Vorletzter Schritt
Baskische Untergrundorganisation ETA löst ihre Waffenverstecke auf
Immer wenn die baskische Untergrundorganisation ETA sich mit einer Botschaft an die Öffentlichkeit wendet, mangelt es nicht an einer gewissen Show und Theatralik. So auch bei der Übergabe der letzten verbliebenen Waffen am vergangenen Samstag: Die ehrwürdige britische BBC wurde eingeschaltet und „Vermittler des Friedens“übergaben die Liste mit acht geheimen Waffenverstecken. Dabei ist eines klar: ETA versucht lediglich, eine weitere Niederlage zu kaschieren. Die Waffenübergabe war der vorletzte Schritt, jetzt fehlt nur noch die Selbstauflösung.
So ganz ohne Show geht es nicht: Immer wenn die baskische Untergrundorganisation ETA sich mit einer Botschaft an die Öffentlichkeit wendet, entbehrt die Aktion nicht einer gewissen Theatralik. So auch diesmal: Die ehrwürdige britische BBC wird eingeschaltet, schwülstig als „Handwerker des Friedens“bezeichnete Vermittler sind beteiligt, und „Tausende Menschen zur Unterstützung“werden angekündigt. ETA will aus der Übergabe der letzten ihr noch verbliebenen Waffen am vergangenen Samstag ein Spektakel machen. Als sei man tatsächlich noch ein Akteur, der das eigene Handeln voll im Griff hat.
Dabei ist eines klar: ETA versucht auf diese Weise lediglich, eine weitere Niederlage zu kaschieren. Nach dem Verzicht auf den bewaffneten Kampf im Oktober 2011 bedeutet die Waffenübergabe wohl den vorletzten Schritt, den ETA in Richtung des eigenen Endes gegangen ist. Jetzt fehlt nur noch die Auf- lösung. Und darauf warten nun alle.
Schauplatz am Samstag ist das Rathaus von Bayonne im französischen Baskenland: Die Vermittler – Personen, die das Vertrauen von ETA genießen – übergeben Vertretern der „Internationalen Kommission zur Verifizierung des Waffenstillstands“, die seit 2011 den Gewaltverzicht von ETA überprüft, eine Liste mit den Koordinaten von acht Waffenverstecken. Sofort machen sich französi- sche Beamte auf den Weg. Begleitet werden sie von sogenannten Beobachtern. Sie teilen sich in Gruppen zu je 20 Personen auf, folgen den Beamten zu den Waffenverstecken und überwachen die Bergung des Materials.
Ursprünglich war von zwölf Waffenverstecken die Rede gewesen. Dass es nun acht sind, lässt zunächst Zweifel an der Aufrichtigkeit von ETA aufkommen. Doch die Untergrundorganisation hat unlängst selbst zugeben müssen, dass es gerade von Waffenverstecken, die vor sehr langer Zeit angelegt wurden, heute keine Kenntnisse mehr gebe.
Derweil kündigt das Nationale Strafgericht (Audiencia Nacional) schon mal an, alle gefundenen Waffen genau unter die Lupe nehmen zu wollen. Sollte sich herausstellen, dass eine davon bei Anschlägen verwendet worden sei, werde man die nötigen Verfahren einleiten. Ausgestanden ist für ETA die Gefahr, von der spanischen Justiz belangt zu werden, mit der Waffenübergabe also noch lange nicht.
Insgesamt werden an diesem Tag fast 120 Kurz- und Langwaffen ausgehoben, ferner rund drei Tonnen Sprengstoff sowie eine große Menge an Zündern und Munition. Alle Waffenverstecke befinden sich im französischen Baskenland. Es dauert nur wenige Stunden, dann verkündet der Koordinator der Internationalen Kontaktgruppe, Ram Manikkalingam, offiziell, dass die Entwaffnung von ETA abgeschlossen sei.
Auch die „Handwerker des Friedens“melden sich zu Wort: Die „endgültige, einseitige und überprüfte“Übergabe der Waffen sei „ein historischer Schritt“, äußern die Vermittler. Er diene dazu, „den Frieden und das Zusammenleben in der baskischen Gesellschaft zu konsolidieren“.
Die Frage der Häftlingspolitik
Am Abend steigt in Bayonne eine Fete. Hunderte von Anhängern der baskischen Linksseparatisten feiern den „Tag der Entwaffnung“. Unter den Feiernden gesichtet werden auch ehemalige ETA-Terroristen wie Josu Abarte, genannt der Schlächter von Mondragón, der an 20 Attentaten mit 17 Toten beteiligt war. Rufe werden laut nach Freilassung von ETA-Häftlingen und nach Unabhängigkeit des Baskenlands.
