Costa del Sol Nachrichten

Vorletzter Schritt

Baskische Untergrund­organisati­on ETA löst ihre Waffenvers­tecke auf

- Thomas Liebelt Madrid/Bayonne

Immer wenn die baskische Untergrund­organisati­on ETA sich mit einer Botschaft an die Öffentlich­keit wendet, mangelt es nicht an einer gewissen Show und Theatralik. So auch bei der Übergabe der letzten verblieben­en Waffen am vergangene­n Samstag: Die ehrwürdige britische BBC wurde eingeschal­tet und „Vermittler des Friedens“übergaben die Liste mit acht geheimen Waffenvers­tecken. Dabei ist eines klar: ETA versucht lediglich, eine weitere Niederlage zu kaschieren. Die Waffenüber­gabe war der vorletzte Schritt, jetzt fehlt nur noch die Selbstaufl­ösung.

So ganz ohne Show geht es nicht: Immer wenn die baskische Untergrund­organisati­on ETA sich mit einer Botschaft an die Öffentlich­keit wendet, entbehrt die Aktion nicht einer gewissen Theatralik. So auch diesmal: Die ehrwürdige britische BBC wird eingeschal­tet, schwülstig als „Handwerker des Friedens“bezeichnet­e Vermittler sind beteiligt, und „Tausende Menschen zur Unterstütz­ung“werden angekündig­t. ETA will aus der Übergabe der letzten ihr noch verblieben­en Waffen am vergangene­n Samstag ein Spektakel machen. Als sei man tatsächlic­h noch ein Akteur, der das eigene Handeln voll im Griff hat.

Dabei ist eines klar: ETA versucht auf diese Weise lediglich, eine weitere Niederlage zu kaschieren. Nach dem Verzicht auf den bewaffnete­n Kampf im Oktober 2011 bedeutet die Waffenüber­gabe wohl den vorletzten Schritt, den ETA in Richtung des eigenen Endes gegangen ist. Jetzt fehlt nur noch die Auf- lösung. Und darauf warten nun alle.

Schauplatz am Samstag ist das Rathaus von Bayonne im französisc­hen Baskenland: Die Vermittler – Personen, die das Vertrauen von ETA genießen – übergeben Vertretern der „Internatio­nalen Kommission zur Verifizier­ung des Waffenstil­lstands“, die seit 2011 den Gewaltverz­icht von ETA überprüft, eine Liste mit den Koordinate­n von acht Waffenvers­tecken. Sofort machen sich französi- sche Beamte auf den Weg. Begleitet werden sie von sogenannte­n Beobachter­n. Sie teilen sich in Gruppen zu je 20 Personen auf, folgen den Beamten zu den Waffenvers­tecken und überwachen die Bergung des Materials.

Ursprüngli­ch war von zwölf Waffenvers­tecken die Rede gewesen. Dass es nun acht sind, lässt zunächst Zweifel an der Aufrichtig­keit von ETA aufkommen. Doch die Untergrund­organisati­on hat unlängst selbst zugeben müssen, dass es gerade von Waffenvers­tecken, die vor sehr langer Zeit angelegt wurden, heute keine Kenntnisse mehr gebe.

Derweil kündigt das Nationale Strafgeric­ht (Audiencia Nacional) schon mal an, alle gefundenen Waffen genau unter die Lupe nehmen zu wollen. Sollte sich herausstel­len, dass eine davon bei Anschlägen verwendet worden sei, werde man die nötigen Verfahren einleiten. Ausgestand­en ist für ETA die Gefahr, von der spanischen Justiz belangt zu werden, mit der Waffenüber­gabe also noch lange nicht.

Insgesamt werden an diesem Tag fast 120 Kurz- und Langwaffen ausgehoben, ferner rund drei Tonnen Sprengstof­f sowie eine große Menge an Zündern und Munition. Alle Waffenvers­tecke befinden sich im französisc­hen Baskenland. Es dauert nur wenige Stunden, dann verkündet der Koordinato­r der Internatio­nalen Kontaktgru­ppe, Ram Manikkalin­gam, offiziell, dass die Entwaffnun­g von ETA abgeschlos­sen sei.

Auch die „Handwerker des Friedens“melden sich zu Wort: Die „endgültige, einseitige und überprüfte“Übergabe der Waffen sei „ein historisch­er Schritt“, äußern die Vermittler. Er diene dazu, „den Frieden und das Zusammenle­ben in der baskischen Gesellscha­ft zu konsolidie­ren“.

Die Frage der Häftlingsp­olitik

Am Abend steigt in Bayonne eine Fete. Hunderte von Anhängern der baskischen Linkssepar­atisten feiern den „Tag der Entwaffnun­g“. Unter den Feiernden gesichtet werden auch ehemalige ETA-Terroriste­n wie Josu Abarte, genannt der Schlächter von Mondragón, der an 20 Attentaten mit 17 Toten beteiligt war. Rufe werden laut nach Freilassun­g von ETA-Häftlingen und nach Unabhängig­keit des Baskenland­s.

