Spaniens Antlitz
Zum Nationalfeiertag: Die Geschichte der nicht unumstrittenen Flagge
Zwar wehte sie am 12. Oktober, dem spanischen Nationalfeiertag, überall – doch mit ihrer Flagge haben viele Spanier ein Problem. Die „Rojigualda“wird mit Tyrannei und Diktatur assoziiert oder mit der angestaubten Monarchie. We- nige wissen, dass König Carlos III. im Jahr 1785 bei der Farbwahl auf die Einheit Spaniens abzielte – und dafür sogar auf die Königsfarbe Weiß verzichtete. Dennoch: Seit 1843 offiziell Nationalflagge, hat die „Rojigualda“immer auch Ge- genwind bekommen. In der Zweiten Republik wehte statt ihr die „Tricolor“– doch Franco brachte sie zurück. Die Transición beließ die Farben, und so strahlt Spaniens Antlitz weiter rot und goldgelb.
„Ich kann nicht Spanien sagen, ich kann nicht die rot-goldgelbe Flagge verwenden“, empört sich der Mann mit Pferdeschwanz am Mikrophon. Die Szene stammt von einer Konferenz in La Coruña 2013, der Sprecher ist Pablo Iglesias, späterer Chef und Präsidentschaftskandidat der Protestpartei Podemos. Ein Präsident, der Namen und Farben seines Landes nicht mag?
Zumindest steht er damit, auch am spanischen Nationalfeiertag, 12. Oktober, nicht allein da. Lieber als die offizielle, lassen unzählige Orte ihre regionalen Flaggen wehen – oder die dreifarbige Version der Zweiten Republik. Der „Hispanität“gedachte das linksalternativ regierte Rathaus von Madrid auf seine Weise: mit einer Wiphala, der Flagge einiger Anden-Völker.
Es ist offensichtlich: In Spanien tun sich die Menschen schwer mit der nationalen Identität. „Die Flag- ge ist in Spanien ein Konfliktfaktor“, seufzt José Manuel Erbez, Sekretär der Spanischen Gesellschaft für Vexilologie, Flaggenkunde. Zu viel Unliebsames, Monarchie und Unterdrückung assoziieren Kriti- ker der „Rot-Goldgelben“mit ihr.
„Dazu kam ihre Überbetonung durch die Nationalisten“, bedauert Erbez. Noch lange nach der Diktatur galt jemand, der ein Armband mit spanischer Flagge trug, als „Facha“, Rechtsradikaler. „Erst der Sport hat dazu beigetragen, dass sich das gelegt hat.“
Keine Flagge, sondern ihr Feh- len, ließ die spanische Fußballwelt gerade erbeben. Im Länderspiel lief der Katalane Gerard Piqué mit abgeschnittenen Ärmeln auf, ausgerechnet die Landesfarben fehlten. Die Fans reagierten mit Beschimpfungen – Piqué mit dem Rücktritt aus der „Selección“.
Dabei war die fehlende Flagge durchaus konsequent. Hatte Piqué vor kurzem in einem Interview bekundet, im Stile von John Lennons Hymne „Imagine“, von einer „Welt ohne Flaggen“zu träumen.
Tatsächlich scheint sich auch in Spanien die Bindung an traditionelle Symbole aufzulösen. Höchstens als „Patriot der Demokratie“könne er sich bezeichnen, so Pablo Iglesias. Die Nationalfarben sieht er als Insignien der von ihm bekämpften Übel – sozialer Ungerechtigkeit, Korruption.
Klar, dass er damit speziell die Jungen mehr anspricht, als das Blut und Gold der spanischen Eroberer. So wurde Generationen die Bedeutung der „Rojigualda“eingetrichtert. Dabei hat laut Erbez diese Deutung nichts mit den Ursprüngen der Flagge zu tun. „Die entstand im Grunde zufällig.“
Es war das Jahr 1785, als König Carlos III. vor einer Tafel mit zwölf Flaggenentwürfen grübelte. Wiederholt war seine Flotte in Schlachten geraten, nur weil es die weiße Flagge des Königshauses Bourbon trug. Dieses regierte gerade mehrere Länder. „Es konnte sein, dass Frankreich im Krieg gegen England war und Spanien nicht“, erklärt Erbez. Da sich die Flaggen nur im kaum sichtbaren
Carlos III. wählte Rot und Goldgelb anstelle der Königsfarbe Weiß