Soweit der Ablauf am Samstag: Unterdessen nahmen Vertreter der linksseparatistischen Bewegungen den Tag zum Anlass, von der Regierung in Madrid eine Änderung ihrer Haftpolitik zu fordern. In einem Manifest, das am Abend in
Bayonne verlesen wurde, heißt es, dass „alle gewinnen, wenn die heimatferne Unterbringung von ETAHäftlingen beendet und die Entlassung von schwerkranken ETA-Insassen erlaubt wird“.
Auch der Vorsitzende der wichtigsten baskischen Separatistenpartei Sortu, Arnaldo Otegi, sprach sich dafür aus, die Häftlingsfrage jetzt anzugehen. Gleichzeitig kritisierte Otegi im Interview mit der Zeitung „El País“, dass die Untergrundorganisation so lange mit der Abgabe der Waffen gezögert habe: „Die Entwaffnung hätte weitaus früher erfolgen müssen“, sagte Otegi, der früher selbst ETA-Mitglied war und dem politischen Arm der Gruppierung angehörte.
Derweil stimmte die französische Regierung ebenfalls in den Chor derer ein, die die Entwaffnung als „großen Schritt“würdigten. „Ein zweifellos wichtiger Tag“, äußerte Frankreichs Innenminister Matthias Fekl in Paris.
Auf spanischer Seite dagegen wollte man nicht so recht die Jubelstimmung teilen: „Die Entwaffnung bestätigt nur, dass es niemals auch nur ein einziges ETA-Opfer hätte geben dürfen“, sagte der baskische Ministerpräsident und gemäßigte Nationalist Íñigo Urkullu (PNV). Und ergänzte: „Der Weg geht weiter. Mit dem heutigen Tag beginnt nichts, es endet aber auch nichts. Wir werden weiter für ein normales Zusammenleben arbeiten.“
Mit diesen Worten machte Urkullu auch deutlich, dass nach Gewaltverzicht und Waffenübergabe der letzte Schritt – die Auflösung von ETA – erst noch getätigt werden muss. Gleichwohl hat sich seit Oktober 2011 das öffentliche Leben im Baskenland, das jahrzehntelang unter dem Terror litt, bereits weitgehend normalisiert. Die baskische Landesregierung war von Anfang an in den Prozess der Waffenübergabe involviert und hatte den Prozess unterstützt.
Die Regierung Rajoy wiederum hielt sich bedeckt und reagierte lediglich per Kommuniqué, das Innenminister Juan Ignacio Zoido in Sevilla vom Blatt ablas: „Die Aktion der Terrorbande von Samstag ist einzig und allein auf die endgültige Niederlage von ETA durch die spani- sche Demokratie zurückzuführen.“ETA sei operativ besiegt, sei ohne Zukunft, und die Führer befänden sich im Gefängnis. „Angesichts dieser Situation ist die einzig logische Antwort, die endgültige Auflösung bekanntzugeben, bei den Opfern um Verzeihung zu bitten und zu verschwinden“, schloss Zoido.
Die markigen Worte des Innenministers täuschen indes darüber hinweg, dass Madrid bei aller offiziell geäußerten Kompromisslosigkeit gegenüber ETA sehr wohl in die Aktion von Samstag eingebunden war. So ließ man alle an der Waffenübergabe beteiligten Akteure gewähren. Dies war von der baskischen Landesregierung auch so gewünscht worden.
Es ist davon auszugehen, dass Regierungschef Urkullu jetzt die Gelegenheit nutzen wird, von Ma- drid etwas mehr Bewegung und Unterstützung für den Friedensprozess im Baskenland einzufordern. Vor allem in der Frage einer heimatnahen Unterbringung von ETAHäftlingen. Urkullu weiß, dass Rajoy auf die Stimmen seiner Partei PNV im Parlament in Madrid angewiesen ist, um den Haushalt 2017 durchzubringen.
Ein Entgegenkommen der Regierung Rajoy, meinen Beobachter, könnte die Auflösung von ETA beschleunigen. Nach Informationen von „El País“wird innerhalb der Untergrundorganisation bereits über diesen Schritt diskutiert. Nur das Wie sei noch unklar. Denkbar ist eine offizielle Erklärung oder ein sang- und klangloses Verschwinden. Schätzungsweise 30 Mitglieder soll ETA noch haben. Da dürfte eine Einigung nicht so schwer fallen.
„Der Weg geht weiter. Mit dem heutigen Tag beginnt nichts, es endet aber auch nichts“