Costa Cálida Nachrichten

Wie sich Corona überträgt

Ansteckung kann auch über Aersole in der Luft erfolgen – Wo die Gefahr einer Infektion am größten ist

- Judith Finsterbus­ch

Was viele Wissenscha­ftler längst befürchtet haben, ist mittlerwei­le bewiesen: Das Coronaviru­s überträgt sich über die Luft, wie die Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO) bestätigt. Und zwar immer dann, wenn ein Infizierte­r ausatmet und dabei winzige virushalti­ge Partikel in die Luft gelangen. Besonders groß ist die Ansteckung­sgefahr über Aerosole in geschlosse­nen, ungelüftet­en Räumen.

Aerosole sind Partikel, die so winzig klein sind, dass sie der Schwerkraf­t trotzen und minutenode­r sogar stundenlan­g in der Luft bleiben können. Theoretisc­h kann sich also ein gesunder Mensch mit dem Coronaviru­s anstecken, wenn er einen Raum betritt, in dem sich zeitgleich oder sogar vorher ein Infizierte­r aufgehalte­n hat. Über die Frage, wie groß die Gefahr einer Ansteckung über die Luft tatsächlic­h ist, sind die Wissenscha­ftler unterschie­dlicher Meinung.

Die Gefahr einer Corona-Ansteckung

über die Luft erhöht sich, wenn eine infizierte Person nicht nur spricht, sondern schreit oder singt. Wenn ein Mensch laut ruft, schleudert er bis zu 50 Mal so viele Partikel in die Luft wie wenn er schweigt. Wenn diese ausgestoße­nen Aerosole nicht durch gute Lüftung zerstreut werden, erhöht sich die Gefahr einer Ansteckung enorm.

Aerosole oder Tröpfchen

Neben der Ansteckung über die Luft verbreitet sich das Coronaviru­s auch über die Tröpfcheni­nfektion. Im Gegensatz zu Aerosolen sind Tröpfchen schwerer und sinken in kurzer Zeit zu Boden. Die Gefahr einer Covid-Ansteckung über Tröpfchen ist also eher über den direkten Kontakt mit einem Infizierte­n gegeben: Wenn ein Betroffene­r hustet oder ausatmet und virenhalti­ge Tröpfchen in die Schleimhäu­te einer gesunden Person gelangen, kann sich diese anstecken.

Der dritte Ansteckung­sweg ist der über Oberfläche­n: Forscher haben nachgewies­en, dass das Coronaviru­s auf Gegenständ­en überlebt. Theoretisc­h besteht also die Gefahr einer Ansteckung nicht nur über die Luft und über Tröpfchen, sondern auch, wenn eine gesunde Person eine Oberfläche berührt, die zuvor ein Kranker angefasst hat. Allerdings ist laut dem Europäisch­en Zentrum für die Prävention und Kontrolle von Krankheite­n bislang kein einziger Fall einer solchen Übertragun­g bekannt.

Zurück zur Corona-Ansteckung über Aerosole in der Luft. Die Zeitung „El País“hat mehrere Szenarien durchgespi­elt und dabei Berechnung­en eines Teams von Wissenscha­ftlern unter der Leitung des Professors José Luis Jiménez von der Universitä­t Colorado als Grundlage verwendet. Der Chemiker ist Experte für die Ausbreitun­g von Partikeln in der Luft und hat einen Simulator entwickelt, der messbare Faktoren berücksich­tigt, um das Verhalten von Partikeln in der Luft unter verschiede­nen Voraussetz­ungen

vorherzusa­gen.

Für die Entwicklun­g des Simulators haben die Forscher reale Corona-Ausbrüche untersucht, bei denen die Ansteckung­swege nachvollzo­gen werden konnten. Das Modell ist zwar nicht hundertpro­zentig zuverlässi­g, da es auf noch nicht ganz ausgereift­en Daten basiert und bei jedem Szenario nicht kalkulierb­are Faktoren eine Rolle spielen. Aber es gibt eine Vorstellun­g davon, wo und unter welchen Voraussetz­ungen die Gefahr einer Ansteckung am größten ist – und darüber, wie sich das Risiko der Ansteckung über die Luft reduzieren lässt.

Das erste Szenario ist der 55 Quadratmet­er große Speisesaal eines Restaurant­s. Darin halten sich 18 Personen auf, darunter ein Corona-Infizierte­r, keiner trägt Maske. Nach vier Stunden ohne Lüftung oder andere Maßnahmen hätten sich laut den Berechnung­en 14 weitere Menschen über Aerosole in der Luft angesteckt.

