben getragen und bilden auf der Oberfläche den sogenannten Tresterhut. Kontinuierlich wird bei der Remontage Jungwein aus dem Gärbehälter abgeleitet und der Tresterhut von oben damit benetzt. Auf diese Weise wird der Tresterhut ausreichend angefeuchtet und der gärende Most durchmischt und belüftet.
Um den fruchtigen Geschmack und ein intensives Aroma zu erhalten, „remontiert“Cozar andere Trauben mit Kohlendioxid. Vor einer zweiten Fermentierung wird der Wein vermischt und lagert vor der Etikettierung ein bis zwei Jahre in neuen französischen Eichenfässern.
Informationen:
Der Rotwein ist ungefiltert. Erst nach und nach schwindet die Trübung in den Stahl- und Eichenfässern.
Hühner picken zwischen Reben
Hühner suchen hektisch pickend nach Insekten unter den Reben. Bald sollen Schafe zwischen den Reben das Bohnenkraut fressen. Enkvist hat die Bohnen ausgesät, damit sie den PH-Wert des Bodens regulieren. Die Schafe halten auch das Gras kurz, wodurch im Sommer die Waldbrandgefahr sinkt. Enkvist hat einen eigenen Bienenschwarm, für den er Rosmarin und Lavendel angepflanzt hat. Sie bestäuben die Felder. Pestizide kennen Enkvists Reben nicht, denn seine Weine sind alle mit dem Zertifikat des Andalusischen Ausschusses für Ökologischen Landbau, CAAE, ausgezeichnet. Von jeder Weinsorte produziert Enkvist pro Jahr bis zu 4.000 Flaschen. Die
Weine exportiert er nach England, in die Schweiz, nach Dänemark, Schweden und Norwegen.
Cozar öffnet die Tür einer Kapelle, die wirkt, als stehe sie schon seit Jahrhunderten an dieser Stelle. Dabei hat Enkvist sie erst in den 90er Jahren zusammen mit seinem Haus gebaut. Jedes Geräusch wird von den dicken Mauern verschluckt. Hier sollen sich die Besucher bei den Weinproben allein auf ihren Geschmackssinn konzentrieren. Enkvist lehnt sich am Parkplatz gegen die Ballustrade und blickt in Gedanken versunken ins Tal. Er hat dort angeknüpft, wo die Römer vor über 2.000 Jahren aufgehört hatten. Im Gegensatz zu Angela Gioberti Channing, der Winzerin und Clanchefin in „Falcon Crest“, braucht sich Enkvist nicht zu sorgen, dass ihn andere Winzer übertrumpfen. Noch ist der „sueco loco“in der Sierra de las Botas der bedeutendste Weinbauer.