Verrückt nach Kirschen
Ob rund oder herzförmig, schwarz oder rot: Sie schmecken einfach köstlich
Zu den wunderbaren Schauspielen, die die Natur uns beschert, zählt sicherlich die Blüte des Kirschbaums. Später wirkt die intensive Färbung seiner Früchte nicht weniger faszinierend. Da verwundert es nicht, dass die rote Frucht Künstler aller Genres inspiriert hat. Tizian etwa malte die „Madonna mit den Kirschen“, Manet einen „Knaben mit Kirschen“. Victor Hugo schrieb ebenso über die saftige Frucht wie Tschechow in seinem Theaterstück: „Der Kirschgarten“, Gabriel Miró verfasste „Las cerezas del cementerio“. Sie alle müssen große Liebhaber der schönen Früchte gewesen sein. So auch der iranische Regisseur Abbas Kiarostami, der mit seinem Film „Der Geschmack der Kirsche“in Cannes triumphierte.
In Japan beispielsweise ist die Kirschblüte ein nationales Symbol, das Hanami genannte Kirschblütenfest kündigt alljährlich den Frühling an. Für die Japaner verkörpern die Blüten des Kirschbaums Reinheit, Schönheit und Glück. Und am Ende ihres kurzen Lebens stellen sie – vom Wind mitgenommen – den idealen Tod dar.
Eine serbische Legende wiederum erzählt von in Wolken, Wäldern und Bergen lebenden Feen, die bevorzugt unter dem Schatten von Kirschbäumen tanzen. Viele Geschichten gibt es um den Baum aus der Familie der Rosengewächse, dessen Früchte mit den letzten Frühlingstagen auf den Märkten erscheinen.
In ihrer wilden Form wurden Kirschen schon von den Steinzeitmenschen gesammelt, was Ausgrabungen versteinerter Kerne in den Höhlen unserer Vorfahren belegen. In ihrer Urheimat Vorderasien wurden sie zu Zeiten der Römer kultiviert. Den ersten Kirschbaum brachte der Feldherr Lucullus von seinen Reisen zurück nach Rom. Das Wort Kirsche leitet sich beispielsweise vom iranisch-kurdischen „keras“und dem lateinischen „cerasus“ab.
Es heißt, die alten Römer seien große Kirschenliebhaber gewesen und hätten überhaupt erst für die weite Verbreitung der Frucht auf dem Kontinent gesorgt. Als sie quer durch Europa zogen, haben sie anscheinend mit dem Ausspu- cken der Kerne für reichlich Nachwuchs gesorgt.
Kirschen mit D.O.
So wohl auch im bergigen Hinterland der Provinz Alicante. Ungefähr Mitte Februar, normalerweise wenige Wochen nach den Mandeln, entfalten die Kirschbäume dort eine cremig-weiße Blütenpracht, erinnern fast an geschlagene Sahne. Danach entwickeln sich die Blüten langsam zu kleinen grünen Kugeln mit Stiel, mit der Reife bekommen sie immer mehr Farbe, bis sie sich zu den begehrten fleischigen, roten Früchten gewandelt haben.
Etwa 40 Tage dauert dieser Prozess – für die Bauern eine wahre Zitterpartie, denn zu viel Feuchtigkeit, sei es in Form von Regen, beständigem Nebel oder Tau, verdirbt ihre Ware. Die dünne Haut der prallen Früchte platzt auf, und die in der Regel teuren, weil von Hand gepflückten Kirschen eignen sich nur noch als Geschenk für Nachbarn ohne „bancal“– oder als Futter für die Vögel. Doch wenn das Wetter mitgespielt hat, wenn die richtige Zeit ist für die schwierige Ernte – zu früh gepflückt, reifen sie nicht mehr nach und erreichen auch nicht ihre optimale Qualität –, beleben sich die Täler der alicantinischen Berge. Die längst an die Küste abgewanderten Einwohner kehren in ihre Dörfer zurück, um die rote Pracht einzubringen: im Kirschenparadies Agres, Alcoy, Bocairent, Castalla, Cocentaina, Confrides, Ibi, Monòver, Ontinyient, Vall d’Ebo, Vall de Gallinera und Vall de Laguar, Villena und Xixona ...
Seit Jahrhunderten wiederholt sich dies jedes Jahr zwischen Frühjahr und Sommer, doch das etwa 1.300 Hektar große geschützte Gebiet „Cerezas de la Montaña de Alicante“, das unter der Obhut eines Kontrollrats steht, wurde erst 1991 vom valencianischen Landwirtschaftsministerium geschaffen.
