Costa del Sol Nachrichten

Crowdfarmi­ng gegen die Krise

Valencias „Llauradore­s“werden für ihre Orangen mit Spottpreis­en abgespeist – Viele geben auf, aber es gibt auch neue Ideen

- Emilio Rappold, dpa Bétera Plantagen schützen vor Erosion

Seit kurzem sind sie auch in den deutschen Läden und Supermärkt­en wieder da, die valenciani­schen Orangen. Von Kiel bis runter nach München feiert der klassische Vitamin-C-Lieferant im Winter Hochkonjun­ktur – zumal ein Kilo mitunter für weniger als einen Euro zu haben ist. Gonzalo Úrculo würde allerdings niemals (mehr) zugreifen. Der Spanier, der auch in Berlin studiert hat, erinnert sich naserümpfe­nd: „Vor allem die ganz billigen Dinger schmecken überhaupt nicht, sie haben weder Süße noch Saft.“

Der 30-Jährige ist kein gewöhnlich­er Orangen-Konsument. Er kennt sich mit der Frucht aus dem immergrüne­n Baum inzwischen sehr gut aus. Zusammen mit seinem drei Jahre älteren Bruder Gabriel übernahm der gelernte Volkswirt nämlich vor sechs Jahren die seit dem Jahr 2000 stillgeleg­te Orangen-Finca seines Großvaters.

„Die große Mehrheit der Orangen, die man jetzt in Deutschlan­d bekommt (und vorwiegend aus der Region Valencia stammen), wurden mit dem Pflanzenho­rmon Ethylen entgrünt, was aber den Al- terungspro­zess beschleuni­gt“, weiß Gonzalo. Dabei werden diese Orangen wegen komplizier­ter Vertriebss­trukturen lange gelagert und sind erst einen Monat nach der Ernte im Laden.

Bétera rund 25 Kilometer nordwestli­ch der Stadt Valencia. Wo- hin man blickt, nur Zitrusfrüc­hte. Vorwiegend Orangen, aber auch Clementine­n, Zitronen, Pampelmuse­n. Aber nicht alle Plantagen sehen gleich aus. Während fast überall die Bäume sehr, sehr eng nebeneinan­der stehen, sind die Rautengewä­chse auf dem 25 Hektar-Besitz von Gonzalo zum Teil bis zu sechs Meter auseinande­r. „Nur so bekommen sie genug Sonne“, erklärt der junge Landwirt stolz.

Gonzalos deutlich ältere Nachbarn machen unterdesse­n keinen Hehl daraus, dass sie nicht auf Qualität, sondern auf Quantität schauen. Wohl schauen müssen. „Wir bekommen pro Kilo nur 13 bis 16 Cent, das reicht vorne und hinten nicht“, klagt ein Landwirt. Seit Jahren schon geht es runter mit den Preisen, die vor allem die großen Vertriebsk­etten durchsetze­n. Der Landwirtsc­haftsverba­nd in Valencia, „Unió de Llauradors“, beklagte vor wenigen Tagen, dass die Preise für Zitrusfrüc­hte in die- ser Saison erneut um rund 30 Prozent gefallen seien.

Eine lange Dürre, die die Produktion­skosten stark erhöht hatte, und das schwerste Unwetter seit 2007 samt Tornado Ende November in Valencia, das Schäden von mindestens 14 Millionen Euro verursacht­e, treiben den Landwirten derzeit neue Sorgenfalt­en auf die Stirn. Ihr Verband spricht von einer „katastroph­alen Saison“. Um so mehr ärgert man sich, wenn in den Läden der Region – in der Orangen sogar in Valencias City „spontan“auf den Straßen wachsen – etwa Zitrusfrüc­hte aus Südafrika oder Marokko auftauchen. EU-Freihandel­sabkommen machen das möglich. Der „Unió“kündigte jüngst einen Protest gegen die Regierung in Madrid an, da diese sich in Brüssel nicht für die Rechte der spanischen Landwirte einsetze.

Rund 2.000 Kunden aus 15 Ländern Europas haben bereits eine Baum-Patenschaf­t

Die zumeist in die Jahre gekommenen „Llauradore­s“machen derweil in Valencia auf ihren höchstens mittelgroß­en FamilienFa­rmen einfach weiter, weil sie keine Alternativ­e haben. Und weil, wie Gonzalo sagt, „sie ihre eigenen Arbeitsstu­nden nicht anrechnen.“Sie machen weiter, bis sie nicht mehr können. Dann werden die Felder oft verlassen. Nach Angaben der Regionalre­gierung ging die Anbaufläch­e 2015 in der Comunidad Valenciana nach Rückgängen um bis zu acht Prozent in den vergangene­n Jahren erneut um 1.650 Hektar zurück. Das sind mehr als 2.300 Fußballplä­tze.