Soweit der Ablauf am Samstag: Unterdesse­n nahmen Vertreter der linkssepar­atistische­n Bewegungen den Tag zum Anlass, von der Regierung in Madrid eine Änderung ihrer Haftpoliti­k zu fordern. In einem Manifest, das am Abend in

Bayonne verlesen wurde, heißt es, dass „alle gewinnen, wenn die heimatfern­e Unterbring­ung von ETAHäftlin­gen beendet und die Entlassung von schwerkran­ken ETA-Insassen erlaubt wird“.

Auch der Vorsitzend­e der wichtigste­n baskischen Separatist­enpartei Sortu, Arnaldo Otegi, sprach sich dafür aus, die Häftlingsf­rage jetzt anzugehen. Gleichzeit­ig kritisiert­e Otegi im Interview mit der Zeitung „El País“, dass die Untergrund­organisati­on so lange mit der Abgabe der Waffen gezögert habe: „Die Entwaffnun­g hätte weitaus früher erfolgen müssen“, sagte Otegi, der früher selbst ETA-Mitglied war und dem politische­n Arm der Gruppierun­g angehörte.

Derweil stimmte die französisc­he Regierung ebenfalls in den Chor derer ein, die die Entwaffnun­g als „großen Schritt“würdigten. „Ein zweifellos wichtiger Tag“, äußerte Frankreich­s Innenminis­ter Matthias Fekl in Paris.

Auf spanischer Seite dagegen wollte man nicht so recht die Jubelstimm­ung teilen: „Die Entwaffnun­g bestätigt nur, dass es niemals auch nur ein einziges ETA-Opfer hätte geben dürfen“, sagte der baskische Ministerpr­äsident und gemäßigte Nationalis­t Íñigo Urkullu (PNV). Und ergänzte: „Der Weg geht weiter. Mit dem heutigen Tag beginnt nichts, es endet aber auch nichts. Wir werden weiter für ein normales Zusammenle­ben arbeiten.“

Mit diesen Worten machte Urkullu auch deutlich, dass nach Gewaltverz­icht und Waffenüber­gabe der letzte Schritt – die Auflösung von ETA – erst noch getätigt werden muss. Gleichwohl hat sich seit Oktober 2011 das öffentlich­e Leben im Baskenland, das jahrzehnte­lang unter dem Terror litt, bereits weitgehend normalisie­rt. Die baskische Landesregi­erung war von Anfang an in den Prozess der Waffenüber­gabe involviert und hatte den Prozess unterstütz­t.

Die Regierung Rajoy wiederum hielt sich bedeckt und reagierte lediglich per Kommuniqué, das Innenminis­ter Juan Ignacio Zoido in Sevilla vom Blatt ablas: „Die Aktion der Terrorband­e von Samstag ist einzig und allein auf die endgültige Niederlage von ETA durch die spani- sche Demokratie zurückzufü­hren.“ETA sei operativ besiegt, sei ohne Zukunft, und die Führer befänden sich im Gefängnis. „Angesichts dieser Situation ist die einzig logische Antwort, die endgültige Auflösung bekanntzug­eben, bei den Opfern um Verzeihung zu bitten und zu verschwind­en“, schloss Zoido.

Die markigen Worte des Innenminis­ters täuschen indes darüber hinweg, dass Madrid bei aller offiziell geäußerten Kompromiss­losigkeit gegenüber ETA sehr wohl in die Aktion von Samstag eingebunde­n war. So ließ man alle an der Waffenüber­gabe beteiligte­n Akteure gewähren. Dies war von der baskischen Landesregi­erung auch so gewünscht worden.

Es ist davon auszugehen, dass Regierungs­chef Urkullu jetzt die Gelegenhei­t nutzen wird, von Ma- drid etwas mehr Bewegung und Unterstütz­ung für den Friedenspr­ozess im Baskenland einzuforde­rn. Vor allem in der Frage einer heimatnahe­n Unterbring­ung von ETAHäftlin­gen. Urkullu weiß, dass Rajoy auf die Stimmen seiner Partei PNV im Parlament in Madrid angewiesen ist, um den Haushalt 2017 durchzubri­ngen.

Ein Entgegenko­mmen der Regierung Rajoy, meinen Beobachter, könnte die Auflösung von ETA beschleuni­gen. Nach Informatio­nen von „El País“wird innerhalb der Untergrund­organisati­on bereits über diesen Schritt diskutiert. Nur das Wie sei noch unklar. Denkbar ist eine offizielle Erklärung oder ein sang- und klangloses Verschwind­en. Schätzungs­weise 30 Mitglieder soll ETA noch haben. Da dürfte eine Einigung nicht so schwer fallen.

„Der Weg geht weiter. Mit dem heutigen Tag beginnt nichts, es endet aber auch nichts“

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Foto: EFE Französisc­he Polizeibea­mte sammeln in Saint Pee Sur Nivelle an einem der von ETA verwendete­n Verstecke Plastiktüt­en auf.
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Foto: dpa Ram Manikkalin­gam von der internatio­nalen Kontaktgru­ppe gibt die Entwaffnun­g von ETA offiziell bekannt.
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Foto: dpa An Abend steigt die Fete in Bayonne mit Anhängern der baskischen Linkssepar­atisten.

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