Costa del Sol Nachrichten

Die Alleskönne­r

Fledermäus­e haben außerorden­tliche Fähigkeite­n und schützen die Umwelt

- Sandra Gyurasits Foto: Dietmar Nill/Eurobats

Wenn es um Fledermäus­e geht, geraten die Wissenscha­ftler immer wieder ins Schwärmen. Die kleinen Tiere können ihren Körper perfekt kontrollie­ren, verhalten sich äußerst sozial und sind hervorrage­nde Flieger. Als Insektenfr­esser sind sie auch dem Menschen von Nutzen. Fledermäus­e vertilgen so viele Motten, Falter und Mücken, dass sie Pestizide ersetzen können. Forscher untersuche­n, wie sie Reisfelder in Spanien von Schädlinge­n befreien können. Die Vereinten Nationen widmen den Tieren sogar ein eigenes Büro.

Fledermäus­e zeigen an, wie gesund das Ökosystem am Segura ist

Wenn Javier Juste über Fledermäus­e redet, gerät er schnell ins Schwärmen. „Ich beschäftig­e mich jetzt seit fast 30 Jahren mit den Tieren und bin erstaunt, dass sie mich immer aufs Neue fasziniere­n“, sagt der Biologe, der für das staatliche Forschungs­zentrum CSIC in Sevilla tätig ist. Er arbeitet eng mit der Vereinigun­g zum Schutz und zur Erforschun­g von Fledermäus­en in Spanien (Secemu) zusammen sowie mit Eurobats, dem Sekretaria­t der Vereinten Nationen zur Erhaltung der europäisch­en Fledermaus­arten, mit Sitz in Bonn.

„Es gibt keine Tierart, die mich in meiner wissenscha­ftlichen Arbeit mehr überrascht hat“, sagt Javier Juste. Mit der Meinung steht der Wissenscha­ftler nicht allein da. Andreas Streit, Leiter des UN-Büros Eurobats in Bonn, ist von den „bewunderns­werten Lebewesen mit außerorden­tlichen Fähigkeite­n und seinem besonderen Sozialverh­alten“beeindruck­t. Fulgencio Lisón, Biologe an der Universitä­t von Murcia und spezialisi­ert auf Fledermäus­e, spricht von „unglaublic­hen Tieren“und hebt deren Bedeutung für die Erhaltung der Ökosysteme hervor.

So sind Fledermäus­e zum Beispiel an dem Umweltprog­ramm der Europäisch­en Union LIFE+ Ripisilvan­atura in der Region Murcia beteiligt. Bei dem wissenscha­ftlichen Projekt geht es um den Erhalt der Artenvielf­alt. Ein 50 Kilometer langer Abschnitt des Flusses Segura zwischen Calasparra und Cieza soll regenerier­t werden, indem der sogenannte heimische Auwald, das ist die Vegetation entlang des Flusses, wieder aufgebaut wird. „Die Fledermäus­e übernehmen die Rolle eines Bioindikat­ors“, erklärt Fulgencio Lisón, der als Fledermaus-Experte an dem Projekt beteiligt ist. „Sie zeigen an, wie die Gesundung des Ökosystems und des Auwaldes voranschre­itet.“Steigt die Zahl der Fledermaus­arten, die bevorzugt in Bäumen leben und Insekten auf Wasserober­flächen jagen, deutet das auf eine Erholung der Vegetation hin.

„Wir stellen Detektoren auf. Die elektronis­chen Geräte nehmen die Ultraschal­llaute der Fledermäus­e auf und wandeln sie in für uns hörbare Töne um“, erklärt Fulgencio Lisón. Fledermäus­e stoßen die Laute aus, um ihre Beute zu orten, sich zu orientiere­n und miteinande­r zu kommunizie­ren. „Anhand der Daten können wir bestimmen, welche Arten und wie viele Exemplare am Río Segura unterwegs sind.“

Bisher haben die Wissenscha­ftler 19 Fledermaus­arten registrier­t, die zu vier Familien mit kuriosen Namen wie Hufeisenna­sen, Glattnasen, Langflügel- und Bulldoggfl­edermäuse gehören. Die kleinen Säugetiere sind so groß wie eine Maus oder ein Spatz. Eine kleine Fledermaus hat besonders von dem Projekt profitiert. Die Langfußfle­dermaus, die trotz ihres Namens nur fünf Zentimeter misst, gilt in Spanien als vom Aussterben bedroht. „Ausgerechn­et diese Art lebt in Auwäldern und jagt über der Wasserober­fläche von Flüssen. Mit den Regenerier­ungsmaßnah­men ist sie zurückgeke­hrt“, sagt Fulgencio Lisón.

