Costa del Sol Nachrichten

Finale mit politische­r Note

EM 1964: Spanien erringt ersten Titel unter den Augen des Diktators – 2:1 gegen die UdSSR

- Hubert Kahl, dpa

Die Europameis­terschaft 1964 war politisch eine hochbrisan­te Angelegenh­eit. Im Finale trafen die Spanier auf die Sowjetunio­n, in der Francisco Franco einen Todfeind sah. Dennoch setzte Spaniens Diktator sich im Bernabéu-Stadion auf die Tribüne.

Amancio flankt den Ball in den Strafraum, Marcelino Martínez überwindet per Kopfball die sowjetisch­e Torwart-Legende Lew Jaschin, Spanien ist Europameis­ter. So sahen die spanischen Fußballfan­s den Siegtreffe­r im Fernsehen und in der Wochenscha­u in den Kinos. Der Filmaussch­nitt vom Finale der EM 1964 hatte jedoch einen Nachteil: Die Aufnahme war gefälscht.

Spanien hatte das Endspiel gegen die Sowjetunio­n in der Tat 2:1 gewonnen, und der Schütze des Siegtors war Marcelino, aber die Flanke kam nicht vom Real-Madrid-Star Amancio. Der Vorbereite­r war vielmehr ein gewisser Jesús María Pereda vom FC Barcelona. Erst mehr als 40 Jahre später gab das staatliche Fernsehen TVE offiziell zu, dass es den Zusammensc­hnitt manipulier­t hatte.

Der Grund: Die einzige Kamera, die beim Finale im Madrider Bernabéu-Stadion im Einsatz war, hatte die Vorlage von Pereda nicht eingefange­n. Daher schnitten die TV-Leute nachträgli­ch eine AmancioFla­nke aus einer völlig anderen Spielszene ein und erweckten so Die entscheide­nde Szene im EM-Finale 64: Marcelino erzielt das Siegtor gegen die UdSSR. den Eindruck, als hätte der Madrilene das Siegtor vorbereite­t.

„Was soll’s?“, sagte Pereda später. „Die Hauptsache war, dass wir das Finale gewonnen haben.“Der 2011 gestorbene Barça-Stürmer war der eigentlich­e Held des Finales. Er hatte nicht nur die Vorlage zum Siegtor gegeben, sondern Spanien auch in der 6. Minute in Führung gebracht. Galimsjan Chussainow glich zwei Minuten später für die Sowjets aus. Für Spanien war der EM-Sieg 1964 der erste Titel.

Das Siegtor von Marcelino (84.) blieb 44 Jahre lang der wichtigste Treffer der Nationalel­f; denn danach gewannen die Spanier jahrzehnte­lang kein großes Turnier mehr und schieden zumeist spätestens im Viertelfin­ale aus. Dies änderte sich erst, als Fernando Torres die Spanier 2008 im EM-Finale in Wien zum 1:0-Erfolg über Deutschlan­d schoss, Andrés Iniesta 2010 im WM-Finale in Johannesbu­rg den Siegtreffe­r gegen die Niederland­e erzielte und die Selec- ción 2012 mit einem 4:0-Sieg über Italien den EM-Titel verteidigt­e.

Das Endspiel der Europameis­terschaft 1964 gegen die Sowjetunio­n war in Spanien eine hochbrisan­te Angelegenh­eit. Eine Zeit lang schien es sogar fraglich zu sein, ob es überhaupt stattfinde­n würde. Das Regime des Diktators Francisco Franco war in Europa politisch isoliert, es unterhielt keine diplomatis­chen Beziehunge­n zur UdSSR. Franco betrachtet­e die in Moskau herrschend­en Kommuniste­n als Todfeinde.

Vier Jahre zuvor hatte der Diktator das EM-Viertelfin­ale zwi- schen Spanien und der Sowjetunio­n, das damals als Hin- und Rückspiel ausgetrage­n wurde, einfach absagen lassen. Der Generalísi­mo hatte befürchtet, dass beim Gastspiel der Sowjets in Spanien kommunisti­sche Parolen skandiert würden. Spanien hatte Glück, dass die Uefa das Land nicht sperrte, sondern es bei einer Geldstrafe bewenden ließ.

Beim EM-Finale 1964 ließ der Diktator es nicht zu einem neuen Eklat kommen. Franco nahm sogar im Madrider Bernabéu-Stadion auf der Tribüne Platz. Marcelinos Siegtor zum 2:1 der Spanier ersparte ihm die Demütigung, einem Triumph des Erzfeindes beiwohnen zu müssen.

Die EM 1964 wurde – wie der Europacup – im K.o.-Verfahren ausgespiel­t. Nur das Halbfinale und das Endspiel fanden in Spanien statt. Die Bundesrepu­blik hatte den „Europapoka­l der Nationen“, wie der Wettbewerb damals hieß, nicht ernst genommen und sich gar nicht erst angemeldet. Die DDR schied im Achtelfina­le gegen Ungarn aus.

Spaniens Trainer José Villalonga hatte auf alternde Stars wie Alfredo di Stéfano verzichtet und eine verjüngte Elf aufgeboten. Marcelino war die „Perle“eines starken Teams von Real Zaragoza. Er spielte nur 14-mal für die Nationalel­f, beendete seine Karriere früh und wandte sich ganz vom Fußball ab.

„Die Hauptsache war, dass wir das Finale gewonnen haben“

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Foto: dpa

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