Wie sich Corona überträgt
Ansteckung kann auch über Aersole in der Luft erfolgen – Wo die Gefahr einer Infektion am größten ist
Was viele Wissenschaftler längst befürchtet haben, ist mittlerweile bewiesen: Das Coronavirus überträgt sich über die Luft, wie die Weltgesundheitsorganisation (WHO) bestätigt. Und zwar immer dann, wenn ein Infizierter ausatmet und dabei winzige virushaltige Partikel in die Luft gelangen. Besonders groß ist die Ansteckungsgefahr über Aerosole in geschlossenen, ungelüfteten Räumen.
Aerosole sind Partikel, die so winzig klein sind, dass sie der Schwerkraft trotzen und minutenoder sogar stundenlang in der Luft bleiben können. Theoretisch kann sich also ein gesunder Mensch mit dem Coronavirus anstecken, wenn er einen Raum betritt, in dem sich zeitgleich oder sogar vorher ein Infizierter aufgehalten hat. Über die Frage, wie groß die Gefahr einer Ansteckung über die Luft tatsächlich ist, sind die Wissenschaftler unterschiedlicher Meinung.
Die Gefahr einer Corona-Ansteckung
über die Luft erhöht sich, wenn eine infizierte Person nicht nur spricht, sondern schreit oder singt. Wenn ein Mensch laut ruft, schleudert er bis zu 50 Mal so viele Partikel in die Luft wie wenn er schweigt. Wenn diese ausgestoßenen Aerosole nicht durch gute Lüftung zerstreut werden, erhöht sich die Gefahr einer Ansteckung enorm.
Aerosole oder Tröpfchen
Neben der Ansteckung über die Luft verbreitet sich das Coronavirus auch über die Tröpfcheninfektion. Im Gegensatz zu Aerosolen sind Tröpfchen schwerer und sinken in kurzer Zeit zu Boden. Die Gefahr einer Covid-Ansteckung über Tröpfchen ist also eher über den direkten Kontakt mit einem Infizierten gegeben: Wenn ein Betroffener hustet oder ausatmet und virenhaltige Tröpfchen in die Schleimhäute einer gesunden Person gelangen, kann sich diese anstecken.
Der dritte Ansteckungsweg ist der über Oberflächen: Forscher haben nachgewiesen, dass das Coronavirus auf Gegenständen überlebt. Theoretisch besteht also die Gefahr einer Ansteckung nicht nur über die Luft und über Tröpfchen, sondern auch, wenn eine gesunde Person eine Oberfläche berührt, die zuvor ein Kranker angefasst hat. Allerdings ist laut dem Europäischen Zentrum für die Prävention und Kontrolle von Krankheiten bislang kein einziger Fall einer solchen Übertragung bekannt.
Zurück zur Corona-Ansteckung über Aerosole in der Luft. Die Zeitung „El País“hat mehrere Szenarien durchgespielt und dabei Berechnungen eines Teams von Wissenschaftlern unter der Leitung des Professors José Luis Jiménez von der Universität Colorado als Grundlage verwendet. Der Chemiker ist Experte für die Ausbreitung von Partikeln in der Luft und hat einen Simulator entwickelt, der messbare Faktoren berücksichtigt, um das Verhalten von Partikeln in der Luft unter verschiedenen Voraussetzungen
vorherzusagen.
Für die Entwicklung des Simulators haben die Forscher reale Corona-Ausbrüche untersucht, bei denen die Ansteckungswege nachvollzogen werden konnten. Das Modell ist zwar nicht hundertprozentig zuverlässig, da es auf noch nicht ganz ausgereiften Daten basiert und bei jedem Szenario nicht kalkulierbare Faktoren eine Rolle spielen. Aber es gibt eine Vorstellung davon, wo und unter welchen Voraussetzungen die Gefahr einer Ansteckung am größten ist – und darüber, wie sich das Risiko der Ansteckung über die Luft reduzieren lässt.
Das erste Szenario ist der 55 Quadratmeter große Speisesaal eines Restaurants. Darin halten sich 18 Personen auf, darunter ein Corona-Infizierter, keiner trägt Maske. Nach vier Stunden ohne Lüftung oder andere Maßnahmen hätten sich laut den Berechnungen 14 weitere Menschen über Aerosole in der Luft angesteckt.
