Nichts hat mehr Bestand:
Gesellschaft im Wandel – Immer mehr Spanier mieten, immer weniger kaufen
In Spanien gibt es ein neues soziologisches Phänomen: Viele junge Leute mieten Immobilien, statt sie wie bisher üblich zu kaufen
Madrid – sk. Die Krise hat viele gelehrt, dass ein vielleicht zu Beginn unterschätztes Ereignis wie der Crash der Lehman Brothers Kettenreaktionen von unvorhersehbaren Ausmaßen auslösen kann. Etwa, dass Banken und Arbeitsmärkte schier zusammenbrechen. Mit diesem Vertrauensverlust hängt das soziologische Phänomen der liquid society zusammen – das Erstarken einer Gesellschaftsform, in der immer weniger Bestand hat. Und dieses macht sich in Spanien breit.
So schließen Spanier immer weniger Hypotheken für den Erwerb eines Eigenheims ab. Jahrzehntelange Laufzeiten muten an- gesichts der immer kürzer werdenen Dauer von Arbeitsverträgen paradox an. Neun von zehn Arbeitsverträgen in Spanien sind heute befristet.
Als es der Wirtschaft besser ging, 1996 etwa, lebten 18 Prozent der Spanier in Mietwohnungen, 2015 waren es bereits 23,5 Prozent. Auf die Dienste der Vermietungsplattform AirBnB griffen 2015 über 1,1 Millionen Spanier zurück, 2012 – zu Beginn des Booms – waren es nur 80.000. Wieso einen Zweitwohnsitz kaufen, wenn man jedes Jahr Urlaub in einer anderen Ferienwohnung machen kann?
Das Nutzungsrecht breitet sich immer mehr als Alternative zum Eigentum aus. 2005 erfasste das nationale Statistikinstitut INE 86.000 Neuzulassungen von Fahrzeugen in der Provinz Alicante, 2015 nur 46.441 und selbst dieser Stand ist nicht zuletzt dem Boom der Mietwagenfirmen zu verdanken. Im gleichen Zeitraum hat sich auch die Zahl der Führerscheinneulinge sowohl in Spanien als auch in der Provinz Alicante nahezu halbiert. Carsharing-Plattfor- men wie BlaBlaCar verzeichnen inzwischen 300 Fahrten pro Woche allein in der Provinz Alicante. Die spanische Gesellschaft für Renting und Leasing von Autos verzeichnet jährliche Zuwachsraten um die 20 Prozent.
Neun von zehn Arbeitsverträgen in Spanien sind befristet
Abgesang aufs Eigentum
Immer mehr Firmen verleihen Geräte, Werkzeuge, Fahrräder, Maschinen, – ja sogar Musik oder Filme via Internet. „Die Tendenz ist klar und immer weitere Teile der Bevölkerung neigen dazu, zu mieten und zu teilen anstatt zu kaufen“, sagt Wirtschaftsexperte José María Gómez gegenüber der Zeitung „Información“.