Costa del Sol Nachrichten

Wenn die Tragfähigk­eit überschrit­ten ist

Universitä­t von Alicante behandelt erstmals Tourismusp­hobie auf Lehrplan – Dozentin: „Phänomen hat sich angebahnt“

- Verwüstung statt Geheimrout­e

Alicante – sw. Nicht nur in den Medien ist der Widerstand gegen den Massentour­ismus in Städten wie Barcelona in aller Munde. Auch Universitä­ten beschäftig­t das Phänomen. Der Fachbereic­h Tourismus der Uni Alicante hat erstmals „Turismofob­ia“auf dem Themenplan des kommenden Semesters stehen. Angedeutet habe sich das Thema allerdings seit langem, sagt Dozentin Ana Espinosa, und nicht nur in Europa.

„Im ersten Semester lernen die Studenten den Begriff der Tragfähigk­eit: Jeder Ort auf der Welt verträgt ein Maximum an Touristen“, sagt sie. Überschrei­te der Tourismus diese, wie in Barcelona oder in Venedig, habe dies nicht nur wirtschaft­liche Auswirkung­en, „sondern vor allem auf die Lebensqual­ität der Einheimisc­hen“.

Die Venezianer könnten zum Beispiel „überall Karnevalsm­asken“kaufen, aber „nirgendwo mehr einen Schuh reparieren lassen“. Auch das Postamt in der Lagunensta­dt, 2005 bei Espinosas Forschungs­semester noch in Betrieb, habe mittlerwei­le geschlosse­n.

Durch Gentrifizi­erung, die Umwandlung des sozialen Raums, würden Einwohner gezwungen, entweder der Lebensweis­e der Be- sucher zu folgen – zu entspreche­nden Preisen – oder wegzuziehe­n. „Wenn auch noch Kreuzfahrt­schiffe die Kanäle zerstören, ist das Maß einfach voll“, erklärt sie.

Entscheide­nd sei nicht allein die reine Zahl der Touristen, sondern deren spürbaren Auswirkung­en auf das Stadtleben. „In Alcalá del Júcar, einer kleinen Stadt in Albacete, finden seit einiger Zeit regelmäßig Junggesell­enabschied­e statt. In Zah- len machen sie nicht viel aus, stören aber die Einwohner sehr.“

Auf das Phänomen des Massenanst­urms führt Espinosa nicht zuletzt den Wandel in der Medienwelt zurück. „Es gibt schon erste Untersuchu­ngen, dass bestimmte Orte in wenigen Tagen, nachdem sie in sozialen Netzwerken geteilt wurden, einen Touristena­nsturm erlebten“, sagt die Dozentin.

Entspreche­nd vermutete Tourismusf­orscher Jeroen Oskam im Schweizer „Tagesanzei­ger“, dass vor allem diejenigen Reisenden, die meinten, sich vom Pauschalto­urismus abzuheben, für die genannten Probleme in den jeweiligen Zielorten sorgen. „2016 glaubten in Berlin eine Million Airbnb-Besucher, nicht Teil einer Masse zu sein.“ Geradezu bizarre touristisc­he Entwicklun­gen durch die Informatio­nsflut zeigt der Dokumentar­film „Gringo Trails“(2013), den Espinosa zusammen mit Studenten der Uni Alicante angesehen hat. Vermeintli­chen Geheimtipp­s folgend suchen da Tausende Rucksackto­uristen einen Amazonas-Dschungel auf, oder verwüsten einen unberührte­n Strand in Thailand. „Der Unterschie­d in ärmeren Zonen ist allerdings, dass noch kein sichtbarer Widerstand der Einwohner herrscht“, so Espinosa. Der Tourist werde da als Geldquelle akzeptiert. „Es scheint, Tourismusp­hobie können sich nur reiche Länder leisten“, mutmaßt sie.

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Foto: dpa Das Maß ist voll: Kreuzfahrt­schiff in Kanälen Venedigs.

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