Wenn alle Gäste und Angestellten eine Schutzmaske tragen würden, hätten sich in demselben Zeitraum nur die Hälfte, nämlich sieben Personen, mit dem Coronavirus angesteckt. Deutlich reduziert sich die Ansteckungsgefahr, wenn die Luft zirkulieren kann: Wenn zur getragenen Schutzmaske noch eine gute Durchlüftung hinzugefügt und der Zeitraum auf zwei Stunden reduziert wird, hätte der Infizierte in dem Restaurant lediglich sein direktes Gegenüber am selben Tisch angesteckt.
Eine Ansteckung ist selbst dann möglich, wenn der Infizierte nicht mehr im Raum ist
Wie gefährlich sind Schulen?
Ebenfalls als große Gefahrenzonen für die Ansteckung mit dem Coronavirus gelten Schulen. In Spanien widerlegen die Fakten die Theorie, dass Schüler potenzielle Virenschleudern sind: Derzeit sind le
diglich sechs Prozent der neuen Infektionen in Spanien auf Bildungszentren zurückzuführen. Die valencianische Landesregierung hat erst diese Woche mitgeteilt, dass 98,8 Prozent aller Schüler auch die achte Schulwoche seit dem Ende der Sommerferien ohne Zwischenfälle hinter sich gebracht haben. Doch wie groß ist die Gefahr einer Ansteckung im Klassenzimmer laut dem Simulator?
Grundsätzlich geht mehr Gefahr vom Lehrer aus als von den Schülern, schon allein wegen des Umstands, dass der Lehrer wesentlich mehr – und oft auch wesentlich lauter – spricht und somit mehr Partikel in die Luft gelangen. „El País“geht von einem 54 Quadratmeter großen Klassenzimmer aus, in dem 24 Schüler sitzen und eine Lehrerin mit Covid-19, niemand trägt eine Schutzmaske. Nach zwei Stunden bei geschlossenen Fenstern und ohne Lüftungsanlage hätten sich zwölf Schüler angesteckt.
Besser mit Maske und Lüftung
Würden alle Schüler und die Lehrerin eine Schutzmaske tragen, hätten sich im selben Zeitraum lediglich fünf Kinder über Aerosole in der Luft infiziert. Bei geöffneten Fenstern, geöffneter Tür und einem reduzierten Zeitraum von nur einer Stunde hätte sich lediglich ein Schüler mit Covid-19 angesteckt. Um die Gefahr der Ansteckung in Schulen zu reduzieren, hat die spanische Regierung bereits angeordnet, die Fenster in den Klassenzimmern auch im Winter geöffnet zu lassen.
Bei den gezeigten Beispielen ist eins deutlich ablesbar: Es gibt Schutzmaßnahmen, die die Gefahr einer Ansteckung über die Luft deutlich verringern. Dazu zählt das Tragen einer Schutzmaske und eine ausreichende Lüftung. Der Mindestabstand wurde bei beiden Szenarien eingehalten, was die Ansteckungsgefahr über eine Tröpfcheninfektion – aber eben nicht die Infektion über die Luft – deutlich verringert. Im Freien dagegen lösen sich Aerosole schnell auf und die Ansteckung über die Luft ist eher unwahrscheinlich. Doch auch hier ist der Mindestabstand fundamental: Wenn zwei Personen dicht beieinander stehen, steigt wieder die Gefahr einer Tröpfcheninfektion.
Ein Paradebeispiel für die Ansteckung über die Luft kommt übrigens aus Washington. Dort konnten Wissenschaftler einen Infektionsherd beobachten, der bei einer Chorprobe in einem ungelüfteten Raum entstand. 61 Sänger nahmen teil, darunter ein Infizierter. Trotz Einhaltung des Sicherheitsabstands und der Hygieneregeln – bis auf die Maskenpflicht – steckten sich während der zweieinhalb Stunden dauernden Probe 53 Chormitglieder an, darunter auch Sänger, die bis zu 14 Meter von der infizierten Person entfernt gestanden hatten. Zwei Menschen starben.
