Ein sozialer Ort
Bibliotheken erscheinen in unserer modernen Zeit wie ein Relikt aus vergangenen Zeiten – Warum sie trotzdem Sinn machen
In Zeiten der modernen Technologien und sozialen Netzwerke wirken öffentliche Bibliotheken wie ein Relikt aus der Vergangenheit. Dennoch machen sie Sinn, denn sie bewahren Meinungsvielfalt und garantieren einen demokratischen und kostenlosen Zugang zum Wissen.
In Zeiten der modernen Technologien und sozialen Netzwerke, in denen viele Menschen Papier kaum noch anfassen, erscheinen öffentliche Bibliotheken wie ein Relikt aus einer vergangenen Zeit. Wir surfen im weltweiten Internet, googlen uns Informationen zusammen – und die Kids hocken sowieso am liebsten vor dem Computer oder Smartphone. Da stellt sich die Frage: Machen Bibliotheken eigentlich noch Sinn?
Spannend, sozial, solidarisch
Wer spontan verneint, sollte noch einmal in sich gehen. Denn öffentliche Bibliotheken horten Meinungsvielfalt, sie sind nicht kommerziell und demokratisieren den Zugang zum Wissen. Ihr Bestand an Büchern, Zeitschriften, DVDs, CDs und Datenbanken ist für alle da. Und wer zu Hause keinen Internetzugang hat, geht einfach in eine Bibliothek.
Durch den hellen Lesesaal der öffentlichen Bibliothek von Benal- mádena weht ein Hauch konzentrierter Stille. Männer und Frauen jeden Alters sitzen an Tischen oder in bequemen Sitzecken, den Kopf gebeugt über ein Buch, eine Zeitung oder Zeitschrift. Durch Pano- ramafenster blickt der Besucher auf einen Teich und ins Grüne, denn das 2002 eröffnete Gebäude ist in den Stadtpark Las Palomas in Arroyo de la Miel integriert. Aber nicht nur die Umgebung ist schön, auch der Anspruch, den das 15köpfige Team rund um Direktorin María del Carmen Martín Lara hat, macht diese Bibliothek zu einem angenehmen Ort.
„Wir wollen Werte vermitteln und sie allen Bürgern bestmöglich zugänglich machen. Wir tun alles, um den Besuch spannend und interessant zu gestalten“, sagt Martín Lara. Und das scheint zu gelingen: 2016 zählte die Bibliothek mehr als 27.700 Nutzer, 184.500 Bücher, DVDs, CDs oder Zeitschriften wurden ausgeliehen. In einer Kleinstadt von nicht einmal 70.000 Einwohnern keine schlechte Bilanz. Aber dieser Erfolg kam nicht
Werte und Wissen vermitteln und Menschen jeden Alters zum Lesen motivieren
als Geschenk angeflogen. „Wir entwickeln in unserem Team gemeinsam neue Ideen, wir stellen Dreijahrespläne auf, um Menschen jeden Alters ans Lesen heranzuführen“, erzählt Martín Lara und fügt schmunzelnd hinzu: „Wir werden mit öffentlichen Geldern bezahlt, gerade deshalb geben wir uns besondere Mühe, wir haben immer ein offenes Ohr für die Wünsche derjenigen, die unseren Service nutzen. Sie alle sind unsere Hauptdarsteller.“
Ein stimmiges Konzept
Engagement und die Liebe zu Literatur, Musik und Film sind in jedem Winkel dieser Bibliothek zu spüren. 2015 wurde sie mit dem „Premio Liber“ausgezeichnet, ein Preis, der vom Spanischen Verlegerverband (FGEE) vergeben wird. Martín Lara ist stolz auf die kleine Bronzebüste, die sie in Madrid bei einer feierlichen Gala abholen durfte. Nur zwei Bibliotheken in ganz Andalusien hätten diese Auszeichnung bisher erhalten.
Auch andere Zahlen sprechen für das Konzept: Im BuchverleihRanking des andalusischen Bibliothekennetzwerks belegt Benalmádena noch vor Málaga – einer Stadt mit mehr als einer halben Million Einwohner – Rang vier.
In der Mediathek, die sich in der Nähe des Eingangsbereichs befindet, sitzen schon zu früher Stunde zahlreiche Besucher vor den Computern. In der Regel ist eine Stunde erlaubt, aber wenn es keine Warteschlange gibt, darf auch länger gesurft werden. Direkt daneben befindet sich die Film- und Musikabteilung, in der auf Qualität geachtet wird. DVDs von renommierten Regisseuren der Filmgeschichte oder BBC-Dokumentationen haben ihren Platz gefunden, zudem gibt es eine Auswahl an CDs aus der Welt der Rock-, Jazzund Flamencomusik.