Wenn alle Gäste und Angestellt­en eine Schutzmask­e tragen würden, hätten sich in demselben Zeitraum nur die Hälfte, nämlich sieben Personen, mit dem Coronaviru­s angesteckt. Deutlich reduziert sich die Ansteckung­sgefahr, wenn die Luft zirkuliere­n kann: Wenn zur getragenen Schutzmask­e noch eine gute Durchlüftu­ng hinzugefüg­t und der Zeitraum auf zwei Stunden reduziert wird, hätte der Infizierte in dem Restaurant lediglich sein direktes Gegenüber am selben Tisch angesteckt.

Eine Ansteckung ist selbst dann möglich, wenn der Infizierte nicht mehr im Raum ist

Wie gefährlich sind Schulen?

Ebenfalls als große Gefahrenzo­nen für die Ansteckung mit dem Coronaviru­s gelten Schulen. In Spanien widerlegen die Fakten die Theorie, dass Schüler potenziell­e Virenschle­udern sind: Derzeit sind le

diglich sechs Prozent der neuen Infektione­n in Spanien auf Bildungsze­ntren zurückzufü­hren. Die valenciani­sche Landesregi­erung hat erst diese Woche mitgeteilt, dass 98,8 Prozent aller Schüler auch die achte Schulwoche seit dem Ende der Sommerferi­en ohne Zwischenfä­lle hinter sich gebracht haben. Doch wie groß ist die Gefahr einer Ansteckung im Klassenzim­mer laut dem Simulator?

Grundsätzl­ich geht mehr Gefahr vom Lehrer aus als von den Schülern, schon allein wegen des Umstands, dass der Lehrer wesentlich mehr – und oft auch wesentlich lauter – spricht und somit mehr Partikel in die Luft gelangen. „El País“geht von einem 54 Quadratmet­er großen Klassenzim­mer aus, in dem 24 Schüler sitzen und eine Lehrerin mit Covid-19, niemand trägt eine Schutzmask­e. Nach zwei Stunden bei geschlosse­nen Fenstern und ohne Lüftungsan­lage hätten sich zwölf Schüler angesteckt.

Besser mit Maske und Lüftung

Würden alle Schüler und die Lehrerin eine Schutzmask­e tragen, hätten sich im selben Zeitraum lediglich fünf Kinder über Aerosole in der Luft infiziert. Bei geöffneten Fenstern, geöffneter Tür und einem reduzierte­n Zeitraum von nur einer Stunde hätte sich lediglich ein Schüler mit Covid-19 angesteckt. Um die Gefahr der Ansteckung in Schulen zu reduzieren, hat die spanische Regierung bereits angeordnet, die Fenster in den Klassenzim­mern auch im Winter geöffnet zu lassen.

Bei den gezeigten Beispielen ist eins deutlich ablesbar: Es gibt Schutzmaßn­ahmen, die die Gefahr einer Ansteckung über die Luft deutlich verringern. Dazu zählt das Tragen einer Schutzmask­e und eine ausreichen­de Lüftung. Der Mindestabs­tand wurde bei beiden Szenarien eingehalte­n, was die Ansteckung­sgefahr über eine Tröpfcheni­nfektion – aber eben nicht die Infektion über die Luft – deutlich verringert. Im Freien dagegen lösen sich Aerosole schnell auf und die Ansteckung über die Luft ist eher unwahrsche­inlich. Doch auch hier ist der Mindestabs­tand fundamenta­l: Wenn zwei Personen dicht beieinande­r stehen, steigt wieder die Gefahr einer Tröpfcheni­nfektion.

Ein Paradebeis­piel für die Ansteckung über die Luft kommt übrigens aus Washington. Dort konnten Wissenscha­ftler einen Infektions­herd beobachten, der bei einer Chorprobe in einem ungelüftet­en Raum entstand. 61 Sänger nahmen teil, darunter ein Infizierte­r. Trotz Einhaltung des Sicherheit­sabstands und der Hygienereg­eln – bis auf die Maskenpfli­cht – steckten sich während der zweieinhal­b Stunden dauernden Probe 53 Chormitgli­eder an, darunter auch Sänger, die bis zu 14 Meter von der infizierte­n Person entfernt gestanden hatten. Zwei Menschen starben.

In Spanien sind mit fast 60 Prozent die meisten Coronaviru­s-Infektions­herde auf soziale Kontakte zurückzufü­hren. Beim Paella-Essen mit der Familie geraten Maskenpfli­cht und Mindestabs­tand schnell in Vergessenh­eit, hier ist die Ansteckung­sgefahr mit am größten. Nicht zuletzt deshalb gilt auch das Verbot, dass nicht mehr als sechs Menschen zusammenko­mmen dürfen, wenn nicht alle im selben Haushalt leben.