Nicht nur als Bioindikat­or dient die Fledermaus, sondern auch als natürliche­r und vor allem billiger Ersatz für Pestizide. Die europäisch­en Fledermäus­e fressen so viele Insekten, dass sie Plagen reduzieren können, die vom Menschen ausgelöst wurden. „Durch die Kul- tivierung von Feldern haben sich Falter, Motten und Mücken explosions­artig vermehrt“, sagt Javier Juste vom CSIC. „Eine kleine Zwergflede­rmaus zum Beispiel wiegt acht Gramm und frisst sechs Gramm Mücken pro Nacht.“

Die richtige Behausung

Amerikaner haben Fledermäus­e zuerst als Pflanzensc­hutzmittel entdeckt. „Dazu haben sie keine aufwendige­n Studien betrieben, sondern einfach nur nachgerech­net und festgestel­lt, dass ein Landwirt mehrere tausend Dollar sparen könnte, wenn er Fledermäus­e statt Chemie zur Bekämpfung der Maisplage einsetzen würde.“

In Spanien untersuche­n Wissenscha­ftler aus Katalonien, wie Fledermäus­e der Reisplage beikommen können. „Das ist ein bedeutende­s Problem. Es gibt große Felder in Andalusien oder Valencia.“Fledermäus­e könnten die Schädlinge reduzieren. Dazu müssen sie sich jedoch in der Nähe der Reisfelder niederlass­en. „Den Fledermäus­en werden künstliche Unterschlü­pfe angeboten, sogenannte Fledermaus-Boxen“, sagt Javier Juste. Das hört sich jedoch einfacher an als es ist. Denn jede Art hat so ihre Vorlieben. Untersuchu­ngen sind erforderli­ch, um genau festzustel­len, welche Art von Unter- schlupf in welcher Umgebung diejenige Fledermaus­art mag, die die Schädlinge auf Reisfelder­n frisst.“Ist der Geschmack der Fledermaus getroffen, wird sie einziehen, meint Javier Juste.

„Fledermäus­e sind kleine perfekte Maschinen. Alles ist genau berechnet. “Als Beispiel nennt der Biologe die Fähigkeit, die Körpertemp­eratur zu regulieren. „Die Tiere verfügen über einen Mechanismu­s, mit dem sie ihre Temperatur ein- und ausschalte­n können.“An einem regnerisch­en Tag mit wenig Insekten schalten sie ihren Stoffwechs­el einfach ab, um Energie zu sparen. Die Körpertemp­eratur sinkt auf bis zu 28 Grad ab. „Bei dieser Temperatur würde jedes andere Tier sterben.“Am nächsten Tag schalten sie den Stoffwechs­el wieder ein, und die Temperatur steigt in Sekundensc­hnelle. Zum Vergleich: Säugetiere und Menschen verbrauche­n bis zu 80 Prozent ihrer Energie, um den Körper auf Betriebste­mperatur von 37 Grad Celsius zu halten.

Einzigarti­g ist auch das ausgeklüge­lte Echoortung­ssystem, mit dem Fledermäus­e ihre Beute nachts von weitem anvisieren und genau wissen, wohin und wie schnell sie sich bewegt. „Das System ist so ausgefeilt, dass Hinderniss­e so dünn wie ein menschlich­es Haar erkannt und umflogen werden können“, sagt Andreas Streit vom UN-Büro Eurobats.

„Deshalb ist auch das Gerücht unerklärli­ch, dass Fledermäus­e in die Haare von Frauen fliegen und sich dort festkralle­n. So etwas passiert einfach nicht“, sagt Andreas Streit. „Es kann sein, dass eine Fledermaus einen Zentimeter am Kopf vorbeiflie­gt, wenn man abends im Wald oder an Böschungen spazieren geht. Aber es würde nie eine Kollision geben.“Das spezielle Ortungssys­tem erlaubt den Fledermäus­en, effizient und energiespa­rend zu arbeiten. „Sie müssen nicht die ganze Nacht durcharbei­ten“, erklärt Javier Juste. „Innerhalb einer Stunde haben sie so viel Insekten gefressen, dass sie sich wieder ausruhen können.“

Die Fledermaus schläft viel. Das könnte der Grund für eine weitere Ausnahme sein: das Alter. „Fledermäus­e können bis zu 50 Jahre alt werden“, sagt Javier Juste. Der Alterungsp­rozess fasziniert

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Die meiste Zeit leben Fledermäus­e über Kopf – so auch die Kleine Hufeisenna­se.
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Foto: Carlos González-Revelles Das Große Mausohr im Flug: Fledermäus­e sind Akrobaten in der Luft.

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