In Spanien sind mit fast 60 Prozent die meisten Coronavirus-Infektionsherde auf soziale Kontakte zurückzuführen. Beim Paella-Essen mit der Familie geraten Maskenpflicht und Mindestabstand schnell in Vergessenheit, hier ist die Ansteckungsgefahr mit am größten. Nicht zuletzt deshalb gilt auch das Verbot, dass nicht mehr als sechs Menschen zusammenkommen dürfen, wenn nicht alle im selben Haushalt leben.
Die meisten Bars und Restaurants dagegen haben umfangreiche Sicherheitskonzepts ausgearbeitet und für zusätzliche Lüftungsmöglichkeiten gesorgt. Nur knapp fünf Prozent der neuen Covid-Infizierten in Spanien haben sich in einem Lokal angesteckt.
Die Ärztevereinigung AMT in Texas hat bereits im Juli ein Ranking erstellt, wo und wie sich die Menschen am ehesten mit Covid-19 anstecken. Darin führen die Experten 37 Aktivitäten auf und haben sie nach der Höhe des Risikos einer CoronaAnsteckung sortiert. Die Ärzte aus Texas nutzen ein Farbschema, um das Risiko zu unterscheiden: Grün bedeutet eine geringe Gefahr, Dunkelrot ein sehr großes Risiko. Zu den Aktivitäten mit einer geringen Ansteckungsgefahr gehören beispielsweise Tennisspielen – im Gegensatz zu anderen Sportarten mit mehr Körperkontakt –, der Aufenthalt auf einem Campingplatz oder das Abholen von Speisen in einer Bar.
Mittelgroß ist die Gefahr, sich mit dem Coronavirus anzustecken bei Sportarten wie Golf oder Fahrradfahren (in Gruppen), bei einem Museumsbesuch, im Wartezimmer beim Arzt oder beim Einkauf in einem Geschäft. Bei der Erstellung des Rankings sind die Wissenschaftler immer davon ausgegangen, dass sich die Personen an die allgemein gültigen Covid-Auflagen halten: Schutzmaske, Sicherheitsabstand von zwei Metern und häufiges Händewaschen.
Immer noch ein mittelgroßes Risiko – aber eine etwas größere Gefahr – stellen ein gemeinsames Abendessen bei Freunden zu Hause, der Schulbesuch der Kinder, eine Woche lang arbeiten im Büro oder eine Umarmung dar. Die dritte Stufe, also ein mittelbis großes Ansteckungsrisiko gibt es laut dem Farbschema bei einem Restaurantbesuch, bei der Teilnahme an einer Hochzeit oder Beerdigung und im Flugzeug. Virologen aus Frankfurt kommen allerdings zu einem anderen Schluss: Sie stufen das Risiko einer Corona-Ansteckung während einer Flugreise als „wahrscheinlich gering“ein.
Am größten ist die Gefahr einer Corona-Ansteckung laut dem Schema bei einem Stadionbesuch oder im Fitnessstudio – und in der Kneipe. Zumindest um letztere muss man sich in Spanien keine Sorgen machen – das Nachtleben steht still, Diskotheken und Pubs dürfen nicht öffnen.
Bei dem Ranking der texanischen Ärzte handelt es sich um eine sehr allgemeine Risikotabelle mit einer Gefahreneinstufung von 1 bis 9. Nicht alle Wissenschaftler sind sich allerdings einig über das unterschiedlich hohe Risiko. Das deutsche Robert Koch Institut etwa kommt nach der Verfolgung von Infektionsherden teils zu anderen Schlüssen. Zuletzt etwa stellte das RKI vermehrt Corona-Ausbrüche am Arbeitsplatz fest, nachdem viele Angestellte nicht mehr im Homeoffice, sondern wieder vor Ort im Unternehmen arbeiteten.
Auch in Spanien ist immer wieder die Rede von Infektionsherden am Arbeitsplatz, mehrere der Corona-Ausbrüche im Hotspot Elche etwa sind auf das Arbeitsumfeld zurückzuführen. Die meisten Corona-Ausbrüche – und somit auch die größte Gefahr, sich mit Covid-19 anzustecken – beobachtet aber auch das Robert Koch Institut im privaten Umfeld.
Lüftung, Maske und Abstand verringern die Ansteckungsgefahr erheblich