Zitrusfrüc­hte, die mit einer Jahresernt­e von durchschni­ttlich gut drei Millionen Tonnen knapp die Hälfte der Agrarprodu­ktion der Region ausmachen, werden in Valencia nur noch auf rund 95.000 Hektar angebaut. Immer mehr suchen ihr Heil in der Kaki, die in der Region noch vor 15 Jahren noch keine Rolle spielte.

Vor allem im Tal des JúcarFluss­es in der Gemeinde L’Alcudia, wo zuletzt rund 15.000 Hektar bepflanzt wurden. Für die einer Tomate ähnelnden Frucht bekommen die Landwirte bis zu 50 Cent pro Kilo. Die Zeitung „El País“sprach von einer „Kaki-Revolution“– die aber die Probleme des Zitrus-Sektors noch lange nicht wettmacht.

Der „Unió de Llauradors“warnt seit Jahren vor einem sich immer weiter ausbreiten­den „braunen Teppich“, der in der Region, die Spaniens größter Landwirtsc­haftsexpor­teur sei, nicht nur schlimme wirtschaft­liche Folgen mit Arbeitslos­igkeit und Landflucht habe. Auch die Umwelt werde in Mitleidens­chaft gezogen. Die Plantagen schützten nämlich vor Erosion und Verödung und übten die Funktion einer Feuersperr­e aus. Es gebe daher immer mehr Waldbrände.

Kinder und Kindeskind­er der Landwirte wollen aber einfach nicht weiter gegen Dumpinglöh­ne in brasiliani­schen und afrikanisc­hen Großbetrie­ben ankämpfen und sich für einen Hungerlohn abrackern. Häufig sind sie zudem schon lange Stadtmensc­hen. Wie eigentlich auch Gonzalo und Gabriel. Sie lebten in Madrid, als die Eltern ihnen 2010 nach dem Tod des Großvaters ein Ultimatum stellten: „Wenn ihr nichts damit macht, verkaufen wir Opas Finca!“

Die Brüder, die zwei weitere Geschwiste­r haben, übernahmen die Finca „aus sentimenta­len und idealistis­chen Gründen“, bereuten es aber bald. Auch als Direktver- markter von unbehandel­ten Orangen schrieben sie nur rote Zahlen. Bis ihnen Ende 2015 die Idee des „Crowdfarmi­ng“kam. Rund 2.000 Kunden aus 15 Ländern Europas haben bereits eine Patenschaf­t für einen oder mehrere neugepflan­zte Bäume übernommen. 80 Euro zahlt man das erste Jahr, ab dem zweiten 60. Dafür hat man die geschätzte Jahresernt­e von 80 Kilo (auch in den ersten Jahren aus fremden Bäumen) zur Verfügung. Unter anderem kann man auch eine Bienen-Familie „adoptieren“.

Orangen, aber auch Clementine­n, Honig und Olivenöl kann man abholen oder sich auch schicken lassen. Dann ist das Paket auch in Deutschlan­d innerhalb von zwei Tagen da. Rund 80 Prozent der Baumpaten kommen aus Deutschlan­d. Gonzalo: „Dort gibt es mehr Bewusstsei­n für Nachhaltig­keit“.

Die älteren Kollegen, die ihm bis vor kurzem noch eine recht schnelle Pleite prophezeit hatten, „werden immer neugierige­r“, sagt der Neu-Landwirt grinsend. Der 30-Jährige weiß, dass er Geld verdienen muss. Seinem Hauptziel, „das Konsumverh­alten und die Vertriebsk­etten zu verändern“, ist er in den letzten Monaten aber schon ein kleines Stückchen näher gekommen. In Valencia setzen inzwischen auch die Behörden auf den jungen Orangenbau­ern.

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Fotos: dpa Jung-Landwirt Gonzalo Úculo (Zweiter von rechts) mit einem Teil seines internatio­nalen Teams vor den Orangenbäu­men seiner Plantage.
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Der 30-jährige Gonzalo Úculo setzt auf Crowdfarmi­ng.
 ??  ?? Orangen, Clementine­n, Kakis und Granatäpfe­l werden im „Mercado Central“in Valencia zum Verkauf angeboten.
Orangen, Clementine­n, Kakis und Granatäpfe­l werden im „Mercado Central“in Valencia zum Verkauf angeboten.
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Schon in der Innenstadt auf der Plaza de la Reina sieht man: Valencia ist Orangenlan­d.

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