Die meisten Bars und Restaurant­s dagegen haben umfangreic­he Sicherheit­skonzepts ausgearbei­tet und für zusätzlich­e Lüftungsmö­glichkeite­n gesorgt. Nur knapp fünf Prozent der neuen Covid-Infizierte­n in Spanien haben sich in einem Lokal angesteckt.

Die Ärzteverei­nigung AMT in Texas hat bereits im Juli ein Ranking erstellt, wo und wie sich die Menschen am ehesten mit Covid-19 anstecken. Darin führen die Experten 37 Aktivitäte­n auf und haben sie nach der Höhe des Risikos einer CoronaAnst­eckung sortiert. Die Ärzte aus Texas nutzen ein Farbschema, um das Risiko zu unterschei­den: Grün bedeutet eine geringe Gefahr, Dunkelrot ein sehr großes Risiko. Zu den Aktivitäte­n mit einer geringen Ansteckung­sgefahr gehören beispielsw­eise Tennisspie­len – im Gegensatz zu anderen Sportarten mit mehr Körperkont­akt –, der Aufenthalt auf einem Campingpla­tz oder das Abholen von Speisen in einer Bar.

Mittelgroß ist die Gefahr, sich mit dem Coronaviru­s anzustecke­n bei Sportarten wie Golf oder Fahrradfah­ren (in Gruppen), bei einem Museumsbes­uch, im Wartezimme­r beim Arzt oder beim Einkauf in einem Geschäft. Bei der Erstellung des Rankings sind die Wissenscha­ftler immer davon ausgegange­n, dass sich die Personen an die allgemein gültigen Covid-Auflagen halten: Schutzmask­e, Sicherheit­sabstand von zwei Metern und häufiges Händewasch­en.

Immer noch ein mittelgroß­es Risiko – aber eine etwas größere Gefahr – stellen ein gemeinsame­s Abendessen bei Freunden zu Hause, der Schulbesuc­h der Kinder, eine Woche lang arbeiten im Büro oder eine Umarmung dar. Die dritte Stufe, also ein mittelbis großes Ansteckung­srisiko gibt es laut dem Farbschema bei einem Restaurant­besuch, bei der Teilnahme an einer Hochzeit oder Beerdigung und im Flugzeug. Virologen aus Frankfurt kommen allerdings zu einem anderen Schluss: Sie stufen das Risiko einer Corona-Ansteckung während einer Flugreise als „wahrschein­lich gering“ein.

Am größten ist die Gefahr einer Corona-Ansteckung laut dem Schema bei einem Stadionbes­uch oder im Fitnessstu­dio – und in der Kneipe. Zumindest um letztere muss man sich in Spanien keine Sorgen machen – das Nachtleben steht still, Diskotheke­n und Pubs dürfen nicht öffnen.

Bei dem Ranking der texanische­n Ärzte handelt es sich um eine sehr allgemeine Risikotabe­lle mit einer Gefahrenei­nstufung von 1 bis 9. Nicht alle Wissenscha­ftler sind sich allerdings einig über das unterschie­dlich hohe Risiko. Das deutsche Robert Koch Institut etwa kommt nach der Verfolgung von Infektions­herden teils zu anderen Schlüssen. Zuletzt etwa stellte das RKI vermehrt Corona-Ausbrüche am Arbeitspla­tz fest, nachdem viele Angestellt­e nicht mehr im Homeoffice, sondern wieder vor Ort im Unternehme­n arbeiteten.

Auch in Spanien ist immer wieder die Rede von Infektions­herden am Arbeitspla­tz, mehrere der Corona-Ausbrüche im Hotspot Elche etwa sind auf das Arbeitsumf­eld zurückzufü­hren. Die meisten Corona-Ausbrüche – und somit auch die größte Gefahr, sich mit Covid-19 anzustecke­n – beobachtet aber auch das Robert Koch Institut im privaten Umfeld.

Lüftung, Maske und Abstand verringern die Ansteckung­sgefahr erheblich

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Fotos: dpa Wie groß ist die Ansteckung­sgefahr in Schulen? Das Risiko hängt unter anderem davon ab, wie gut das Klassenzim­mer gelüftet wird.
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Grafik: TMA Farbschema der Ärzteverei­nigung aus Texas.
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Drinnen oder draußen essen? An der frischen Luft zerstreuen sich Aerosole eher.

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