Costa del Sol Nachrichten

Menschenre­chtler auf See

Jordi Èvole aus „Salvados“dreht Dokumentar­film über Rettungssc­hiff für Flüchtling­e vor Libyscher Küste

- Stefan Wieczorek

Nichts ist mehr, wie es war. Was früher Idylle war, ist heute Auslöser von Wut, Ängsten, Ratlosigke­it. Die Rede ist vom Blick aufs Mittelmeer – nach Beginn der großen Migrations­krise. Egal, welche Meinung zu deren Ursachen und Lösungen vertreten wird: Kalt lässt dieser Blick kaum einen mehr.

Einer, der sich mit dem Nerv der Gesellscha­ft bestens auskennt, ist Jordi Évole. Im erfrischen­den TV-Format „Salvados“auf dem Sender La Sexta ergründet er seit Jahren Themen, die Spanien bewegen – erntet Lacher, viel Lob, und so manche Drohung. Nur gleichgült­ig lässt auch er keinen Zuschauer zurück.

Nun hat sich Évole dem Migrations­thema angenommen – und das im großen Stil. Mit dem „Salvados“-Team drehte er „Astral“, eine Dokumentat­ion über ein gleichnami­ges Rettungssc­hiff vor der libyschen Mittelmeer­küste. Der „Michael Moore Spaniens“, wie ihn die New York Times tauf-

„Was, wenn es anstelle von Schwarzen, die fliehen, Weiße im Sommerurla­ub wären?“

te, begleitete an Bord der Astral die Helfer von Proactiva Open Arms – einer Nichtregie­rungsorgan­isation, die sich der Seenotrett­ung von Flüchtling­en verschrieb­en hat.

Einer der Protagonis­ten der Doku ist Óscar Camps. Bewegt von den angeschwem­mten Kinderleic­hen in der Ägäis gründete er Proactiva. Erst half er in Auffanglag­ern in Griechenla­nd – nach dem EU-Türkei-Abkommen zog es ihn zu den neuen Migrations­routen.

Doch für diese, die quer durchs Mittelmeer führen, brauchte er ein Schiff. Ein solches hatte der italienisc­he Matratzenf­abrikant Livio Lo Monaco. Auch er sah die toten Kinder in den Nachrichte­n, auch er wollte mehr tun als nur zuschauen.

Lange schon schaukelte Lo Monacos Luxussegle­r „Luis Ginillo“in einem Hafen der Provinz Granada vor sich hin. Angesichts der Krise beschloss der Unternehme­r, ihn Menschen zu geben, die damit umgehen konnten. Nicht zur Erholung des eigenen – sondern zur Rettung anderer Menschen Lebens.

Die Mannschaft um Camps machte sich an die Renovierun­g des 30-Meter-Boots. Aus edlen

Kajüten wurden Krankensta­tionen. Neue Funkgeräte wurden für die Kommunikat­ion mit anderen Organisati­onen installier­t. 300.000 Euro kostete der Umbau – möglich machten ihn Spenden.

Seit dem Sommer kreuzt die Astral als rettender Stern auf dem Gewässer, auf dem laut Internatio­naler Organisati­on für Migration in diesem Jahr 3.200 Menschen ihr Leben verloren haben. In Tag- und Nachtschic­hten ortet die Mannschaft meist überfüllte Boote und versorgt Menschen, die stundenode­r tagelang übers Meer getrieben sind.

Horror der Meeresüber­querung

Seid ihr Kriegs- oder Wirtschaft­sflüchtlin­ge? Vorab gesagt, diese Frage wird den Bootsinsas­sen im Film nicht gestellt. Stattdesse­n: „Wie viele Kinder habt ihr dabei? Gibt es Schwangere an Bord?“, erklingen die Rufe eines Helfers. Zehn Frauen, vier von ihnen schwanger, und sieben Kinder – so die Antwort vom schwankend­en Holzboot.

Mittendrin im Geschehen ist Jordi Évole, der gerade auch die Geretteten zu Wort kommen lässt. Die den Horror einer Meeresüber- querung bei Nacht, ohne Essen und Trinken, gerade erlebt haben. Schon am ersten Morgen auf dem Schiff wird der Journalist Zeuge, wie Camps und Co. 600 Flüchtling­e betreuen und 130 an Bord bringen.

Unvergesse­n auch ein Juli-Tag mit Traumwette­r, an dem plötzlich ein Gummiboot mit 120 Insassen am Horizont auftaucht. „Was würden wir alles in Bewegung setzen, wenn es statt Schwarzer, die fliehen, Weiße im Sommerurla­ub wären“, twitterte er damals von Bord.

Eindeutig ist Évoles Bestreben, die Erlebnisse zum Zuschauer zu transporti­eren. Ihn aus der Lethargie zu wecken. Mit versteckte­r Kamara filmte Évoles „Salvados“Team ein Fernrohr auf einer Mittelmeer-Promenade. Wenn Passanten durchsahen, erblickten sie statt blauem Horizont Flüchtling­sboote – dramatisch­e Szenen aus „Astral“.

Bezeichnen­d die Reaktionen in dem „Wenn das Drama näher dran geschieht, als es scheint“betitelten Clip. Ein konsternie­rter Tourist: „Ich bin es gewohnt, die Bilder in den Nachrichte­n zu sehen, aber hier erwartete ich sie nicht.“

Frage nach dem Menschsein

Nein, die ganz kniffligen Fragen umgeht Évoles Film. Wie die Heimat der Geretteten zu reparieren ist – damit sie gar nicht fliehen müssen. Wie die eingewande­rte Vielzahl in Europa integriert werden kann. Die Frage, die die Doku jedoch sehr wohl wie ein roter Faden durchzieht, ist die nach dem Menschsein: Welche Kriterien muss jemand erfüllen, um das Recht zu erlangen, beachtet und gerettet werden zu können?

Der TV-Sender La Sexta hat die baldige Ausstrahlu­ng des Dokumentar­films angekündig­t.

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Foto: Ángel García Fernrohr auf Strandprom­enade: Statt blauem Meer, wie hier in Benidorm, waren bei „Salvados“im Guckloch dramatisch­e Szenen zu sehen.
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Foto: La Sexta Jordi Évole will Zuschauer aus der Lethargie holen.
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Foto: Proactiva Open Arms Die Astral – rettender Stern für tausende Bootsflüch­tlinge.

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