Welt im Handy-Wahn
Mit einer Handvoll Groschen ging ich mit pochenden Herzen oft zur Telefonzelle, um meine erste Liebe anzurufen. Nicht selten plauderte ich munter drauf los und merkte erst nach fünf Minuten, dass es nicht meine Liebe war, mit der ich da sprach, sondern sein Vater. Beide hatten dieselbe Stimme. Oft ärgerten sich meine Eltern, wenn ich stundenlang die Leitung blockierte, weil ich stundenlang mit meinen Freundinnen plauderte. Wenn ich mich verabredete, dann gab es keine Chance, das Treffen fünf Minuten vorher zu verschieben oder abzusagen.
Als Teenie war ich handylos. Mal abgesehen von den ganzen Vorteilen, die Smart-Phones mit sich bringen, ja zugegeben, es ist gut, das Handy in Notfällen dabei zu haben, ja es ist praktisch auf dem Smart-Phone sein Miniaturbüro mit Skype, E-Mail, Twitter, Drop-Box und all den Schieß-Mich-Tot Apps herumzutragen. Für Business- Leute geht es heute gar nicht mehr anders, als rund um die Uhr erreichbar zu sein. Trotzdem trauere ich den 1990ern hinterher, den Zeiten, in de- nen man noch handyfrei am Tisch im Restaurant saß, sich in die Augen schaute und Gespräche aufbaute. Als man noch analoge Kameras hatte und hoffte, einen Schnappschuss ergattert zu haben. Diesen Zeiten, in denen der Lebensrhythmus ein paar Takte langsamer war. Nein, ein Technologiefeind bin ich nicht, doch ertappe ich mich dabei, die Facebook-Einträge und meinen WhatsApp Account häufiger zu checken als eigentlich notwendig ist. So, als sei ich nur ein halber Mensch, wenn mich mal einen Tag lang niemand kontaktiert.
Vielleicht sollte jeder von uns mal eine handyfreie Woche einlegen, den Blick weg vom Display auf Augenpaare und die Natur lenken. Dabei wird einem sicherlich bewusst, dass Momente ebenso lebenswert sind, wenn sie nicht dauernd mit dem Handy festgehalten werden. Vielleicht sollte ich mir wieder ein Scheibentelefon und eine analoge Kamera zulegen und meinem eigenen Rhythmus folgen. Ob ich dann wohl all meine Facebookfreunde verliere und schnell in Vergessenheit gerate? (lk)