In der Zeitungs- und Zeitschriftenecke warten acht aktuelle Tageszeitungen aus Málaga, Andalusien und Spanien auf Leser, und wer sich für Wissenschafts-, Ökologie- oder Dekorationsmagazine begeistert, wird ebenfalls fündig. In der Abteilung Medien und Audiovisuelles kann der Nutzer unter 11.248 Publikationen wählen. Und auch das umfangreiche Buchsortiment über Benalmádena oder Andalusien kann sich sehen lassen.
Beim Rundgang durch die Räumlichkeiten erzählt Martín Lara über ihre Arbeit. Um das Ambiente lebendig zu erhalten, werden Lesekreise in unterschiedlichen Sprachen organisiert, regelmäßig werden neue Thementische gestaltet, die an aktuelle Ereignisse oder Jahrestage angepasst sind. Aber gerne werden auch Schriftsteller präsentiert, die vielleicht nicht mehr in Mode sind, es aber verdient haben, neu entdeckt zu werden.
Das untere Stockwerk ist vor allem den Schülern gewidmet, außerdem gibt es eine Comicabteilung für Erwachsene sowie Sprachkurse und Bücher, die der persönlichen Entwicklung zuträglich sind. Mit besonderer Liebe zum Detail wurde die Kinderbuchecke in Szene gesetzt, ein lebendiger, freundlicher und inspirierender Ort, der die Kleinsten schon früh für das Buch begeistern will. Hier sind die Bücher nicht alphabetisch geordnet, sondern den Altersklassen entsprechend mit farbigen Punkten versehen. „So finden sich Eltern besser zurecht“, weiß Martín Lara. Und während die kleinen Leseratten in Kinderbüchern, Comics oder altersgerechten wissenschaftlichen Werken stöbern, können sich Erwachsene über spezifische Kinder- und Familienthemen informieren.
Diese Kinderecke soll auch eine moralische Funktion erfüllen, so werden Autoren und Bücher präsentiert, die jenseits der TVund Internetwelt als Vorbild dienen können. „Wir wollen positive soziale Werte und wichtiges Wissen vermitteln, rassistische und diskriminierende Inhalte haben bei uns keinen Platz“, erklärt Martín Lara. Und was denkt die Direktorin, ist das Buch eigentlich noch zeitgemäß? „Die Kleinen, die mit ihren Eltern kommen, lesen viel. Kids ab etwa zwölf Jahren interessieren sich dann eher für andere Dinge“, meint sie. Aber sei die Liebe zum Buch in der Kindheit einmal gesät worden, würden viele dieser Abtrünnigen wieder zurückkehren. Spätestens, wenn sie eigene Kinder hätten.
Bücher in elf Sprachen
Eine Sektion für ausländische Bürger gibt es ebenfalls, mit Büchern in elf verschiedenen Sprachen. Vor allem auf Englisch, aber auch in russischer, polnischer, französischer, italienischer, finnischer oder deutscher Sprache. In diesem Bereich wirken Freiwillige wie die Engländerin Teresa und die Holländerin Lia – unentgeltlich und aus lauter Freude an der Literatur. Gerne werden Buchspenden angenommen. Wer demnächst also einen geeigneten Platz für seine ausgelesenen Exemplare sucht, sollte daran denken. „Aber sie sollten in gutem Zustand und nicht nach 2000 veröffentlicht worden sein“, bittet Teresa.
Solidarität zählt in der Bibliothek von Benalmádena. Jeden November wird deshalb ein SecondHand-Buchmarkt organisiert, und immer dienstags und mittwochs findet ein Mini-Buchmarkt statt. Der Erlös kommt der Hospizstiftung Cudeca zugute. Insgesamt 20.000 Euro kamen durch diese Initiative bereits zusammen.
Bibliotheken können eben ein sozialer und demokratischer Ort sein. Ganz nebenbei sind sie Grundpfeiler einer freiheitlichen und aufgeklärten Gesellschaft. Um es mit den Worten des Präsidenten des spanischen Verlegerverbands FGEE, Daniel Fernández, zu sagen: „Ein Land, das seine Bibliotheken schließt, verdunkelt seine Zukunft.“
Bibliotheken können ein sozialer und demokratischer Ort sein