2007 schon war die Ausbeute spärlich, dieses Jahr dürfte sie aufgrund andauernden Regens noch schlechter ausgefallen sein. Dabei können laut Statistik jährlich im Schnitt zwischen zwei und sechs Millionen Kilogramm auf den internationalen Markt kommen – vielleicht nächstes Jahr wieder.
Kirschen mit Glamour
Grundsätzlich unterscheidet man zwei große Gruppen: Süßkirschen und Sauerkirschen – so genannte Guindas –, die sich wiederum in Hunderte Sorten aufgliedern. Guindas sind besonders gut für Kuchen, Konserven, Sirup, Likör oder Desserts geeignet und in erster Linie als kandierte Kirschen bekannt. Unter den Süßkirschen sind vor allem die frühe Burlat, die verbreitete Napoleón und die Picota anzuführen, die sich unbeschadet ohne Stiel transportieren lässt. Sie wird fast ausschließlich im Jerte-Tal bei Cáceres im Norden der Extrema- dura kultiviert, dem größten Anbaugebiet Spaniens.
Doch auch Sant Climent de Llobregat bei Barcelona, das EbroTal, Castellón im Norden Valencias, das andalusische Jaén, Navarra, das Baskenland, Galicien und Mallorca zählen zu den wichtigen Kirschenproduzenten in Spanien, wobei selbstverständlich jede Region ihre einheimischen Sorten hat.
Überraschend allerdings, was sich Óscar Ortiz von S.A.T. Edoa (www.glamour.edoa.com) in der katalanischen Provinz Lérida hat einfallen lassen: frühreife Kirschen, die zwischen Januar und März geerntet werden und Ende März bis Mitte April auf den Markt kommen. Damit ist das seit 2003 bestehende Unternehmen weltweit das einzige, das die Früchte in dieser Zeit in den Handel bringt. Die Bäume werden in speziellen Gewächshäusern gezogen, gepflückt wird jeden Tag, um die Kirschen zu ihrem optimalen Zeitpunkt der Reife zu erwischen. Verschickt werden sie noch am selben Tag.
Diese so genannten Cherries Glamour werden mit Gold aufgewogen. Denn eine einzelne Kirsche kann auf den Preis von einem Euro kommen. Bei Harrods in London etwa wurde 2006 ein Preis von 130 Euro fürs Kilo erzielt, das sind nicht mehr als 90 bis 100 Kirschen. Doch die VIPs der Welt zwischen Hollywood und den Ver- einigten Arabischen Emiraten zahlen astronomische Preise, um diese „Winterkirschen“zu bekommen. Fünf Jahre Forschung haben sich somit für Óscar Ortiz wohl gelohnt. Im März dieses Jahres erzielte allein das erste Kilo Kirschen bei eBay 620 Euro. Der ersteigerte Preis ging an die ONG Sonrisas de Bombay. Gute Kirschen sind glatt und glänzend, ohne Macken, mit grünem, Frische signalisierendem Stiel. Am besten werden sie im Kühlschrank aufbewahrt, aber nicht zu kalt – vielleicht in einem mit Küchenpapier ausgelegten Behälter, denn die Früchte sollen absolut trocken sein. Gewaschen werden Kirschen erst kurz vor Gebrauch – konsumiert, so schnell wie möglich, spätestens zwei, drei Tage nach dem Kauf.
Was ihre Verwendung in der Küche betrifft, so sind die großen Chefs erfinderisch. Sie beschränken sich nicht nur auf Desserts, auch in Vorspeisen, als Teil von Fleisch- und Fischgerichten sind Kirschen gegenwärtig – sie können praktisch ein Menü von Beginn an bis zum Schluss begleiten. Aufgeschrieben hat seine Passion für die köstlichen Früchte nicht nur Bocuse in „La Cocina de Mercado“, auch der junge Koch des Restaurants El Racó in Sant Climent de Llobregat, Gèrard Solís, hat ein – sehr empfehlenswertes – Buch über Kirschen geschrieben. „Locos por las cerezas“(Verrückt nach Kirschen), nennt es sich; herausgegeben wurde es vom Verlag Elemasgé.
Was gibt es noch über die attraktiven Früchte zu sagen? – Es heißt, sie seien ausgesprochen frauenfreundlich: Bei nur 57 Kalorien pro 100 g versorgen sie uns mit reichlich Eisen, Calcium, Magnesium, der Hälfte der täglich erforderlichen Dosis Vitamin C und Betakarotin für die Haut. Die Früchte bringen unter anderem den Darm auf Trab, sollen helfen, Cellulitis zu reduzieren, und – ihr wichtigster Vorzug – blutreinigend wirken. Was hält einen jetzt noch davon ab, nicht sofort eine große Schüssel Kirschen auf den Tisch zu stellen?